Druckartikel: "Kein Plan für die Zeit danach": Wirtschaftsweise prangert bei Illner zu kurz gedachte Regierungsbeschlüsse an

"Kein Plan für die Zeit danach": Wirtschaftsweise prangert bei Illner zu kurz gedachte Regierungsbeschlüsse an


Autor: Doris Neubauer

, Freitag, 14. November 2025

Während Union und SPD über Erfolge der "Arbeitskoalition" sprechen, forderte Wirtschaftsweise Veronika Grimm bei "Maybrit Illner" echte Strukturreformen. Ihre harte Kritik: "Übergangsmaßnahmen" wie der Industriestrompreis oder die geplante Rentenreform könne sich Deutschland nicht leisten. Zudem fehle der "Plan für die Zeit danach".


Auf die Einführung eines staatlich subventionierten Industriestrompreises hatte sich die "Arbeitskoalition" beim jüngsten Koalitionsausschuss unter anderem geeinigt. Während Union und SPD damit Signale setzen wollten, fand die Wirtschaftsweise Veronika Grimm in Maybrit Illners Talkshow zum Thema "Kein Aufschwung, kein Vertrauen - Zerreißprobe für Schwarz-Rot?" harte Worte: "So richtig los geht es nicht, und es braucht deutlich mehr, als gerade verhandelt wird", forderte sie echten Strukturwandel statt einzelner "Übergangsmaßnahmen" wie dem Industriestrompreis.

"Wir kaufen uns gerade Zeit", verteidigte der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer (SPD), die Beschlüsse, "wenn wir da nichts tun, verlieren wir die Grundlage unseres Wohlstands von morgen." Doch Grimm hielt dagegen: "Wir haben keinen Plan für die Zeit danach", kritisierte die Expertin, "wir können nur Zeit kaufen, wenn wir wissen, wohin die Reise geht."

Die Latte hinge höher: "Wenn Sie sich die Finanzplanung des Bundesplans anschauen, dann sehen Sie, dass 2029 die Posten Sozialausgaben, Verteidigungsausgaben und Zinskosten die gesamten Einnahmen des Bundes aufzehren", benannte sie die Riesenherausforderung und die gebotene Dringlichkeit. "Alles, was Sie darüber hinaus machen, müssen Sie über Verschuldung machen."

Deutschland sei ein "tolles Land", aber: "Wir müssen uns eben 'zusammenraufen' und die Probleme angehen", sprach sie Klartext, "und das bedeutet, wir müssen Spielräume im Haushalt schaffen über kostensenkende Reformen. Und: Wir brauchen Wachstum."

Reiner Haseloff: "Wir verlieren unsere Leitindustrien, die für unsere Volkswirtschaft drastisch wichtig sind."

Wie beides gelingen könnte, wollte Maybrit Illner am Donnerstagabend von den geladenen "Pragmatikern und Realpolitikern" Schweitzer und dem CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt wissen. 70 bis 80 Prozent der heimischen Strukturprobleme seien seiner Meinung nach in Brüssel gemacht. Beschlüsse wie der Green Deal oder der Zertifikatehandel werden in Deutschland noch verstärkt, wodurch man den heimischen Industrien - Automobilwirtschaft, Stahl oder Chemie - einen Wettbewerbsnachteil verpasse. Dieser müsse aufgebrochen werden, sprach sich Haseloff zusätzlich für nationale Subventionen aus.

Außerdem appellierte er an die Resilienz: "Wir müssen auch eine Selbsterhaltungskraft haben, dass wir (...) von Industrie bis hin zu Stahl, die wir auch für Verteidigungs- und Aufrüstungsaktivitäten benötigen, dass wir das nicht weggeben und den Stahl vom Russen einführen und ihn danach mit dem Panzer konfrontieren, damit er bei uns nicht einmarschiert", zeichnete er düsteres Bild und warnte: "Wir verlieren unsere Leitindustrien, die für unsere Volkswirtschaft drastisch wichtig sind."

