Der Haftbefehl-Hype zwischen «Elends-Porno» und Star-Kult
Autor: Sabrina Szameitat und Sabina Crisan, dpa
, Montag, 17. November 2025
Der Film über Haftbefehl ist in aller Munde und wurde millionenfach abgerufen. Jetzt spielte der Rapper seine ersten Auftritte nach Veröffentlichung der Doku. Wieso trifft Haftbefehl so einen Nerv?
Wer die Doku über Haftbefehl gesehen hat, mag sich Sorgen um den Rap-Superstar gemacht haben. In einer Szene sagt er selbst: «Ich war schon tot». Seine Kokainsucht endet fast tödlich, bei einem Auftritt kann er sich kaum auf den Beinen halten. Doch das scheint jetzt wieder anders zu sein: Haftbefehl, einer der erfolgreichsten Deutsch-Rapper, ist zurück auf den Bühnen.
Erst am Wochenende spielte der gebürtige Hesse, der bürgerlich Aykut Anhan (39) heißt, gleich zwei Clubkonzerte seit Veröffentlichung der viel diskutierten Doku, die allein in den ersten 13 Tagen laut Netflix 5,9 Millionen Mal abgerufen wurde. Bei seinem ersten Auftritt in Osnabrück verkündete er: «Ich wollte Euch noch sagen, ich bin clean». Die Fans feiern das. Warum stößt Haftbefehl mit seiner Geschichte auf so viel Nachhall?
1. Nähe und Identifikationspotenzial
Die Doku «Babo – Die Haftbefehl-Story» von Juan Moreno und Sinan Sevinç wirft einen augenscheinlich sehr intimen Blick auf das Leben des Musikers samt aller privater Probleme, inklusive Drogensucht. Diese inszenierte Nähe ist es vermutlich auch, die viele Menschen an dem Werk fasziniert.
«Babo – Die Haftbefehl-Story» zeigt dabei, wie ein im sozialen Elend aufgewachsener Junge, der mit 13 Jahren den Suizid des eigenen Vaters verkraften musste, zur Identifikationsfigur einer Generation migrantischer Arbeiterkinder wurde. Dass die Dokumentation vor allem in der migrantischen Jugend so gut ankommt, dürfte daran liegen, dass Haftbefehls Lebensweg jene Brüche sichtbar macht, die viele von ihnen aus der eigenen Familie kennen.
2. Voyeurismus und «Elends-Porno»
Der Soziologe Martin Seeliger von der Universität Bremen erklärt sich den hohen Gesprächswert der Doku mit ihrer Vieldeutigkeit: «Es ist ein Film über Migration und Ankommen, über Drogenmissbrauch – man kann ihn aber auch als Familiendrama lesen.»
Gleichzeitig bedient der Film wohl auch den Voyeurismus vieler Leute. Es sei eine Art «Elends-Porno», sagt Seeliger: «Menschen lassen sich schockieren und gruseln daran, wie schlecht es Haftbefehl geht», sagt der Soziologe, der auch zum Thema Gangster-Rap publiziert hat. Die Darstellung seines exzessiven Lebensstils sei «fast pornografisch – es geht darum, sich am Elend dieses Menschen zu ergötzen».
Kritisch äußert sich Seeliger zum journalistischen Anspruch des Films: «Es gibt keine kritischen Nachfragen, der Film lebt allein von krassen Bildern dieses gebrochenen, kranken Mannes.» Inhaltlich sei das nicht besonders informativ.