Putins Traum von der Großmacht und die Folgen für Deutschland
Autor: Werner Diefenthal
Deutschland, Freitag, 23. Sept. 2022
Mit der Wende 1989 zerfiel auch die Sowjetunion. Das einstige Riesenreich musste den Verlust einiger Länder hinnehmen. Will Putin die alten Grenzen wieder herstellen?
- Welche Ziele hat Wladimir Putin?
- Wie will er sie erreichen?
- Was hätte es für Folgen?
1989 fiel die Mauer zur DDR, der Ostblock zerfiel. Damit auch immer mehr die Sowjetunion. Die Mitgliedsländer strebten nach Unabhängigkeit und erreichten sie auch. Doch Wladimir Putin, so scheint es, will die Uhr zurückdrehen und die alten Grenzen wieder herstellen. Oder will er noch mehr? Wie geht er vor?
Putins Trauma
Die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts, so nennt Wladimir Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion. Dieses Ereignis sei für ihn eine Tragödie und habe ein Trauma in ihm ausgelöst. 40 Prozent seines historischen Gebietes habe die Sowjetunion damals verloren. Und seit er an der Macht ist, arbeitet er daran, die in seinen Augen verloren gegangenen Gebiete wieder zurückzuholen, die inzwischen unabhängig gewordenen Länder wieder an sich zu binden. Dazu scheint ihm jedes Mittel recht zu sein, auch ein brutaler Angriffskrieg.
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Mit dem Zerfall der Sowjetunion ging auch der Verlust des Großmachtstatus einher. Für viele Bürger*innen und Kremlchef Putin war es eine Demütigung. Es fiel ihnen schwer, sich damit abzufinden, dass sie nicht mehr das natürliche Recht haben sollten, ihre Nachbarschaft zu dominieren und auch jenseits ihrer Grenzen Einfluss auszuüben. Bereits 1992 führte man die Bezeichnung "Mitbürger im Ausland" für all diejenigen ein, die sich kulturell und sprachlich mit der damaligen Russischen Föderation verbunden fühlten, aber außerhalb der Grenzen lebten, also auch für all diejenigen, die in den aus russischer Sicht abtrünnigen Republiken leben mussten. Russland habe als Schutzmacht eine Verantwortung für die russischsprachigen Landsleute im Ausland, argumentiert der Kreml. Diese Darstellung ist im Sinne Putins, der seine Expansionspolitik darauf ausrichtet.
In den postsowjetischen Staaten, wie beispielsweise der Ukraine, leben auch heute noch viele Menschen, die zwar Russisch sprechen, die sich dennoch als Ukrainer sehen. Der Kreml definiert jedoch Landsleute mit flexiblen und willkürlich auslegbaren Kriterien, wie zum Beispiel einer mit dem russischen Staat gemeinsamen Geschichte, Sprache oder kulturellem Erbe bis hin zu Personen, deren direkte Verwandte irgendwann einmal auf dem Gebiet der Russischen Föderation oder der Sowjetunion gelebt haben. Damit sind diese Menschen, auch gegen ihren Willen, "Landsleute" und unterstehen dem direkten "Schutz" des Kreml. Moskau versuchte immer, diese Menschen mit kulturellen, wirtschaftlichen oder diplomatischen Mitteln zu erreichen, notfalls auch unter Einsatz von militärischen Mitteln. Putins Angriffe auf Georgien und aktuell auf die Ukraine zeigen, dass es nicht alleine bei Drohungen bleibt.
Heiligt für Putin der Zweck die Mittel?
Als Wladimir Putin 2014 die Krim annektierte, berief er sich auf die zur Doktrin erhobenen Idee der "Russischen Mitbürger im Ausland". Das russische Volk wäre gegen seinen Willen geteilt worden, so seine Auffassung. In seinen Augen ist das Ende der Sowjetunion das Ergebnis einer heimtückischen Täuschung durch den Westen und wäre nicht die Befreiung Russlands vom sowjetischen Totalitarismus, sondern eine Niederlage im Kalten Krieg gewesen.
Heute inszeniert sich Putin als Garant der Sicherheit der russischen Welt und nimmt für sich in Anspruch, überall zu intervenieren, wo Russen sich bedroht fühlen. Nachdem er 2014 bereits die Krim annektiert und aktuell einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, kann dies unter Umständen bedeuten, dass er im weiteren Verlauf auch nach den anderen Ländern greift, die sich seinerzeit von der Sowjetunion abgespalten haben. Die Angst vor dem Griff nach Moldau, Georgien und anderen Staaten wächst. Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew hat bereits auf Telegram eine Annexion von Georgien und Kasachstan angedeutet. Er bezeichnete diese Länder als künstliche Staaten und erklärte, dass bald alle Menschen, die in der einst großartigen und mächtigen UDSSR zusammengelebt haben, bald wieder in Freundschaft zusammenleben werden. Später behauptete er, sein Account wäre gehackt worden.