Mord und Suizid auf Befehl? - Dramatischer "Polizeiruf" blickt in tiefe Abgründe
Autor: teleschau - Maximilian Haase
, Montag, 22. Sept. 2025
Nach einer Handynachricht begeht ein junger Mann einen Mord und dann Suizid: Die Kommissarinnen ermitteln im aktuellen Rostocker "Polizeiruf 110" in einem überaus aufwühlenden Fall. Und sie müssen sich die Frage stellen, warum Menschen auf Befehl töten.
Familiäre Abgründe, private Dramen, düstere Authentizität: Der Rostocker "Polizeiruf 110" war schon immer kantiger als der durchschnittliche Sonntagskrimi. Auch im 30. Fall "Tu es!" bleibt er sich treu - mit einem herausragenden Lehrstück über digitalen Zynismus im Besonderen und gesellschaftliche Widersprüche im Allgemeinen. Nach einem aufwühlenden Mord und zwei Suiziden werden Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Melly Böwe (Lina Beckmann) mit den moralischen Verwerfungen des Internets, den psychologischen Untiefen des Bildungssystems und - wie immer - ihren persönlichen Dämonen konfrontiert. Klare Täterprofile und saubere Antworten auf komplizierte Fragen sucht man dagegen, glücklicherweise, umsonst.
Ein junger Mann ersticht eine Frau - und tötet sich anschließend selbst. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Es besteht keine Verbindung zwischen dem Täter Leon Schilling (Karl Seibt) und dem Opfer, einer Managerin. Nur eine Nachricht auf seinem Handy: "Tu es!" - Sie stammt von Felix Lange (Sebastian Jakob Doppelbauer), wie die Ermittlungen ergeben, einem engagierten Lehrer mit Helferkomplex. Oder ist er ein sadistischer Strippenzieher, der suizidale Jugendliche in Online-Foren gezielt in den Tod manipuliert? Bereits kurz zuvor war er in Kontakt mit einer jungen Frau gewesen, die sich ebenfalls das Leben nahm.
Doppelbauer spielt Lange herausragend ambivalent am Rande des Nervenzusammenbruchs, zwischen pädagogischem Idealismus und mentaler Verwahrlosung: Man weiß nie genau, ob hinter der Fassade ein berechnender Psychopath steckt, ob er Täter oder Opfer ist, Dies fordert auch die Geduld und Empathie des Zuschauers heraus. Lange ist Symptom einer Gesellschaft, die ihre idealistischen Akteure verheizt.
Realistisches Bild digitaler Verlorenheit
"Wir stehen unter Druck. Wir haben nichts", gestehen die Ermittlerinnen. In einer Welt voller digitaler Masken und toxischer Chatidentitäten bleibt der Polizei nur Ratlosigkeit - und ein schmerzhaft realistisches Eingeständnis: Anstiftung zum Suizid ist in Deutschland kein Straftatbestand. Das Internet, so Darstellerin Lina Beckmann, wirke dabei "wie ein riesengroßes schwarzes Loch, und der Polizei fehlen die Mittel, es zu durchleuchten". Dass sich obendrein der schmierige Staatsanwalt Jan Jürgens (Thorsten Merten) einmischt, macht die Sache kaum einfacher ...
Der Film lehnt sich an reale Fälle an. Drehbuchautor Florian Oeller ließ sich unter anderem von einem Strafprozess gegen einen Suizid-Anstifter inspirieren, recherchierte selbst in einschlägigen Foren. Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie viel Verantwortung trägt jemand, der nicht tötet, aber andere dazu bringt?
Daneben zeichnet der Krimi ein realistisches Bild von digitaler Verlorenheit. Jugendliche suchen Hilfe in anonymen Foren, weil sie sie im echten Leben nicht bekommen. "Absolut gruselig", kommentiert Anneke Kim Sarnau diese Zustände. Lehrer wie Lange wollen helfen, brechen aber unter dem Druck zwischen Personalmangel und Überforderung zusammen. Und das ist nicht nur in der Bildung Realität - auch im Pflegeheim, in dem Langes Mutter lebt, fehlt es an allem; Personal, Geduld, Würde.
"Das muss wehtun"
Die Sprache ist hart, roh, aber ehrlich. "Ist das Ihr verfickter Ernst gerade?", schreit Chef Röder (Uwe Preuss) in einer Szene. In dieser Tonalität spiegelt sich eine Gesellschaft, in der psychisch kranke Jugendliche diagnostiziert, aber nicht aufgefangen werden. In der Lehrer untergehen, Eltern ausnüchtern müssen, Pflegekräfte verzweifeln und die politische Debatte längst im Zynismus versackt ist. "Scheiß auf die Nazis, die alten und die neuen, scheiß auf die Guten, die sich mit Identitätspolitik einen runterholen", rantet Protagonist Leon entsprechend wütend in die Kamera: "Ich hoffe auf die Atombombe."