Zu Besuch auf der Venus 2018: Zwischen Scham und Schaulustigen
Autor: Anna-Lena Deuerling
Berlin, Mittwoch, 17. Oktober 2018
Zum 22. Mal fand am vergangenen Woche die Venus in Berlin statt: Ein Besuch auf der internationalen Erotikmesse und ein Blick auf ihre Besucher.
Kein Szenenapplaus für Nataly Gold. Dabei hatte sich das Pornosternchen in den vergangenen Minuten auf der Showbühne der Venus in Berlin regelrecht verausgabt. Keine Jubelstürme, kein Gegröle, ja nicht einmal ein schockiertes Raunen geht durchs Publikum, nachdem die Erotikdarstellerin mit ihrer Darbietung als Alleinunterhalterin fertig ist. Und das, obwohl sie gerade Dinge getan hat, die man in diesem Rahmen lieber nicht ausschreiben will. Das Publikum hält sich an Kameras, Selfiessticks und Teleobjektiven fest und wartet geduldig bis unbeeindruckt darauf, dass der Moderator den nächsten Programmpunkt ankündigt. Später soll hier noch Micaela Schäfer auftreten.
Ehrengast Stormy Daniels
Durch die abgedunkelte Halle auf der Berliner Messe dröhnt laute Technomusik. Es ist kurz nach 16 Uhr am Samstagnachmittag und die internationale Fachmesse für Erotik ist in vollem Gange. Am Donnerstag hatte die Venus große Eröffnung gefeiert und sich für dieses Jahr Porno-Darstellerin Stormy Daniels als Ehrengast nach Berlin geholt. Richtig, das ist genau die Stormy Daniels, die durch ihre angebliche Affäre mit US-Präsident Donald Trump in die Schlagzeilen geraten war. Mit einem Venus-Award - laut Veranstalter der Oscar der Porno-Industrie - für ihr Lebenswerk im Gepäck ist Stormy allerdings schon über alle Berge, als es in den Hallen am Samstag so richtig kuschelig wird.
Circa 250 Aussteller aus 40 Ländern zeigen hier vier Tage lang ihre Angebote und Produkte. Tausende Besucher strömen Jahr für Jahr nach Berlin um - ja, um was eigentlich zu tun? Experten, Shows, Workshops und zahlreiche Produkte für Singles oder Paare verspricht die Venus : "Um als Mann oder Frau die eigene Sexualität etwas besser kennenzulernen und Neues zu entdecken." Soweit die Beschreibung auf der Website. Die Erforschung der eigenen Sexualität in Gesellschaft von zig anderen Orientierungslosen ist nicht billig. 45 Euro kostet das Tagesticket. Die Veranstalter sprechen bereits am Nachmittag von einem "Rekord-Andrang".
Die beliebtesten Accessoires der Besucherinnen sind an diesem Samstag Netzstrumpfhose, Hasenohren aus rosa Plüsch (gerne mit Led-Lämpchen) und die hochwertig produzierte Einkaufstasche eines Online-Shops, die am Eingang ausgehändigt wird. In dieser Tasche verschwinden später all die Autogramme, Flyer und Visitenkarten, bevor sie entweder auf dem Nachhauseweg im Müllcontainer hinterm Messegelände oder zuhause ganz unauffällig im Hausmüll landen. Müsste man einen Stereotyp unter den männlichen Besuchern definieren, trüge er Oberarmtatto, den Nacken ausrasiert und viel Aftershave.
Riecht so die Erotikbranche? Die Frage stellt sich irgendwann zwangsläufig. Es ist heiß und das Gedränge zwischen Ramschtischen mit günstigen Mitbringseln für Zuhause und den wie teure Smartphones in einer Vitrine ausgestellten Hightech-Vibratoren ist groß.
Die Schweißperlen auf der Stirn haben alle gemeinsam. Doch nicht alle bewegen sich mit demselben erotischen Selbstverständnis durch die Gänge. Sicher, viele machen keinen Hehl daraus, warum sie gekommen sind: Um zu glotzen. Und zu fotografieren. Und zu filmen. "Keine Ahnung, einfach mal drauf halten", antwortet ein Hobby-Filmemacher auf die Frage, was er denn mit seinem Selfie-Stick über die Köpfe der anderen hinweg filme.
Der Scham der Ungläubigen
Man entdeckt aber auch immer wieder diejenigen, die kein ernst gemeintes Interesse glaubwürdig heucheln können und denen die Scham ins Gesicht geschrieben steht. "Schau mal, die hat den an der Leine", raunt eine Besucherin ungläubig. Dabei sind die Domina und ihr Sklave, den sie tatsächlich an der Leine durch den Raum führt nicht einmal Darsteller. Die Grenze zwischen Akteur und Amateur verschwimmt, wenn sich auch die Besucher voller Selbstbewusstsein unten ohne durch die Menge schlängeln oder in roten Latexroben durch den Raum schieben.