Lanz-Runde ist sich einig: "Müssen unheimlich aufpassen, wen wir als Nazi bezeichnen"
Autor: Teleschau
, Freitag, 28. November 2025
Meinungsfreiheit oder Cancel Culture? Wohin geht die Reise in unserer Gesellschaft? Haben wir es verlernt, Sichtweisen auszuhalten, die von unserer Meinung abweichen? Darüber diskutierten ZDF-Talker Markus Lanz und seine Gäste am Donnerstagabend.
"Nur noch 46 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, dass sie ihre Meinung wirklich frei äußern können", sagte Markus Lanz zum Einstieg seiner Polit-Talkshow am Donnerstagabend im ZDF. Wie steht es um unsere Debattenkultur und um die Meinungsfreiheit? Dieser Frage ging er mit den folgenden Gästen nach: dem Philosophen Richard David Precht, der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf, der Autorin Jagoda Marinić und der Journalistin Annett Meiritz.
Die Meinungsfreiheit ende bereits, wenn wir uns eine Selbstzensur auferlegen, sagte Richard David Precht. Wenn die sozialen Kosten zu hoch seien, würden es viele Menschen vermeiden, ihren Standpunkt vor anderen Menschen zu vertreten. Als Beispiel nannte er die Anfänge des Ukraine-Krieges, als man sehr schnell als "Putinversteher" galt, wenn man für mehr Diplomatie mit Russland warb. "Wenn man eine bestimmte Meinung hatte, musste man damit rechnen, massiv attackiert zu werden."
Auch die anderen Gäste konstatierten, dass es sich bei der eingeschränkten Meinungsfreiheit weniger um ein juristisches Problem handele. Frauke Brosius-Gersdorf, Professorin für öffentliches Recht, sah, ähnlich wie Precht, eher eine Tabuisierung von anderen Sichtweisen als das Thema. "Was wir erleben, ist ein völliger Wandel der Debattenkultur." Heute könne sich jeder im Internet massenmedial - und anonym - äußern. Das habe zweifellos auch Vorteile. "Die Nachteile sind (...), dass Hass und Hetze enorm zugenommen haben." Die "Handelsblatt"-Journalistin Annett Meiritz argumentierte: "Selbst ein gefühlter Verlust von Meinungsfreiheit hat reale Auswirkungen auf die Politik und auf unsere Gesellschaft."
Die Autorin Jagoda Marinić mahnte dagegen, die Debatte um Meinungsfreiheit in Deutschland nicht zu hoch zu hängen. "Alle inszenieren sich als Opfer, und wir kommen sachlich überhaupt nicht mehr voran." Wir sollten lernen, robuster zu agieren, bräuchten wieder mehr Lösungskultur, so Marinić. "Jeder, der hier sitzt, hat schon Shitstorms erlebt." Die Einstellung, "Shitstorms gehörten im digitalen Zeitalter ein Stück weit dazu", könne uns wieder zu mehr Sachlichkeit führen.
Brosius-Gersdorf: "Da würde ich wirklich widersprechen"
Für die Shitstorm-Aussage erntete die Autorin einen eisigen Blick samt Kopfschütteln von Frauke Brosius-Gersdorf. Die Meinungsfreiheit sei zwar rechtlich gewährleistet, "genauso aber das Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde-Garantie", so die Juristin.
In einer ansonsten weitgehend harmonischen Runde gab es noch einen weiteren Schlagabtausch. Richard David Precht kritisierte eine zu geringe Vielfalt im Kulturbereich. Das "verminteste Terrain, das wir momentan in der Kultur haben", sei das Kinderbuch, so der Philosoph. Würde man etwa ein Buch schreiben, in dem keine starke Frau vorkomme, sondern nur starke Jungs, "dann haben Sie ein Problem, dass das verlegt wird".
Darauf Marinić: "Nein, nein, nein!" - "Doch, doch, doch, ganz sicher!" Als es im weiteren Verlauf um die "Winnetou"-Bücher von Karl May ging, deren Neuauflage der Ravensburger Verlag nach öffentlicher Kritik wieder zurückgezogen hatte, bemerkte Precht, dass sich wohl kein einziger "Native American" beschwert hätte. Die Autorin konterte: "Aber Sie entscheiden ja jetzt auch nicht, wer sich verletzt fühlt, sondern die Menschen."