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Nach Blitz-Umsturz in Syrien: Entscheidungen über Asylanträge von Syrern gestoppt - "auf tönernen Füßen"
Autor: Agentur dpa, Stefan Lutter
Damaskus, Montag, 09. Dezember 2024
Nach dem blitzartigen Sturz von Machthaber Assad steht Syrien vor einer ungewissen Zukunft. In Deutschland läuft eine Debatte über die mögliche Rückkehr von Geflüchteten. Am Montagmittag wurde bekannt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorerst keine Asylanträge von Syrern bearbeitet.
Machtwechsel im von Diktatur und Bürgerkrieg geplagten Syrien: Eine islamistische Rebellengruppe hat Präsident Baschar al-Assad, einen brutalen Machthaber im Nahen Osten, vertrieben. Nach dem blitzartigen Sturz Assads steht das Land vor einer ungewissen Zukunft.
In Deutschland haben CDU und CSU angesichts der Entwicklung ihre Hoffnung auf die Rückkehr vieler nach Deutschland geflohenen Syrer in ihre Heimat zum Ausdruck gebracht. Ex-Finanzminister Christian Lindner fordert eine Stablisierung des Landes und eine "internationale Syrien-Konferenz".
Update von Montag, 9.12.2024, 13.08 Uhr: Bamf stoppt Entscheidung über Asylanträge von Syrern
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bampf) hat vorübergehend die Bearbeitung von Asylanträgen von syrischen Staatsangehörigen eingestellt. Dies teilte das Amt auf Anfrage des Spiegel am Montag, 9. Dezember 2024, mit. Ein Sprecher erklärte dem Nachrichtenmagazin, die derzeitige politische Lage in Syrien sei äußerst unklar, und es sei schwierig vorherzusehen, wie sich die Situation entwickeln werde.
Aus diesem Grund sei es momentan nicht möglich, fundierte Entscheidungen zu treffen. Betroffen von diesem Entscheidungsstopp sind nach Angaben der Behörde insgesamt 47.270 Asylanträge, darunter etwa 46.000 Erstanträge, die noch keiner Entscheidung zugeführt wurden. Bestehende Entscheidungsfindungen seien von der gegenwärtigen Lage in Syrien allerdings nicht betroffen. Der Sprecher betonte, dass jede Entscheidung "auf tönernen Füßen" stehen würde, sofern sie jetzt getroffen würde.
Unterdessen wurde bekannt, dass Russland nach der Entmachtung von Baschar al-Assad seine Militärbasen in Syrien vorerst behalten und mit der künftigen Führung deren Verbleib besprechen. "Wir sehen eine Periode der Transformation, der extremen Instabilität, also wird es natürlich Zeit brauchen, und dann wird es ein ernsthaftes Gespräch mit denen brauchen, die an die Macht kommen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Er äußerte sich zu einer Frage, ob Russland seine Präsenz dort behalten wolle. Russland unterhält in Syrien unter anderem eine Luftwaffen- und eine Marinebasis.
Russland behält Militärbasen vorerst in Syrien - Putin traf selbst Entscheidung über Asyl für Assad
Es sei nun wichtig, die Frage der Sicherheit des russischen Militärs in Syrien zu klären, sagte Peskow. Die russischen Soldaten ergriffen selbst alle Vorsichtsmaßnahmen. Details nannte der Kremlsprecher nicht.
Ein Abzug ist demnach derzeit nicht geplant. Russland hatte Assad seit 2015 militärisch unterstützt und maßgeblich zu dessen Machterhalt beigetragen, bis die Herrschaft der Familie nach einem halben Jahrhundert am Wochenende zu Ende ging. Peskow räumte ein, dass die Ereignisse auch Russland erstaunt hätten. Syrien galt stets als wichtigster Verbündeter des Landes im Nahen Osten. Russland hat Assad und seiner Familie Asyl gewährt.
Kremlchef Wladimir Putin, der sich immer wieder mit Assad traf, habe die Entscheidung getroffen, die Familie in Russland aufzunehmen, sagte Peskow. Ein offizielles Treffen mit dem entmachteten Politiker sei bisher nicht geplant. Er machte auch keine Angaben dazu, wo genau sich die Assads aufhalten. Russland hat immer wieder gefallenen autoritären Staatsmännern Asyl gewährt. Natürlich sei es wichtig, den Dialog mit allen Ländern der Region aufrechtzuerhalten, sagte Peskow. "Wir sind fest entschlossen, dies zu tun." Auch mit der Türkei stehe Russland zu Syrien im Dialog.
