In der ARD-Doku "Wie zerrissen ist Deutschland?" geht Jessy Wellmer der Frage auf den Grund, wie gespalten die Gesellschaft wirklich ist. Dabei trifft die "Tagesthemen"-Moderatorin auf eine Senioren-Tanzgruppe, die vor zwei Jahren wegen angeblicher "kultureller Aneignung" in den Schlagzeilen stand.
Gendern, Diversity, Wokeness - lange sah es so aus, als würden Begriffe wie diese für einen progressiven Zeitgeist stehen. Doch inzwischen scheint das Pendel mehr und mehr in die andere Richtung auszuschlagen. Konservative Werte rücken wieder in den Vordergrund. In der ARD-Doku "Wie zerrissen ist Deutschland? - Der Streit um Werte, Meinung und Macht" stellt Jessy Wellmer die Frage nach dem aktuellen Stimmungsbild. Die "Tagesthemen"-Moderatorin erkennt einen "Kulturkampf, in dem es auch um Meinungsfreiheit geht".
Die erste Station für Jessy Wellmer bei ihrer Reise durch Deutschland ist Mannheim. Hier hatte eine Senioren-Tanzgruppe im Jahr 2023 für mächtig Wirbel gesorgt, als sie bei der Bundesgartenschau (BUGA) Kostümtänze aufführen wollte. Die BUGA schritt ein, weil sie einige der Verkleidungen - unter anderem Sombreros und Kimonos - für "eine Form der kulturellen Aneignung" hielt und deshalb als unangemessen betrachtete. "Was dann folgte, ist beispielhaft für den Kulturkampf in Deutschland", kommentiert Wellmer den Vorfall.
Empörte Seniorin zieht Lederhosen-Vergleich: "Da sagt kein Mensch etwas"
Plötzlich war die Senioren-Tanzgruppe bundesweit in den Schlagzeilen. Mehr als zwei Jahre später kann Erika Schmaltz noch immer nicht nachvollziehen, warum ihr AWO-Balett damals ohne bestimmte Verkleidungen auftreten musste: "Kulturelle Aneignung - ich sag Ihnen ehrlich, ich wusste gar nicht was das ist." Die ganze Aufregung sei für sie "total unverständlich" gewesen: "Ich fand das unmöglich, wie man überhaupt darüber diskutieren kann", sagt sie: "In Bayern laufen sie alle mit Dirndl und Lederhosen rum, ob sie Bayern sind oder nicht. Besonders die Japaner kommen alle mit Dirndl und Lederhosen, da sagt kein Mensch etwas."
Später ist eine aktuelle Aufführung der Senioren-Tanzgruppe zu sehen. Dabei spricht Erika Schmaltz ins Mikrofon: "Warum dürfen wir alten Omas keinen Sombrero aufsetzen? Versteht kein Mensch." Dann erscheinen die Damen in stereotypen Mexiko-Outfits - natürlich mit Sombrero - und legen zu "Mexico" von den Les Humphries Singers eine Tanzeinlage hin.
Die älteren Damen und Herren im Publikum sind begeistert. "Lassen sie doch die Frauen tanzen, wie sie wollen mit Kostümen! Dass sie die verbieten, ist doch lächerlich", meint eine Zuschauerin im Gespräch mit Jessy Wellmer. Auf die Frage, ob die Gesellschaft heute politisch überkorrekt sei, antwortet eine andere Frau mit Verweis auf das "Z-Schnitzel": "Erst mal esse ich so etwas nicht, aber wenn, hätte ich mir nie etwas dabei gedacht. Und diskriminierend bin ich bestimmt nicht. Für mich ist jeder Mensch gleich, ob rot, grün oder gelb."
"Wir müssen schauen, dass wir andere Menschen nicht mutwillig kränken"
Und was sagt die andere Seite? Die "Tagesthemen"-Moderatorin trifft Fabian Burstein - den Mann, der das Kulturprogramm der BUGA damals verantwortet hat. Er empfand die Kostüme als "zu klischeehaft" und handelte den Kompromiss aus, dass die Senioren-Tanzgruppe ohne bestimmte Verkleidungen auftritt, dafür aber auf einer größeren Bühne
Heute sagt er: "Natürlich verstehe ich den Affekt. Das ist ja das Absurde: Ich bin ja nicht Teil oder Speerspitze einer ultra-woken Bewegung bis dato gewesen. Mein Credo ist immer: Wir müssen schauen, dass wir andere Menschen nicht mutwillig kränken."