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Zwischen Wald und Adel: Mit dem Pfeil nach Egloffstein


Autor: Irmtraud Fenn-Nebel

Egloffstein, Donnerstag, 20. August 2020

Der Pfeil führte uns nach Egloffstein in der Fränkischen Schweiz. Dort arbeitet im Wald ein Holzrücker, der auch Kutsche fährt. Auf der Burg radeln Touristen herum, reparieren die Besitzer so viel wie möglich selbst und hat eine Frankfurter Familie ihren Zweitwohnsitz.
Günther Lehnes  ist Holzrücker. Er holt gefällte Bäume - diese  waren von Borkenkäfern befallen - mit seinem Rückezug aus dem Wald bei Egloffstein. Foto: Barbara Herbst


Vier Dinge sind in der Sommerserie klar wie Kloßbrüh": Erstens landet der Pfeil - meiner zumindest - in schöner Regelmäßigkeit mitten auf dem Acker oder im Wald. Zweitens ist es völlig egal, wo auf der Frankenkarte er steckenbleibt. Es ist nämlich drittens überall schön und viertens trifft man immer, immer!, auf nette Menschen. Wie Günther Lehnes, der uns am Anfang den Rücken zudrehte.

Das Warten lohnt sich

Auf ihn stießen wir, nachdem wir die Hoffnung auf Begegnungen im Wald bei Egloffstein in der Fränkischen Schweiz schon fast aufgegeben hatten. Doch dann: Eine gewaltige Maschine rumpelt neben dem Weg mit Getöse zwischen den Bäumen hindurch. Drin sitzt ein Mann, der mit einer enormen Greifzange Baumstämme durch die Gegend schwenkt. Wir warten. Nach einer Weile sieht er uns, winkt ab. Ich will weiter, doch die Fotografin sagt: Wir bleiben. Und es lohnt sich.

Als Metzger zu wenig verdient

Nach einer Weile kommt er angefahren, steigt aus und fragt nach unserem Begehr. Schnell sind wir im Gespräch und erfahren, dass Günther Lehnes Holz rückt. Eigentlich war der 63-Jährige gelernter Metzger. "Aber damals hat man nur sieben Mark in der Stunde verdient", erzählt er. Nach der Hochzeit sagte er: "Frau, da verhungern wir" - und arbeitete lieber auf dem Bau. Dann kam die Idee mit dem Holzrücken auf. "Wir haben Pferde gekauft und 20 Jahre lang mit den Tieren im Wald gearbeitet."

Jetzt schreibt die EU die Holzrückearbeiten aus

Vor 15 Jahren schaffte er zusätzlich die großen Maschinen an, von denen auch seine Tochter eine fährt. "So ein Rückezug kostet bis zu 400 000 Euro", sagt der bärtige Naturbursche. 30 Jahre arbeitete er im Veldensteiner Forst. "Dort hab ich jeden Stock gekannt." 2003 wurde umgestellt, die Holzrückearbeiten liefen fortan als EU-Ausschreibung über die Bayerischen Staatsforsten. "Ein Gschmarri, was keiner braucht", sagt Lehnes. "Jetzt müssen wir uns ständig in neuen Wäldern zurechtfinden."

Damit der Holzrücker weiß, wo er hin muss, sind "Gassen" ausgewiesen: Rechts und links weiße Markierungen auf Bäumen. Etwa 200 Festmeter schafft Lehnes am Tag. Das bis zu 18 Meter lange Holz, vom Borkenkäfer befallen und deshalb gefällt, greift er mit einer "Klemmbank" und deponiert die Stämme am Wegesrand. Am Abend wird das Tagespensum per Handy ans Amt gemeldet. "Das macht meine Tochter."

Heuer fehlt das Geld für die Pferdehaltung

Sie ist es auch, die sich um die neuen Ferienwohnungen auf dem Familienanwesen im nahe Krückenhof kümmert. "Wir haben Gäste bis aus Holland", sagt Lehnes. Und Zaungäste. "Heuer ziehen Wanderer in Scharen bei uns vorbei, viele machen wegen Corona Urlaub Zuhause." Manche spitzen kurz herein, denn Lehnes haben auch Pferde, bieten Kutsch- und Planwagenfahrten an, sind mit einem selbstgebauten Bierwagen bei Umzügen dabei. Doch heuer fällt alles aus. "Das tut uns richtig weh", sagt Lehnes. "Das Geld fehlt uns für die Pferdehaltung."

Vater und Sohn erkunden mit Rennrädern die Fränkische Schweiz

Wir lassen den sympathischen Mann weiter arbeiten und rücken ab, raus aus dem Wald Richtung Egloffstein. Über dem Trubachtal thront unübersehbar die Burg, da wollen wir hin. Zwei Radfahrer strampeln vom Burghof herauf. Jens Seiler und sein elfjähriger Sohn Janne kommen aus der Nähe von Frankfurt und haben sich für eine knappe Woche in einem Familienhotel bei Obertrubach eingemietet. Sie wollen die Gegend mit dem Rennrad erkunden, heute haben sie sich 50 Kilometer vorgenommen. Für den sportlichen Vater ein Klacks: Gerade hat er eine lange Tour durch Süddeutschland gemacht. "Das war so schön", schwärmt er und erklärt, dass Gepäck bis zu acht Kilo gut am Rennrad befestigt werden könne.