Update von Montag, 9.12.2024, 10.47 Uhr: Union schlägt Unterstützung für rückkehrwillige Syrer vor
Im Zuge des Machtwechsels in Syrien drängen Politiker der Union darauf, die Rückkehr von Flüchtlingen, die nach Deutschland geflohen sind, zu fördern. Unionsfraktionsvize Jens Spahn äußerte im RTL/ntv-"Frühstart" am Montag, 9. Dezember 2024: "Ich würde in einem ersten Schritt mal sagen, wir machen ein Angebot. Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurück will nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1000 Euro."
Als zweiten Schritt schlug Spahn vor, dass Deutschland gemeinsam mit Österreich, der Türkei und Jordanien eine "Wiederaufbau- und Rückkehrkonferenz" für das Frühjahr organisiert. "Wenn sich im Heimatland die Dinge normalisieren, stabilisieren, wenn es dort Perspektive gibt, dann gibt es die Erwartung, auch zurückzukehren. Aber das wird man sicherlich erst in einigen Tagen und Wochen beurteilen können", betonte Spahn. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Alexander Throm (CDU), sagte dem "Handelsblatt", dass sich die Lage in Syrien durch den Sturz von Machthaber Baschar al-Assad "grundlegend geändert" habe.
Dies betreffe vor allem die Flüchtlinge in Deutschland, die aufgrund von Assad geflohen sind. "Hier gilt es zu prüfen, ob der Schutzstatus nicht entfällt", sagte Throm. Eine freiwillige Rückkehr müsse unterstützt werden. "Allen muss klar sein: Flucht ist ein Aufenthalt auf Zeit", betonte Throm. CDU-Außenexperte Jürgen Hardt forderte im ZDF-"Morgenmagazin" eine Neubewertung der Lage in Syrien: "Ich glaube, dass man zu einer Neubewertung der politischen Lage in Syrien kommen wird, und damit auch zu einer Neubewertung der Frage, wer bei uns Schutz finden darf und wer nicht."
Göring-Eckardt hält frühe Abschiebedebatte für "unangemessen"
Momentan sei es jedoch noch zu früh für eine solche Beurteilung, die Entscheidungen dazu stünden in den nächsten Wochen an. Er sei der Meinung, dass viele Flüchtlinge letztlich selbst in ihr Heimatland zurückkehren wollen. Hierbei sollte man beispielsweise bei der Gründung von Existenzen unterstützen. Hardt erwähnte, dass zumindest aus den von Rebellen befreiten Gebieten keine Fluchtbewegungen Richtung Türkei oder Europa zu beobachten seien. "Das ist ja ein hoffnungsvolles Zeichen." Die Europäische Union und Deutschland sollten aktiv den Übergang in der Türkei begleiten, "mit dem Ergebnis, dass viele Flüchtlinge zurückkönnen". Hardt appellierte an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), schnell das Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu suchen.
Eine Reaktion auf die ungehende entflammte Abschiededebatte kam von Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Die Grünen). Göring-Eckarddt kritisierte die Diskussionen und erklärte im rbb-Inforadio: "Ich finde das nach anderthalb Tagen eine unangemessene innenpolitische Debatte." Die Vorstellung, dass Syrerinnen und Syrern nach dem Ende der Assad-Herrschaft als Erstes gesagt werde, sie müssten übermorgen zurückkehren, führe zu einer Unsicherheit, betonte Göring-Eckardt. Wenn Syrien ein sicheres Land werde, sollten und werden Menschen auch zurückkehren, erklärte sie. Diese Debatte könne auch geführt werden, aber nicht jetzt in einer Phase der großen Instabilität.
"Wir sollten alles unterstützen, was in Richtung Freiheitsstabilität und demokratischer Verhältnisse geht in Syrien", so die Grünen-Politikerin. Es könnten auch diejenigen unterstützt werden, die sich für ein freiheitliches Syrien einsetzen. "Wir sollten aber nicht denken, dass wir jetzt diejenigen sind, die diesen Konflikt lösen können."
