Italien: Mann fehlennach Unfall 39 Jahre seines Lebens - Ehefrau und Sohn nicht erkannt
Autor: Alexander Milesevic, Agentur dpa
Rom, Mittwoch, 23. Oktober 2024
Ein Mann wacht im Krankenhaus auf und fühlt sich ins Jahr 1980 zurückversetzt. Große Teile seiner Erinnerung sind weg. An Handys, den Euro und andere Dinge muss er sich wieder gewöhnen.
Die eigene Hochzeit, der 11. September, der Fall der Mauer, zwei Fußball-Weltmeisterschaften für Italien - all das ist vergessen: Der heute 67-jährige Italiener Luciano d'Adamo kann sich infolge eines Verkehrsunfalls nach eigener Aussage nicht mehr an 39 Jahre seines Lebens erinnern. Durch den Unfall erlitt er, wie die Ärzte feststellen, eine Amnesie- verlor also große Teile seines Gedächtnisses. Nun arbeitet er, auch mithilfe von Psychologen, daran, sich in seiner Umgebung neu zurechtzufinden. An Handys, den Euro und andere Dinge musste er sich erst wieder gewöhnen.
2019, auf dem Heimweg von der Arbeit am Flughafen Rom, wo d'Adamo zum Bodenpersonal zählte, wurde er von einem Auto angefahren. Dabei verlor er das Bewusstsein. Beim Aufwachen im Krankenhaus war er der festen Überzeugung, dass er sich im Jahr 1980 befindet, 24 Jahre alt ist und noch bei seinen Eltern lebt, wie er der Zeitung Il Messaggero berichtete. Weder seine Ehefrau noch seinen Sohn erkannte er wieder. Als er sich zum ersten Mal im Spiegel sah - einen Mann mit weißen Haaren -, habe er aufgeschrien, erzählte der Römer dem Fernsehsender Rai.
Schwierigkeiten bei Rekonstruktion des vergangenen Lebens
Im Krankenhaus bat er auch darum, seine Mutter zu benachrichtigen. Doch dann erschien eine Frau im Zimmer, die ihm völlig unbekannt vorkam. "Sie nannte mich Luciano. Und ich habe mich gefragt, woher sie meinen Namen kennt." Dabei handelte es sich um seine Ehefrau. Später habe sich ihm ein 35-jähriger Mann vorgestellt – sein Sohn. D'Adamo erinnert sich an seine damaligen Gedanken so: "Wie kann ein Mann, der lange vor mir geboren wurde, mein Sohn sein? Und welche Frau denn? Ich war nicht verheiratet, sondern verlobt, und zwar nicht mit dieser Frau, die fast 60 sein musste, sondern mit einem 19-jährigen Mädchen."
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Seit dieser Zeit bemüht sich der Italiener, mit Hilfe von Familie und Freunden sein vergangenes Leben zu rekonstruieren, was ihm jedoch große Schwierigkeiten bereitet. Auch bei Fotos muss er oft passen. "Ab und zu treffe ich jemanden, der mich grüßt", berichtete er dem Messaggero. "Das muss ein alter Freund sein. Aber ich weiß nicht, wer er ist. Also tue ich aus Höflichkeit so, als ob ich ihn erkenne und erwidere den Gruß."
Den Ärzten zufolge, so die Zeitung, hat d'Adamo verstanden, dass er große Teile seines Lebens als Erwachsener nicht mehr zurückbekommen wird: "Er hat widerwillig akzeptiert, dass er kein Junge mehr ist, dass er nicht mehr wie früher die Treppe hochlaufen kann. Mit Intelligenz und viel gutem Willen hat er Stück für Stück gelernt, in einer völlig neuen Welt zu leben und zu arbeiten, die es zu entschlüsseln gilt." Heute ist er als Hausmeister in einer Schule tätig. Seine Schilderungen gelten als glaubwürdig.
Internet, Smartphone, Navi - alles neu
Vieles sei nach dem Gedächtnisverlust neu für ihn gewesen, so d'Adamo: Internet, Smartphones oder auch Navigationsgeräte im Auto. "Ich erinnere mich noch an das Erstaunen, als ich in einem Auto fuhr, das mir auf einem Bildschirm den Stadtplan von Rom zeigte, während eine Stimme mir sagte, ich solle rechts abbiegen."
Es kommt immer wieder vor, dass Menschen teilweise oder auch ganz ihr Gedächtnis verlieren. Manchmal fehlen nur bestimmte Ereignisse in der Erinnerung, manchmal sogar viele Jahre. Ein Gedächtnisverlust kann nach einem traumatischen Erlebnis wie einer Gewalttat, einem Unfall oder einem Schlaganfall eintreten. Auch dauerhafter Stress, Angst oder Depression können dafür verantwortlich sein. Besonders betroffen bei einer solchen psychogenen Amnesie ist das autobiografische Gedächtnis. Oft dient dies als Schutzmechanismus, der belastende Erinnerungen ausblendet.