Auch in der Fränkischen Schweiz war er schon einmal und wollte sie jetzt seinem Sohn zeigen, der seit einem Jahr ebenfalls Rennrad fährt. "Bevor bei Janne der große Sinn für Fernziele kommt, möchte ich mit ihm Deutschland bereisen", sagt der Papa. Der Sohn sagt, nach dem Urlaubsprogramm gefragt: "Ich möchte vor allem Radtouren machen." Aber auch in die oberfränkischen Vergnügungsparks soll es gehen und in eine Höhle, vielleicht ein Abstecher nach Bamberg.

Zufallsbegegnung mit den Burgbesitzern

Wir stromern weiter und laufen Albrecht Freiherr von und zu Egloffstein und seiner Gattin Sibylle in die Arme. Sie haben nicht viel Zeit, dafür viel Arbeit. Zum alten Schloss gehören mehrere Gärten und zehn Nebengebäude. Täglich ist das Ehepaar am Schaffen - als Gärtner, Hausmeister, Handwerker. "Wir machen alles selbst, soweit es geht", sagen die beiden. Kurz zeigen sie uns den romantischen Innenhof und der Burgherr lässt sich zu einem Foto überreden. Hoch droben, wo einst eine Zugbrücke war, stellt er sich vor eine Tür auf dem grün bewachsenen Felsen. "Das ist mal ein neues Motiv", sagt der 80-Jährige und schmunzelt.

Der Stammsitz aus dem 11. Jahrhundert ist schwer zu beheizen

Die ehemalige hochmittelalterliche Adelsburg ist seit dem 11. Jahrhundert der Stammsitz der Freiherrn von und zu Egloffstein. Im 19. Jahrhundert hatte der Ururgroßvater von Freiherr Albrecht die Burg wohnlich gemacht. Die jetzigen Besitzer haben sie 1991 übernommen. "Es ist schwer, das alte Gemäuer zu bewohnen und zu beheizen", sagt die Freifrau. Sie und ihr Mann leben in einem Nebengebäude mit Zentralheizung, in der Burg übernachten bei ihren Besuchen Sohn und Familie.

Für Urlauber gibt es zwei Ferienwohnungen, eine mit Felsen im Schlafzimmer. Über die Burg führt ein Wanderweg, die Schlosskirche St. Bartholomäus ist religiöser Mittelpunkt des Ortes. Sonntags lädt der Burgbesitzer oft zu Führungen ein, regelmäßig finden auch Veranstaltungen auf der Burg statt. Und Hochzeiten: Rittersaal und Innenhof fungieren als Standesamt. Das ist das Stichwort. "Sprechen Sie doch mal mit unseren Mietern", geben Albrecht und Sibylle von und zu Egloffstein noch einen Tipp. "Sie haben vor 20 Jahren bei uns geheiratet."

In Egloffstein und einander verliebt

Die Mieter: Das sind die Frankfurter Kornelia Spodzieja, ihr Mann Thilo Neupert, die Kinder Clara und Leo. Sie bitten uns auf einen Kaffee in "ihr" Haus neben der Schlosskapelle und fangen an zu schwärmen. Wie er als Student wegen des Biers und der schönen Landschaft immer wieder in die Fränkische Schweiz kam. Wie sie das erste Mal zu zweit nach Egloffstein wollten und sich über Silvester 1996 in der Ferienwohnung der Burg eingemietet haben. "Ein Winter wie im Märchen, der Schnee knirschte unter den Füßen", das wissen sie noch genau. Nach weiteren auf der Burg verbrachten Jahreswechseln hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht. "Spontan, auf einer Streuobstwiese."

Hochzeit und Taufe auf der Burg

Ein Ort für die Hochzeit war schnell auserkoren: Die Burg. Dort haben sie am 22. Juli 2000 geheiratet, dort wurden am selben Datum 2007 und 2013 die Kinder getauft. Als nach dem Tod der Mutter von Freiherr Albrecht das Haus neben der Kirche leer stand, brachten sich Neupert und Spodzieja als Dauermieter ins Spiel. Sie haben Möbel übernommen und eigene mitgebracht, den Garten hergerichtet, ihren Zweitwohnsitz angemeldet.

Clara und Leo hätten hier ganz andere Freiheiten als in der Großstadt. Sie sind mit den Kindern des jungen Freiherrn befreundet und dürfen auch mal in der Burg übernachten. Langweilig wird's ihnen nie, weil die Gemeinde - außer heuer - ein Ferienprogramm anbietet.

In den letzten Jahren, sagen die Frankfurter, habe sich im Ort viel geändert. "Brauereien haben geschlossen, es gibt weniger Gastronomie und Geschäfte." Trotzdem bekommt man alles, was man braucht -für ein entspanntes Leben hoch droben in der Fränkischen Schweiz. "Wir kommen in allen Ferien nach Egloffstein", erzählen die beiden. "Mittlerweile sind wir auf der Burg mehr Zuhause als in Frankfurt. Wir fühlen uns einfach wohl." Klar wie Kloßbrüh'!