Lindner für "internationale Syrien-Konferenz"
FDP-Chef Christian Lindner fordert die internationale Gemeinschaft auf, Verantwortung zu übernehmen und die Lage in Syrien nach dem Ende der Assad-Herrschaft zu stabilisieren. "Ich glaube, wir brauchen eine internationale Syrien-Konferenz, die auch von Deutschland ausgehen kann", erklärte der ehemalige Finanzminister im Interview mit dem Deutschlandfunk. Eine solche Konferenz könne allen Beteiligten die Möglichkeit geben, gemeinsam zu überlegen, was von außen getan werden könne. Dies habe hohe Priorität.
Der FDP-Vorsitzende sieht die Diskussion um die Rückkehr syrischer Geflüchteter in ihre Heimat als zweiten Schritt. "Der erste Schritt ist zunächst die Stabilität Syriens zu begleiten", betonte Lindner. Es müsse anschließend geprüft werden, welche Auswirkungen der Machtwechsel in Syrien auf die Asylpolitik in Deutschland haben könnte.
Auf die Frage, ob Lindner mehr Hoffnung oder Sorge vor möglichen radikalen Kräften hege, antwortete er: "Natürlich betrachte ich das mit einer Sorge, denn es ist jetzt ein hohes Maß an Unsicherheit und Ungewissheit da." Da das alte Regime eine "Terrorherrschaft nach innen und Gefahr nach außen" dargestellt habe, sehe er nun wenigstens eine Chance auf eine positive Zukunft, fügte er hinzu. Sicher sei dies jedoch keinesfalls.
Droht eine neue Fluchtbewegung?
Ungetrübt sei Freude über den Sturz des "Schlächters" Assad nicht, erklärt t-online.de. Denn noch seien die Folgen unabsehbar. Es drohe Chaos - und die Gefahr, dass dieses Chaos in neuer Gewalt mündee, sei groß. Die Begründung: Das Einzige, was die syrischen Milizen bislang geeint habe, sei das Ziel gewesen, Assad zu stürzen. Eine demokratische Zukunft in Freiheit, auf die jetzt so viele Syrer hoffen, sei eher unwahrscheinlich. Im Gegenteil, eine neue Fluchtbewegung könnte drohen, wenn auf einen zentralen Akteur jetzt kein Druck ausgeübt wird: die Türkei.
Bislang sei sie neben den USA das einzige Nato-Land, das Einfluss in Syrien hat. Gut 900 Kilometer lang ist die Grenze zwischen der Türkei und Syrien. Schon wegen dieser Nähe hat Recep Tayyip Erdoğan ein großes Interesse daran, diesen Einfluss in Zukunft auszuweiten. Vieles spreche daher dafür, dass Erdoğan den aktuellen Vorstoß der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) unterstützte, um Druck auf Assad auszuüben. Nun müsse er seinen Einfluss auf die HTS und andere islamistische Milizen ausbauen, bevor es andere Kräfte der Region tun, so t-online. Darin liegt auch für den Westen eine Chance. Denn Erdoğan muss daran interessiert sein, dass Rebellenführer Abu Mohammed al-Dschulani seine Versprechen einhält, mit den staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten und Minderheitenrechte zu achten.
Nur wenn das Land dauerhaft befriedet wird, werden die Flüchtlinge zurückkehren und nicht noch weitere Menschen fliehen. Geschieht dies nicht, wird es eine neue Flüchtlingsbewegung geben – in die angrenzenden Länder, also auch die Türkei, aber auch nach Europa. Umso mehr sollten die EU und Deutschland Erdoğan darin bestärken und unterstützen, seinen Einfluss auszuüben. Ebenso wie die USA. Gleichwohl dürfe der Preis dafür nicht sein, dass sie die Kurden verraten. Die Nato-Partner sollten daher auch Druck auf die Türkei ausüben – zur Not, indem sie drohen, keine Waffen mehr an sie zu liefern. Das würde die Türkei empfindlich treffen. Noch sei Donald Trump in den USA nicht an der Macht. Doch er hat bereits angekündigt, sich aus dem Konflikt heraushalten zu wollen, vermutlich zieht er sogar die restlichen US-Soldaten aus Syrien ab. Dann würden die USA auch den letzten Hebel verlieren, um in Syrien Einfluss zu nehmen.
