"Ich mache 28 Tage im Jahr blau": Mitarbeiter im öffentlichen Dienst packt in ZDF-Doku aus
Autor: teleschau - Madeleine Londene
, Mittwoch, 28. Mai 2025
Der Krankenstand in Deutschland hat ein neues Rekordhoch erreicht, im internationalen Vergleich sind wir Spitzenreiter. Was sind die Gründe? Und wie sieht das in anderen Ländern aus? Mitri Sirin spricht mit Firmenchefs, einem Lieferfahrer und Expat in Spanien - und mit einem chronischen Blaumacher.
Einblick in das Textilunternehmen Trigema in Burladingen, Schwäbische Alp: Nähmaschinen rattern, Mitarbeitende schneiden, falten und bügeln, auf ihren Arbeitstischen stapeln sich Berge an Sportklamotten - mittendrin Mitri Sirin, wie er sich seinen Weg zur Gruppenleiterin Carola Huber bahnt. Seit über 100 Jahren stellt Trigema Freizeit- und Sportbekleidung her, Huber arbeitet bereits seit 1981 hier. "Achtet denn ihr Betrieb darauf, dass es den Arbeitnehmer:innen gut geht?", fragt Sirin in der neuen ZDF-Doku "Am Puls mit Mitri Sirin - Blaumacher-Republik Deutschland?". Huber nickt: "Wir haben eine Gesundheitsfrau, die kommt und schaut, dass die Leute richtig sitzen, es gibt sogar Gymnastik."
Pause für die Mitarbeitenden. Auf dem Flatscreen hinter Huber und Sirin erscheint ein Video. Ein Avatar in Fitnessklamotten macht Dehnübungen vor, die Mitarbeitenden strecken ihre Gliedmaßen im Einklang - sie scheinen die Routine schon gut zu kennen. Anschließend ein Gespräch mit dem Betriebsrat Karl-Josef Schoser. "Es gibt schon zwei bis drei Personen, die sich wegen jeder Kleinigkeit krankschreiben lassen, einige Kollegen denken dann, der simuliert", sagt er in einem breiten Schwäbisch: "Manche sind gleich eine Woche weg."
Dabei würden Mitarbeitende mit einem 50 Euro Tank-Gutschein belohnt werden, wenn sie sich wenig krankmelden. Nicht besonders nachhaltig - aber es scheint zu wirken. Der Krankenstand ist bei Trigema niedriger als im Bundesdurchschnitt.
Deutsche Unternehmen zahlen 77 Milliarden pro Jahr für Lohnfortzahlungen
Woran liegt das? Die Deutschen hatten schon immer recht viele Krankheitstage. Doch der größte Sprung zeigt sich während Covid: Waren es 2018 noch 10,6 Tage stieg die Zahl 2024 auf 14,8 pro Kopf. Das Problem: Die Krankheitskosten bleiben bei den Unternehmern hängen.
2023 mussten deutsche Unternehmen rund 77 Milliarden Euro für Lohnfortzahlungen aufbringen. Zum Vergleich: Für das Bürgergeld werden nur 24 Milliarden aufgewendet. Trigema-Gründer Wolfgang Grupp hat einen Vorschlag: Bei Krankheitstagen sollte es nur noch 80 Prozent Lohnfortzahlung geben. "Wir brauchen die Verantwortung und Haftung zurück. Vor allem Chefs müssen das vorleben, was sie von ihren Mitarbeitenden verlangen."
Ist es zu einfach, sich in Deutschland krankschreiben zu lassen? Ein Cut nach Frankfurt. Besuch in der Praxis der Allgemeinmedizinerin Jenifer Blythe. Das Wartezimmer ist knallvoll. Auch heute hätte Blythe schon zig Krankheitsmeldungen ausgestellt. "Covid spielt immer noch eine Rolle, die psychische Belastung hat seitdem zugenommen", sagt die junge Ärztin, die Haare zu einem blonden Zopf gebunden. Viele Krankeschreibungen stellt Blythe am Telefon aus. Aber kann man so erkennen, ob jemand wirklich krank ist? "Absolut sicher kann man sich nie sein. Pro Tag habe ich bis zu 40 Patient:innen, die sich krankmelden wollen. Wir wären handlungsunfähig, wenn wir alle vor Ort in der Praxis sehen würden", sagt Blythe.
Privatdetektiv: "Da folgt dann oft mal die fristlose Kündigung"
Sirin recherchiert im Internet. Auf TikTok findet er Tutorials, wie man bei Arztgesprächen am besten simuliert, Tipps, wie man am einfachsten blaumachen kann. Online organisiert er sich einen AU-Schein. Für einen Aufpreis von 4,99 Euro bekommt er eine Krankschreibung, die länger als sieben Tage gilt. Das Ganze dauert nur wenige Minuten. Ein rechtlicher Graubereich - aber möglich. Im Internetforum Reddit schreiben User: "Mal ein Kater am Morgen oder ein Mittwoch frei, damit die Woche entspannter ist" oder "Ein bisschen simulieren geht immer". Haben die Deutschen ihr Verhältnis zur Arbeit geändert?