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Wie der Mensch Tiere für den Krieg missbraucht


Autor: Oliver Pfohlmann

Bamberg, Samstag, 17. Juni 2017

Schon immer wurden Tiere für militärische Zwecke eingesetzt. Nun gibt es eine Enzyklopädie, die alle Tierarten vorgestellt, die jemals rekrutiert wurden.
Ein Soldat und sein Pferd mit Gasmaske im Jahr 1918 Fotos: Matthes & Seitz


Hunde als Fallschirmjäger, Fledermäuse, die Minibomben abwerfen; ferngesteuerte Käfer mit Minikameras: Das klingt nach einem skurrilen Hollywoodstreifen - als hätten sich einst Walt Disney und Stanley Kubrick für einen bizarren Antikriegsfilm zusammengetan.

Doch sind diese Beispiele alles andere als Fiktion. Und schon immer wurden Tiere zu alle möglichen militärischen Zwecken eingesetzt. Allein in den beiden Weltkriegen starben zig Millionen von Pferden, Eseln oder auch Kamelen, die als Lasttiere dienen mussten.

Seit dem Jahr 2004 gibt es für ihr Opfer immerhin ein eigenes Mahnmal im Londoner Hyde Park. "Animals in War - They had no choice", sie hatten keine Wahl, lautet die Inschrift.

In einer Enzyklopädie stellt die Berliner Autorin Malin Gewinner nun all jene Tierarten vor, die jemals vom Menschen rekrutiert worden sind. Die Lektüre der reich bebilderten, gut lesbaren Darstellung der Berliner Autorin überrascht und schockiert gleichermaßen. Das beginnt schon mit der schieren Anzahl der militärisch eingesetzten Tierarten. Malin Gewinner kommt auf 32 Arten aus sieben verschiedenen Klassen, die Liste reicht vom Glühwürmchen bis zum Wal.


Bienen als Waffe

Verblüffend ist auch der menschliche Erfindungsreichtum bei der Nutzbarmachung animalischer Fähigkeiten oder Verhaltensweisen: Weinbergschnecken zum Beispiel dienten im Ersten Weltkrieg der US-Army als Senfgasdetektoren. Und Mäuse werden von Israel wegen ihres feinen Geruchssinns als Security-Scanner für Sprengstoffe eingesetzt.

Auch gab es offenbar keine Epoche, in der sich der Mensch keine tierischen Alliierten gesucht hätte. Schon in der Steinzeit wurden Bienennester in gegnerische Höhlen geworfen, und in der Antike konnte man mit ein paar Kriegselefanten ganze Armeen in die Flucht schlagen. Freilich nur so lange, bis der Gegner auf die Idee kam, Schweine mit Pech zu bestreichen, anzuzünden und auf die Elefanten loszulassen, um diese in Panik zu versetzen.

Es scheint dringend nötig, über den anhaltenden Missbrauch von Tieren zu militärischen Zwecken nachzudenken. Zumal in einer Zeit, in der Philosophen Tierrechte begründen und immer mehr Menschen aus ethischen Gründen auf tierische Produkte verzichten.

Schon 2014 befand sich unter der Flut an Gedenkbüchern zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs Rainer Pöppingheges Kulturgeschichte "Tiere im Ersten Weltkrieg". Malin Gewinners Enzyklopädie ist nicht nur breiter aufgestellt, ihr einleitender Essay fokussiert auch einen interessanten Widerspruch.


Ohne Rücksicht auf Verluste

So wurden Tiere einerseits von den Militärs aller Nationen als bloße Mittel eingesetzt, ohne Rücksicht auf Verluste. Doch andererseits sei es im Kriegsalltag selbst zu einem verblüffenden Phänomen gekommen, betont die Autorin: Das hierarchische Verhältnis bröckelte, Soldaten, etwa im Ersten Weltkrieg, vermenschlichten Pferde oder Hunde nicht nur, sie nahmen sie faktisch als "Kameraden" wahr, als Gefährten im Graben. Einzelne Tiere bekamen sogar Medaillen verliehen, wie die Taube "Cher Ami", die 1918 mit einer von ihr übermittelten Nachricht 194 US-Soldaten das Leben rettete. Selbst die Nazis verliehen 3000 deutschen Pferden eine Ehrenplakette mit der Aufschrift "Kriegskamerad".

Gleich mehrere Gründe führt Malin Gewinner dafür an, dass es ausgerechnet im Krieg zu einem Verhältnis auf Augenhöhe komme. Allein, dass Tiere im Einsatz oft ungewöhnliche Schutzkleidung oder Apparate tragen müssen, erleichtere ihre Vermenschlichung, ihre Anthropomorphisierung. So wurden im Ersten Weltkrieg Tauben zu Spionagezwecken Minikameras umgeschnallt, und Pferde trugen an der Front monströs wirkende Gasmasken. Zudem erfüllten Tiere in lebensgefährlichen Situationen das Bedürfnis nach emotionaler Nähe. Sie bildeten so mit den Soldaten eine Art "Opfergemeinschaft".

Nicht selten wurden vom Soldaten Wünsche und Hoffnungen auf das als "unschuldig" geltende Tier projiziert, erinnert Gewinner. Allerdings: Auch diese Unschuld ist den Tieren im Krieg nicht sicher. Viele Soldaten glaubten, ihre tierischen Mitstreiter wären besonders an einem Sieg interessiert. Umgekehrt konnten Tiere auch zu "Verrätern" werden: Wie jener Foxterrier, den deutsche Soldaten in einer französischen Kaserne fanden - und der umgehend die nationale Loyalität gewechselt haben soll.

Malin Gewinner: Die Anthropomorpha. Tiere im Krieg. Matthes & Seitz Berlin, 2017. 150 S., 30 Euro.