US-Luftwaffe fliegt Angriffe gegen IS-Stellungen in Syrien
Joe Biden zumindest scheint gewillt, weiter einzugreifen. Die US-Luftwaffe habe nach eigenen Angaben mehrere Dutzend Luftangriffe gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien geflogen, wie die dpa berichtet. Die Angriffe gegen IS-Anführer, -Kämpfer und -Camps im Zentrum des Landes seien Teil einer laufenden Mission, den IS zu schwächen und zu besiegen, teilte das U.S. Central Command, das Regionalkommando der US-Streitkräfte, auf X (vormals Twitter) mit.
Es gelte, die terroristische Gruppe daran zu hindern, Operationen auszuführen und sicherzustellen, dass der IS die gegenwärtige Situation nicht ausnutze, um sich in Zentral-Syrien neu aufzustellen. An der Operation gegen mehr als 75 Ziele seien unter anderem Flugzeuge vom Typ B-52, F-15 und A-10 beteiligt gewesen.
Die USA haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums noch rund 900 Soldaten in Syrien stationiert. Von wo aus die Luftangriffe geflogen wurden, ging aus der Mitteilung nicht hervor. Die Auswirkungen würden jetzt untersucht, Hinweise auf zivile Opfer gebe es nicht, hieß es in der Mitteilung. "Es sollte keinen Zweifel geben, wir werden es dem IS nicht erlauben, sich neu aufzustellen und die gegenwärtige Situation in Syrien auszunutzen", sagte General Michael Erik Kurilla. sl/mit dpa
Update von Montag, 9.12.2024, 10.00 Uhr: Syrien nach Blitz-Machtwechsel vor ungewisser Zukunft - UN-Sicherheitsrat tagt
Der unerwartet schnelle Umsturz in Syrien hat das Land in eine ungewisse Zukunft katapultiert. Entscheidend wird sein, ob die verschiedenen Rebellengruppen eine Verständigung über die Machtteilung erreichen können, oder ob ein Machtvakuum erneute Gewalt schürt und Syrien mit seinen ethnischen und religiösen Minderheiten ins Chaos stürzt.
Geir Pedersen, der Sondergesandte der Vereinten Nationen für Syrien, mahnte, "Blutvergießen zu vermeiden". Er appellierte an den Dialog und die Vorbereitung einer Übergangsregierung in dem Land, in dem bewaffnete Gruppen und ausländische Mächte seit geraumer Zeit um Einfluss kämpfen. Der UN-Sicherheitsrat in New York zieht sich auf Antrag Russlands am heutigen Montag, 9. Dezember 2024, hinter verschlossene Türen zurück, um über die Lage in Syrien zu beraten. Die Konsultationen sollen am Abend deutscher Zeit stattfinden, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Diplomatenkreisen erfuhr.
Rebellen unter der Führung der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) haben in der Nacht zum Sonntag die Kontrolle über die syrische Hauptstadt Damaskus übernommen, womit das Ende der über zwei Jahrzehnte andauernden Herrschaft Assads eingeläutet wurde. Seit dem Beginn der großangelegten Offensive der Rebellen, so berichten Aktivisten, sind 910 Menschen ums Leben gekommen. Darunter sind 138 Zivilisten, auch mehrere Kinder, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldet. Russland hat derweil Assad und seiner Familie laut Kreml-Angaben aus humanitären Gründen Asyl gewährt.
Gemischte Reaktionen in der Region
"Wir sehen eine große Veränderung in der Region. Die Türkei ist stärker geworden, Russland ist schwächer geworden, der Iran ist schwach geworden", zitierte das "Wall Street Journal" einen syrischen Oppositionspolitiker. "Aber es sind die Syrer, die jetzt eine große Rolle spielen werden, nicht wie früher", sagte er. Die Türkei hat die internationale Gemeinschaft aufgerufen, einen geordneten Übergang in Syrien zu unterstützen. Ankara trägt maßgeblich die Verantwortung dafür, dass dieser Prozess zu erhöhter Stabilität führt und die Rückkehr der Flüchtlinge ermöglicht wird, sagte Charles Lister, Direktor des Syrien-Programms am Middle East Institute, der Zeitung. Es gehe darum, ein neues Syrien zu schaffen und einen erneuten Bürgerkrieg zu verhindern.
