«Schlächter von Chan Junis»: Israel will Hamas-Chef töten
Autor: Sara Lemel, dpa
, Donnerstag, 16. November 2023
Er saß mehr als zwei Jahrzehnte lang in israelischer Haft, hat dabei systematisch Hebräisch gelernt. Der tiefgläubige Islamist gilt als besonders brutal, auch gegen Palästinenser. Wer ist Jihia al-Sinwar?
           
Dieser Mann steht ganz oben auf Israels Abschussliste: der Chef der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar. Der 61-Jährige sowie alle anderen für das Massaker am 7. Oktober Verantwortlichen seien dem Tod geweiht, sagte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Sinwar gilt gemeinsam mit Mohammed Deif, Kommandeur des bewaffneten Arms der Terrororganisation Hamas, als Planer des Überraschungsangriffs, bei dem rund 1200 Israelis getötet wurden. Bei dem Militäreinsatz im Gazastreifen will Israel jetzt beide aufspüren.
Sinwar, ein drahtiger, bärtiger Mann mit kurzgeschorenem weißen Haar, buschigen dunklen Augenbrauen und markanten Zügen, gehört zur Gründergeneration der Hamas. Geboren wurde er 1962 im Flüchtlingslager von Chan Junis im Süden des Gazastreifens. Seine Familie stammt aus der Gegend der Küstenstadt Aschkelon, heute auf israelischem Staatsgebiet.
Die Hamas formierte sich während des ersten Palästinenseraufstands Intifada Ende der 1980er Jahre im Kampf gegen die israelische Besatzung. Sinwar war auch am Aufbau des militärischen Hamas-Arms, der Kassam-Brigaden, beteiligt. Nach Beginn des Friedensprozesses zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO verübte die Hamas über Jahre blutige Selbstmordanschläge in Israel, um diesen zu torpedieren.
Äußerst brutal auch gegen die eigenen Leute
Sinwar war in den Anfangsjahren der islamistischen Bewegung für den Kampf gegen mutmaßliche Kollaborateure mit Israel in den eigenen Reihen zuständig. Dabei ging er so brutal vor, dass er als «Schlächter von Chan Junis» bekannt wurde.
Wegen des Mordes an vier mutmaßlichen Kollaborateuren und zwei israelischen Soldaten wurde Sinwar 1988 von Israel verurteilt. Er verbrachte mehr als zwei Jahrzehnte in israelischer Haft. Diese Zeit nutzte er, um Hebräisch zu lernen und den Feind zu studieren. Nach Medienberichten las er systematisch Bücher über prominente zionistische und israelische Persönlichkeiten, darunter auch die früheren Regierungschefs Menachem Begin und Izchak Rabin. Ziel sei es gewesen, ein tiefes Verständnis der israelischen Gesellschaft zu gewinnen, im Sinne von «Kenne deinen Feind». Auch israelische Medienberichte soll Sinwar aufmerksam verfolgt haben.
Im Verhör durch den Inlandsgeheimdienst Schin Bet 1989 beschrieb Sinwar, wie er die vier Palästinenser jeweils mit eigenen Händen ermordet hatte. Einen von ihnen habe er etwa nach dessen Entführung auf einen Friedhof in Chan Junis gebracht. «Ich habe ihm die Augen verbunden, ihn in ein offenes Grab getan und mit einem Tuch erwürgt», sagte Sinwar laut Verhörprotokoll. Anschließend habe er das Grab zugeschüttet. Auch einen anderen angeblichen Kollaborateur habe er mit einem Palästinensertuch erwürgt.
Mussab Hassan Jussef, Sohn eines Hamas-Mitbegründers, erzählte über Sinwar: «Er hat im Gefängnis jemanden geköpft, weil er ihn der Zusammenarbeit mit Israel verdächtigte, und benutzte dabei das Waschbecken im Badezimmer. Gnadenlos. Und das ist der Mann, der heute in der Hamas im Gazastreifen das Sagen hat.» Jussef war selbst vom israelischen Geheimdienst angeworben worden und hat sich von der Hamas losgesagt.