"Halten um jeden Preis", lautete auch das Motto von Schweitzer. Man müsse "über den Schatten springen" und den Industrieunternehmen durch Subventionen die Zeit zu geben, den Umbau hinzubekommen.

Es waren Aussagen, bei denen Grimm Schnappatmung bekam, wie Illner bemerkte. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sei einfach schlecht, "und das wegzusubventionieren, wird eine Verschwendung von Geld sein", führte sie aus. Das Argument, sich durch das Halten bestimmter Industrien von der Außenwelt unabhängig machen zu können, ließ sie nicht gelten: "Das Eisenerz importieren wir ja auch." Sinnvoller sei es, sich auf einen "zukunftsgerichteten Strukturwandel" einzulassen und auf Wachstum im Hochtechnologiebereich, in KI, auf Gentechnik, Pharmaindustrie und Medizin zu setzen. "Nur dann werden wir den Menschen gute Arbeitsplätze auch morgen versprechen können", fügte sie hinzu.

Allerdings stehe sich Deutschland durch Regulierungen selbst im Weg und bremse technologischen Fortschritt aus. So verhindere etwa der fehlende Datenaustausch den Durchbruch beim autonomen Fahren, nannte sie ein Beispiel.

Alexander Schweitzer (SPD): "Wir reden nicht über ein Charity-Projekt"

Doch nicht nur in Sachen Wachstum ortete die Wirtschaftsweise Mängel, auch bei den kostensenkenden Reformen gehe die Koalition in die falsche Richtung: "Die Rentenreformen, die geplant sind, lassen die Kosten steigen - das können wir uns nicht erlauben", warnte sie. "Die Menschen werden den Generationenvertrag aufkündigen, weil er nicht finanzierbar ist." Dabei gebe es gute Vorschläge: Von der Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung, dem Einsetzen des Nachhaltigkeitsfaktors bis hin zu einer sinnvollen Härtefallregelung statt der Rente ab 63. Auch stärker in eine kapitalmarktorientierte Rente zu gehen, gehöre dazu.

"Das Hauptproblem ist, dass wir einen Riesenbatzen Geld an versicherungsfremden Leistungen aus dem Bundeshaushalt finanzieren müssen und nicht über das Umlagesystem, wofür es eigentlich geschaffen wurde", pflichtete ihr Haseloff bei, "das kann nicht weiter anwachsen, da muss uns mehr einfallen". Zwar wolle er den hartarbeitenden Leuten nichts wegnehmen, Fakt sei aber: "Finanziell ist das nicht zu wuppen." Also müsse man über eine Umsortierung sprechen, wollte er auch Punkte wie das Bürgergeld und andere Sozialleistungen sowie die Migrationspolitik miteinbeziehen. Deutschland müsse sich erst konsolidieren, "bevor wir an anderen Stellen Hilfe leisten".

"Wir reden nicht über ein Charity-Projekt", hielt Schweitzer dagegen und verlangte Verlässlichkeit für diejenigen, die von der umlagefinanzierten Rente leben. Die geplante Rentenreform müsse nicht nur durchgehen, weil es die Sache gebiete. "Verträge sind einzuhalten", mahnte er mit Blick auf den Koalitionspartner CDU und den gemeinsamen Koalitionsbeschluss. "Die SPD macht ja auch ein paar Sachen mit, die nicht so Spaß machen - das muss man aushalten", forderte er Kompromissbereitschaft. Gleichzeitig plädierte er dafür, den Sozialstaat besser zu organisieren: "Wir haben einen Sozialstaat, als wären wir noch bei Bismarck. Er ist nicht digital, er ist nicht schlank."

Dass es dazu komme, hänge laut "WELT"-Vizechefredakteur Robin Alexander derzeit in der Luft: Nicht nur die Jungen Abgeordneten der CDU stellen sich gegen die geplante Rentenreform, auch die Arbeitnehmergruppe und der Mittelstand seien dagegen, wusste er: "Da läuft ein richtig großes Problem auf."

Quelle: teleschau – der mediendienst