Syrien müsse sicher und stabil bleiben, zudem müssten Konflikte vermieden werden, die "zu Chaos führen", sagte Jordaniens König Abdullah II. nach Angaben des Hofes. Er respektiere den "Willen und die Entscheidungen des syrischen Volkes". In Jordanien, das an Syrien grenzt, leben viele syrische Flüchtlinge. Ägyptens Außenministerium forderte einen umfassenden politischen Prozess, um eine "neue Phase innerer Harmonie" und des Friedens zu schaffen.
Das saudische Außenministerium teilte mit, das Königreich stehe den Syrern und deren Entscheidungen "in dieser entscheidenden Phase der syrischen Geschichte" zur Seite. Die Einheit und der Zusammenhalt Syriens müsse geschützt werden, hieß es. Das Außenministerium in Katar rief dazu auf, "nationale Einrichtungen und die staatliche Einheit" zu bewahren, um ein Abdriften des Landes ins Chaos zu verhindern. Auch Katar stehe "unerschütterlich" hinter dem syrischen Volk und dessen Entscheidungen.
Biden: US-Soldaten bleiben in Syrien
Der scheidende US-Präsident Joe Biden verkündete unterdessen, dass amerikanische Soldaten vorerst in Syrien stationiert bleiben werden. Die USA werden nicht zulassen, dass die Terrormiliz IS das Machtvakuum nutzt, um ihren Einfluss auszuweiten, sagte Biden. Er sieht den Sturz von Assad auch als Resultat seiner eigenen Außenpolitik. "Die wichtigsten Unterstützer von Assad waren der Iran, die Hisbollah und Russland". Zuletzt sei deren Unterstützung jedoch zusammengebrochen, "denn alle drei sind heute viel schwächer, als sie es bei meinem Amtsantritt waren", sagte Biden.
Die US-Regierung werde Syriens Nachbarländer, darunter Jordanien, den Libanon, den Irak und Israel, unterstützen, falls in der Übergangsphase eine Bedrohung von Syrien ausgehen sollte, sagte Biden weiter. Er werde in den kommenden Tagen mit Staats- und Regierungschefs in der Region sprechen und ranghohe Beamte dorthin entsenden, so der US-Präsident. "Dies ist ein Moment erheblicher Risiken und Unsicherheit". Es sei aber zugleich für die Syrer die beste Chance seit Generationen, ihre eigene Zukunft zu gestalten.
Israel hat derweil seine Streitkräfte in die Pufferzone auf den besetzten Golanhöhen und anderen Orten, darunter auch auf der syrischen Seite des Berges Hermon, verlegt. "Seit gestern Abend sind wir an vier Fronten im Kampfeinsatz. Die Bodentruppen kämpfen an vier Fronten: gegen den Terrorismus in Judäa und Samaria, im Gazastreifen, im Libanon, und gestern Abend haben wir Truppen in syrisches Gebiet verlegt", sagte Israels Generalstabschef Herzi Halevi. "Wir werden es keiner feindlichen Kraft erlauben, sich an unserer Grenze zu positionieren", betonte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu.
Berichte über israelische Luftangriffe
Die israelische Luftwaffe habe laut Aktivisten nach dem Sturz Assads Einsätze im Raum der syrischen Hauptstadt Damaskus geflogen. Das Militär habe in der Nähe des Militärflughafens angegriffen, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Auch im Osten Syriens habe es Angriffe gegeben. Demnach wurden Waffenlager des syrischen Militärs und proiranischer Milizen getroffen. Zuvor hatte Israels Luftwaffe nach Medienberichten eine Chemiewaffenfabrik angegriffen aus Sorge, die Waffen könnten in die Hände von Rebellen fallen. Die israelische Armee äußerte sich dazu nicht.
Der Iran betonte, dass der Sturz Assads den Widerstand gegen Israel nicht stoppen werde. "Der Machtwechsel in Syrien könnte den weiteren Kurs der Widerstandsfront gegen das zionistische Regime (Israel) kurzfristig beeinträchtigen, aber definitiv nicht aufhalten", sagte Außenminister Abbas Araghchi. Der Widerstand gegen Israel sei "eine ideologische Mission und kein klassischer Krieg" und gehe daher weiter, sagte er dem Staatssender Irib.
