Druckartikel: Auf Magersucht-Hype angesprochen antwortet TikTokerin der ARD: "Die Plattform ist halt ab 13"

Auf Magersucht-Hype angesprochen antwortet TikTokerin der ARD: "Die Plattform ist halt ab 13"


Autor: Teleschau  

, Mittwoch, 01. Oktober 2025

Der "Skinny Lifestyle" boomt: Auf TikTok und Instagram teilen Influencer Abnehmtipps und bewerben sogar verschreibungspflichtige Medikamente wie die Abnehmspritze. Letztere ist einer neuen ARD-Doku zufolge erschreckend leicht erhältlich - ganz ohne Arztbesuch.


"Wenn ich mal wieder auf TikTok bin, sehe ich ständig superschlanke Körper - vor allem Frauen. Und ganz viel Werbung fürs Abnehmen", sagt ARD-Journalistin Rabea Westarp. "Danke Algorithmus. Mit mir macht das schon was." Wie der Filmemacherin scheint es vielen zu gehen: Ursprung der neuen "team.recherche"-Dokumentation "Skinny um jeden Preis - wer profitiert vom Abnehm-Hype?" sei etwa der Anruf einer besorgten Mutter gewesen.

"Ich möchte Ihnen etwas erzählen, was mich fassungslos macht", wird das Telefonat in der Sendung nachgesprochen. "Meine Tochter wollte schnell ein paar Kilo abnehmen und hat versucht, sich im Internet eine Abnehmspritze zu besorgen. Dabei ist sie total sportlich, sie braucht so ein Medikament überhaupt nicht." Bekommen habe es die junge Frau dennoch - über eine Online-Plattform, ohne Videocall, Fotos oder eine persönliche Begegnung mit einer Ärztin oder einem Arzt.

Eigentlich ist die Abnehmspritze - am bekanntesten als Ozempic - verschreibungspflichtig. Und doch gelingt es auch den Redakteurinnen des ARD-Teams, sich das Medikament auf zwei verschiedenen Plattformen zu bestellen, nachdem sie lediglich einen Fragebogen ausgefüllt haben.

"Man weiß als Patientin nicht, wer am Ende das Rezept ausstellt", warnt Gesa Schölgens von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Man komme "zu leicht an diese Spritzen", glaubt sie - zumal der Eindruck entstehe, "dass viele dieser Anbieter nicht wirklich auf Patientinnen mit Adipositas zielen, sondern Lifestyle-Kundinnen im Blick haben".

Fragwürdige Abnehm-Tipps auf TikTok und Instagram

Abnehmen und Schlanksein als Lifestyle - das ist es, was auch viele Influencerinnen und Influencer propagieren. "Skinny-Girl-Mindest heißt genießen, aber trotzdem in Shape bleiben", sagt etwa Natalie Mae alias "natalieyears" in einem ihrer TikTok-Videos. Über 300.000 Menschen folgen ihr auf der Plattform. Dort bekommen sie fragwürdige Tipps - darunter auch: "Hungrig ins Bett und hungrig aufwachen wird deinen Körper skinny machen."

Jugendschutz-Expertin Amelia Krebs findet: "Das ist wirklich problematisch." Bei "SkinnyTok", wie die Bewegung auf der chinesischen Video-Plattform genannt wird, erkennt sie zahlreiche Parallelen zu sogenannten "Pro-Ana-Foren", in denen schon seit Jahren Magersucht glorifiziert wird. "Wir haben Dünnsein als Lifestyle, als Mindset. Wir haben dieses Disziplinierte. Und: Du gewinnst im Leben, wenn du dünn bist. Dann bist du natürlich schön und erfolgreich."

Natalie Mae selbst will, so sagt sie, niemandem mit ihrem Content schaden. "Die Plattform ist halt ab 13", betont sie im Interview mit dem Reportageteam und weist darauf hin, dass "halt die Eltern mit draufschauen" müssen, ob sie ihr Kind die App installieren lassen. "Man muss selber differenzieren können: Nehme ich mir eben an einer Person oder an Content ein Beispiel - oder nicht? Jeder nutzt Social Media mit einer Eigenverantwortung." Dafür müsse man "halt auch reif genug sein", findet der Netz-Star.

Auch David Lovric spricht im Internet übers Abnehmen und bewirbt sogar ein "Abnehmprogramm", das die Verwendung von Abnehmspritzen beinhaltet. Er teilt Natalie Maes Einstellung: Er könne "nicht für jede einzelne Person, die mir folgt oder mal über mein Profil stolpert", die Verantwortung übernehmen. "Da ist die einzelne Person für sich selber verantwortlich, genug Quellen herauszusuchen und vielleicht auch die eigene Social-Media-Nutzung zu reflektieren." Ihm sei bewusst, dass er "die Schuld auch ein bisschen" von sich wegschiebe. Dennoch versuche er, "reflektiert" mit der Thematik umzugehen.

"Die wollen dich auf der App behalten"

Selbst Verantwortung übernehmen - das ist vor allem für junge Menschen nicht immer ganz leicht. Judith etwa ist 24 und leidet seit mehreren Jahren an Bulimie. "Natürlich war ich auch viel in den sozialen Medien, habe mir viel abgespeichert", berichtet sie von ihrer Erfahrung mit Plattformen wie TikTok und Instagram. "So kleine Übungen, Kalorien-Spickzettel oder 'What I eat in a day'-Videos. Die habe ich mir angeguckt und gedacht, die essen alle viel weniger als ich."

Psychologin Britta Tröstler kennt das Problem. "Durch Social Media vergleiche ich mich vielleicht als Dünne mit anderen Dünnen. Dann muss ich noch dünner sein, um zu gewinnen." Auch der Algorithmus spielt dabei eine Rolle: Wer sich für Abnehmcontent interessiert, bekommt diesen auch häufiger ausgespielt.

"Das sind Unternehmen, die wollen Geld machen, die wollen dich auf der App behalten", weiß Jugendschützerin Amelia Krebs. Sie fordert ein stärkeres Eingreifen von TikTok, Instagram und Co. Diese hätten "eine Verantwortung gegenüber den Leuten, die auf dieser App sind. Und dafür müssen sie technisch gesehen Sorge tragen - dass Leute auch rauskommen können aus so Bubbles."

Die gesamte Sendung "Skinny um jeden Preis - wer profitiert vom Abnehm-Hype?" ist in der ARD Mediathek abrufbar.