Niederlande für «Pitbull auf Hacken» oder «Heiliger Pieter»?
Autor: Annette Birschel, dpa
, Freitag, 17. November 2023
Ende einer Ära: Gut 13 Jahre war der Rechtsliberale Mark Rutte Premier. Nun tritt er nicht mehr an. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zeichnet sich ab. Und der Rechtspopulist Wilders wittert Chancen.
Das «torentje» in Den Haag ist die berühmteste Adresse der Niederlande, der Amtssitz des Ministerpräsidenten. Das mittelalterliche Türmchen mit Aussicht auf den Hofteich ist seit mehr als 13 Jahren das Reich von Mark Rutte. Doch nun wird sein Nachfolger gesucht. Am Mittwoch wählen die Niederländer ein neues Parlament und stellen damit die Weichen für eine neue Ära - ohne Rutte.
Nach nur knapp 18 Monaten war seine Mitte-Rechts-Koalition im Sommer nach Streit über die Migrationspolitik geplatzt. Es war die vierte Regierung Rutte, und der 56-Jährige gab kurz darauf seinen Abschied aus der nationalen Politik bekannt. Viele machten es ihm nach. Fast alle Parteien treten nun mit neuen Spitzenkandidaten an. Einer von ihnen aber stiehlt allen die Schau: Pieter Omtzigt.
Pieter Omtzigt
Der 49-Jährige ist seit gut 20 Jahren Abgeordneter in der Zweiten Kammer des Parlaments - bis 2021 für die Christdemokraten. Erst im August gründete er seine eigene konservative Partei: NSC - Neuer Sozialer Vertrag. Und damit erzielt er Spitzenwerte in den Umfragen.
«Omtzigt ist ein Phänomen», sagt Sheila Sitalsing, politische Kommentatorin der Zeitung «De Volkskrant». «Er ist langweilig, farblos, eine Art Anti-Held.» Entscheidungsfreudig ist er auch gerade nicht. Er zweifelt sogar, ob er überhaupt Premier werden will. «Mir geht es um den Inhalt, nicht um die Macht», sagt er. Omtzigt will, dass das Land anders und besser geführt wird. Sein Hauptthema ist zu alledem auch so sexy wie ein Heißwasserboiler: Erneuerung der Verwaltung.
Das trifft aber den Nerv der Wähler, auch wenn keiner genau weiß, was eigentlich anders werden soll. «Es herrscht große Unzufriedenheit», sagt Peter Kanne, Meinungsforscher beim Institut I&O in Amsterdam. «Viele finden, dass das Land nicht gut funktioniert, dass der Staat nicht mehr liefert: Bei Polizei, Schulen, Gesundheitssystem.» Hinzu kommen große Affären in den vergangenen Jahren.
Omtzigt als Erlöser?
Symptomatisch für das Versagen des Staates ist die Affäre um Kinderbeihilfen. Schätzungsweise 25.000 Eltern mussten wegen vermeintlichen Betruges Zehntausende Euros bezahlen, nur weil sie kleine Formfehler begangen hatten. Die Folgen für die Familien waren katastrophal. 2021 trat die dritte Regierung-Rutte deswegen zurück.
Einer der Politiker, die sich seit Jahren hartnäckig für die Opfer einsetzen, ist Pieter Omtzigt. Und das verschafft ihm Glaubwürdigkeit, sagt die Publizistin Sitalsing. «Die Wähler vertrauen ihm, sehen in ihm eine Art Erlöser.» Manche nennen ihn schon «Heiliger Pieter.»