Der plötzliche Umsturz des von Russland unterstützten syrischen Machthabers Assad erschüttert nach Ansicht des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) auch die Glaubwürdigkeit von Kremlchef Wladimir Putin bei seinen Verbündeten. Putin habe autoritäre Machthaber in verschiedenen Staaten vor Aufständen gegen ihre Macht gesichert, um mithilfe ausländischer Partner sein Ziel einer multipolaren Weltordnung zu fördern und die Vorherrschaft der USA zu untergraben, so das Institut in einer aktuellen Lagebewertung. "Russlands Unfähigkeit oder bewusster Verzicht darauf, Assads Regime trotz des raschen Vormarschs der Oppositionskräfte im ganzen Land zu stärken, wird auch Russlands Glaubwürdigkeit als verlässlicher und effektiver Sicherheitspartner weltweit beschädigen", heißt es in der Analyse. sl/mit dpa
Erstmeldung vom Sonntag, 8.12.2024, 17.30 Uhr: Syrien - Rebellen stürzen Assad, große Feiern auch in Franken
Länger als 13 Jahren dauert der Bürgerkrieg in Syrien. Am Ende geht es schnell. In Bayern feierten tausende Menschen das Ende von Assads Herrschaft in Syrien. Allein in Nürnberg gehen mehr als 2.000 Menschen auf die Straße.
Wie die staatliche Arme in Syrien bekannt gab, sei die Regierungszeit von Machthaber Al-Assad beendet. Das berichtete die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am Sonntag, 8. Dezember 2024, kurz nach 6 Uhr am Morgen. Die Nachricht sei demnach den Regierungssoldaten vom Armee-Kommando mitgeteilt worden, die Soldaten seien damit außer Dienst gestellt worden. Das hatte die dpa aus syrischen Militärkreisen erfahren.
Die islamistische Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) führt die Rebellenallianz an. Haiat Tahrir al-Scham bedeutet in etwa Organisation für die Befreiung (Groß-)Syriens. Diese Islamisten haben teilweise Kontakte zum türkischen Militär und zu Türkei-nahen Milizen. Die Europäische Union und die USA stufen HTS als Terrororganisation ein. Unklar ist, wer das gespaltene Land künftig regieren wird und ob Syrien einen geeinten Weg zur Demokratie findet.
Millionen Flüchtlinge hoffen
Millionen Flüchtlinge gibt der Sturz Assads Hoffnung, wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Insgesamt wurden fast 14 Millionen Menschen vertrieben, davon sind 7,2 Millionen im eigenen Land auf der Flucht. Die Türkei, Jordanien, der Libanon, Ägypten und der Irak haben die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Rund 700.000 Syrer leben als Flüchtlinge oder Asylbewerber in Deutschland.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte das Ende der Herrschaft von Al-Assad eine gute Nachricht. Er habe sein Volk auf brutale Weise unterdrückt und unzählige Menschen auf dem Gewissen. "Das syrische Volk hat entsetzliches Leid erfahren", sagte der Kanzler. Auch die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas begrüßte den Sturz.
Tausende feiern in Deutschland - auch in Franken
Allein in Berlin feierten Tausende den Sturz Al-Assads. Am Oranienplatz in Kreuzberg versammelten sich beispielsweise laut Polizei am Nachmittag rund 5.000 Menschen. In Nordrhein-Westfalen zählte die Polizei mehr als 2000 Menschen in mehreren Städten bei Kundgebungen.
In Nürnberg gingen nach Angaben der Polizei mehr als 2.000 Menschen auf die Straße und begrüßten den Abgang des Präsidenten. In Spitze seien 2500 Menschen vor Ort gewesen. Die Kundgebung am Kornmarkt verlief ohne besondere Vorkommnisse.
In Aschaffenburg demonstrierten laut Polizei etwa 800 Assad-Gegner. In Hof bejubelten 300 Assads Sturz. Viele fuhren anschließend in einem Autokorso durch die Stadt.
Rebellen: "Das Ende dieser dunklen Ära"
Al-Assad regierte seit dem Tod seines Vaters Hafis, der diktatorisch herrschte, im Jahr 2000. Es gab Protesten gegen ihn während des Arabischen Frühlings 2011. Aus der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste entwickelte sich ein Bürgerkrieg, den Assad nur mit militärischer Hilfe Russlands, des Irans sowie der libanesischen Hisbollah-Miliz politisch überlebte.
