Gasvorkommen entdeckt: Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland brodelt - was bedeutet das?
Autor: Werner Diefenthal
Deutschland, Dienstag, 25. Oktober 2022
An der Grenze von Europa nach Asien schwelt ein Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei. Worum geht es dabei und was macht diesen Konflikt besonders brisant?
- Worum geht es bei dem Konflikt?
- Was sind die Streitpunkte?
- Warum ist der Konflikt für die NATO besonders brisant?
- Was bedeutet er für die EU?
- Kann man den Konflikt lösen?
- Droht hier ein Krieg?
Zwischen dem EU-Mitgliedsstaat Griechenland und dem EU-Anwärter Türkei schwelt lange schon ein Konflikt. Besonders brisant: Beide Staaten gehören der NATO an. Doch worum geht es eigentlich genau? Wie könnte man den Konflikt beilegen? Und was würde ein offener Krieg für die NATO und die EU bedeuten?
Türkei und Griechenland – Zwei Länder im Konflikt
Zwei Länder. Zwei Kontinente. Während Griechenland in Europa liegt, liegt die Türkei fast komplett in Asien. Nur drei Prozent der Landfläche der Türkei liegt in Europa, Istanbul liegt dabei als einzige Stadt der Erde auf zwei Kontinenten. Das Mamarameer und zwei Meerengen trennen den europäischen vom asiatischen Teil ab. Demzufolge liegen auch fast alle Grenzen zu Griechenland im Meer. Nur auf Zypern und entlang des Flusses Evos grenzen die beiden Länder aneinander. Und genau an dieser Grenze gibt es Spannungen, die allerdings aus einem anderen Grund auftreten.
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Türkei und Griechenland streiten über den Status von Inseln im nordöstlichen Mittelmeer, genauer gesagt um die Inseln Lesbos und Samos. Laut internationalen Verträgen, die nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg geschlossen wurden, und in denen zunächst das Osmanische Reich und später Italien etliche Inseln an Griechenland zurückgeben mussten, darf dort kein Militär stationiert werden. Die Türkei hat mittels Bildern, welche von Drohnen aus gemacht wurden, belegt, dass gepanzerte Fahrzeuge nach Lesbos und Samos, welche offiziell zu Griechenland gehören, gebracht worden sind. Die griechische Regierung bestreitet dies nicht, sondern macht das Selbstverteidigungsrecht geltend, da die Türkei angeblich auf gegenüberliegenden Inseln Landungsboote für einen Angriff stationiert habe. Die Türkei wiederum beschuldigt Griechenland, durch die Aktionen gegen die Auflagen zu verstoßen, unter denen es die Inseln erhalten habe, und stellt deshalb den griechischen Anspruch infrage – und zwar auf die Inseln Lesbos, Chios, Samos und Ikaria sowie auf die Dodekanes-Inseln, die ebenfalls vor der türkischen Küste liegen, darunter auch die größte davon: Rhodos.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan beruft sich auf zwei Verträge. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Griechenland zu den Siegermächten gehört. Im Vertrag von Sévres 1920 wurde das Osmanische Reich, das zu den Verlierern gehörte, auf Kleinasien reduziert. Doch Griechenland wollte mehr und zettelte einen Krieg gegen das Osmanische Reich an, der damit endete, dass Kemal Pascha (bekannt als Kemal Atatürk) und seine Truppen siegreich gegen die Griechen waren. Im Vertrag von Lausanne von 1923 wurden die Grenzen der neuen Republik Türkei festgelegt. Damit fielen die Inseln Lesbos, Samos, Chios und Ikaria an Griechenland. Im Vertrag von 1947 musste Italien die Dodekanes-Inseln an Griechenland abtreten. Da Athen jetzt widerrechtlich auf den Inseln Militär stationiert habe, wäre dies ein Bruch des Vertrages und damit stünde die griechische Souveränität über die Inseln infrage. Griechenland hingegen behauptet, die einzige Differenz mit der Türkei sei die Abgrenzung der Meereszonen beider Länder, nämlich des Festlandsockels und der Ausschließlichen Wirtschaftszone. Das Problem ist, dass beide Länder unterschiedliche Auslegungen vorbringen. Griechenland argumentiert, dass auch Inseln diese Meereszonen beanspruchen können, was nach dem Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen möglich wäre. Die Türkei hingegen verneint dies jedoch vehement.
Worum geht es in Wahrheit?
Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sind weltweit die Gaspreise in die Höhe geschossen. Dies spüren auch Griechenland und die Türkei. Um dem entgegenzuwirken und die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu beenden, suchen beide Länder nach eigenen Gasvorkommen. Und wurden fündig. Vor allem um die Insel Kastelorizo werden große Mengen an Gas vermutet. Eine kleine Insel mit gerade mal 500 Einwohnern, mehr ein Felsen als eine Insel. Die Lage der Insel ist jedoch prekär: Sie liegt nur drei Kilometer vor der türkischen Küste und 125 Kilometer von der nächsten größeren griechischen Insel Rhodos entfernt. Allerdings gehört sie faktisch zu Griechenland. Und genau damit will Erdogan sich nicht abfinden. Bereits 2020 ließ der türkische Präsident dort Probebohrungen vornehmen, unterstützt von türkischen Kriegsschiffen.
Doch nicht nur dort, sondern im gesamten östlichen Mittelmeerraum wurden Gasvorkommen entdeckt. Diese sollen etwa dem fünfzigfachen Jahresverbrauchs Frankreich entsprechen. Weitere 3,5 Billionen Barrell sollen zwischen Zypern, Ägypten, Israel und dem Libanon schlummern, dazu noch etwa 1,7 Milliarden Barrell Rohöl. Diese Vorkommen bedeuteten bereits vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gewaltige Gewinne, die jetzt noch gewaltiger erscheinen. Wer in der Lage ist, diese auszubeuten, dem winken am Ende weitere wirtschaftliche Gewinne, da sich andere Staaten ihnen zuwenden.