Selenskyjs Kampf gegen Kriegsmüdigkeit
Autor: Andreas Stein und Ulf Mauder, dpa
, Freitag, 29. Dezember 2023
Vor Beginn des dritten Jahres des russischen Angriffskriegs steckt die Ukraine militärisch in einer Sackgasse. Der Druck auf Selenskyj wächst. Können er und das Land den Kampf 2024 gewinnen?
Für den von fast zwei Kriegsjahren gezeichneten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dürfte 2024 das Schicksalsjahr werden. Zwar kann der 45-Jährige trotz Russlands Invasion stolz auf den Beginn der Verhandlungen für einen EU-Beitritt verweisen. Aber der vor einem Jahr versprochene Sieg über Moskaus Invasion ist nicht in Sicht.
Die Gegenoffensive der Streitkräfte zur Befreiung der von Russland besetzten Gebiete gilt als gescheitert. Von einem Stellungskrieg, einem Patt, einer Sackgasse ist im zweiten Kriegswinter die Rede. Und auch die Solidarität im Westen für das um sein Überleben kämpfende Land bröckelt.
Russland kontrolliert weiter rund ein Fünftel des Staatsgebiets der Ukraine. Zehntausende Menschen sind getötet worden in diesem schlimmsten Blutvergießen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Damit wächst der Druck auf Selenskyj nicht nur im Land selbst, sondern auch international, Ergebnisse zu liefern.
Doch Selenskyj gibt sich kämpferisch. «Die Ukraine wird ihre Stärke und ihre Freiheit nicht verlieren», betonte er Ende November. «Am Ende wird die Dunkelheit verlieren. Das Böse wird besiegt», sagte er in seiner Weihnachtsbotschaft. Der Präsident warnt vor Kriegsmüdigkeit oder gar vor einem Einfrieren des Konflikts, weil dies nur Russland helfe, militärisch wieder stärker zu werden.
Vor allem aber ist Selenskyj trotz zunehmender Rufe nach Verhandlungen weiter fest entschlossen, den Konflikt auf dem Schlachtfeld auszutragen. Er will Russland möglichst eine strategische Niederlage zufügen, das Land so sehr schwächen, damit es niemals wieder eine solche Aggression lostreten könne. «Russlands Niederlage bedeutet Sicherheit für Europa», sagte er.
Schwere Zeiten für Selenskyj - Kiew ringt um weitere Hilfe
Für einen Sieg sind Selenskyj und die Ukraine allerdings weiter auf internationale Hilfe angewiesen. Und die schwindet - auch wegen des Gaza-Krieges, der viel Aufmerksamkeit der USA und anderer Verbündeter von der Ukraine abzieht. Auch die US-Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr legt sich bereits jetzt wie ein Schatten über die Unterstützung im Krieg. Anhänger des ins Amt strebenden Ex-Präsidenten Donald Trump unter den Republikanern blockieren die neuen, dringend im Abwehrkampf benötigten finanziellen und militärischen Hilfspakete für das Land.
Die Europäische Union soll einspringen, kann aber die USA bisher weder bei der Munitionslieferung noch beim Geld ersetzen. Dem Präsidenten bereitet das Sorgen. Hinzu kommen Probleme im eigenen Land, etwa beim Kampf gegen die Korruption, bei der Gewährleistung der Energiesicherheit im Winter und bei der Mobilisierung von Soldaten für den Krieg. Seit langem verlangen die Kommandeure mehr Personal an der Front, um die westlichen Waffen zu bedienen. Aber Selenskyj zaudert - auch weil die geforderten bis zu 500.000 Soldaten Milliardenkosten verursachen.