Die Rebellengruppe hatte die Offensive gegen die Regierungstruppen am 27. November begonnen. Am 7. Dezember erreichten sie die Hauptstadt. Augenzeugen berichteten, viele syrische Soldaten hätten ihre Uniformen ausgezogen, die wenigsten Gegenwehr geleistet. Die Armeeführung erklärte schließlich Assads Regierung für beendet und schickte die Soldaten nach Hause.
"Der Tyrann Baschar al-Assad ist geflohen", teilten die Aufständischen in sozialen Medien mit. "Wir verkünden, dass die Hauptstadt Damaskus (von ihm) befreit wurde." Der 8. Dezember markiere "das Ende dieser dunklen Ära" der Unterdrückung unter Assad und seinem Vater Hafis, die das Land mehr als 50 Jahren regierten.
Ist Abu Mohammed al-Dschulani der neue starke Mann?
Die Rebellen verhängten in Damaskus eine Ausgangssperre, die um 16.00 Uhr Ortszeit (14.00 Uhr MEZ) begann und am Montagmorgen um 5.00 Uhr (3.00 Uhr MEZ) enden soll. Nach den Worten ihres Anführers Abu Mohammed al-Dschulani will das Rebellenbündnis die Macht friedlich übernehmen. Öffentliche Einrichtungen in Damaskus "werden bis zur offiziellen Übergabe unter Aufsicht des früheren Ministerpräsidenten bleiben", teilte Al-Dschulani mit.
Die USA haben vor Jahren ein Kopfgeld von zehn Millionen US-Dollar (rund 9,5 Millionen Euro) auf den einstigen Extremisten ausgesetzt. Inzwischen gibt sich der 42-jährige Al-Dschulani, der mit bürgerlichen Namen Ahmed Hussein al-Scharaa heißt, moderat.
Die Rebellen ließen zahlreiche unter Assad Inhaftierte frei. Sie stürmten nach eigenen Angaben das berüchtigte Militärgefängnis Saidnaja nördlich von Damaskus, in dem unter anderem politische Gefangene inhaftiert waren. Wegen des brutalen Vorgehens im Gefängnis erhielt es unter den Syrern den Spitznamen "Schlachthaus".
Biden: Die außergewöhnlichen Ereignisse werden genau beobachtet
Im Zentrum von Damaskus brach nach Assads Flucht Jubel aus. Anwohner klatschten dort auf der Straße, einige waren beim Gebet zu beobachten, wie Augenzeugen berichteten. In sozialen Netzwerken machten Videos von Anwohnern die Runde, die auf einen Panzer klettern und feierliche Gesänge anstimmen. Der US-Sender CNN berichtete, dass Menschen Paläste von Al-Assad geplündert hätten.
Das Weiße Haus teilte mit, US-Präsident Joe Biden beobachtete die Ereignisse genau und stehe in ständigem Kontakt mit den regionalen Partnern. Zuvor hatte der designierte US-Präsident Donald Trump klargemacht, er wolle nicht, dass sich die USA in irgendeiner Form in die Krise in Syrien einmischten, weil das nicht ihr Kampf sei.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einem "historischen Tag in der Geschichte des Nahen Ostens". Bei einem Besuch auf den besetzten Golanhöhen sagte Netanjahu: "Das Assad-Regime ist ein zentraler Teil der iranischen Achse des Bösen - dieses Regime ist gestürzt."
Russland: Sind in Kontakt mit Rebellen-Gruppen
Das russische Außenministerium in Moskau erklärte, in Kontakt mit den Rebellen zu stehen. Seinen Militärstützpunkten drohe derzeit keine Gefahr, hieß es. Russland leistete seit 2015 militärische Unterstützung für Assad.
Russland unterhält in Syrien eine Luftwaffenbasis und einen Marinestützpunkt mit Kriegsschiffen im Mittelmeerhafen von Tartus. Für Russland hat die Präsenz dort strategische Bedeutung wegen des Zugangs zum Mittelmeer.
Der Iran ist einer der engsten Verbündeten Assads, will aber die Entscheidung des syrischen Volkes akzeptieren, so das Außenministerium. Aufständische stürmten die iranische Botschaft in Damaskus und verwüsteten sie laut iranischen Medienberichten. Alle Diplomaten und Mitarbeiter hätten die Botschaft jedoch bereits verlassen, so das Außenministerium in Teheran. Nach Angaben des russischen Außenministeriums sei der gestürzte Machthaber Assad außer Landes. Einen Ort nannte das Ministerium nicht.
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