Wetterexperte erklärt: "Die Extreme beim Wetter werden mehr und immer stärker"

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Ein Frau versucht am 26.07.2017 in Rhüden (Niedersachsen), einem Stadtteil von Seesen, durch das hohe Wasser zu gehen. Dauerregen hat im südlichen Niedersachsen in einigen Orten zu Überschwemmungen geführt. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Ein Frau versucht am 26.07.2017 in Rhüden (Niedersachsen), einem Stadtteil von Seesen, durch das hohe Wasser zu gehen. Dauerregen hat im südlichen Niedersachsen in einigen Orten zu Überschwemmungen geführt. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Erst große Hitze, dann Regenfälle wie im Herbst: Ein Wetterexperte erklärt, warum das Wetter immer chaotischer ist - und es auch bleiben wird.

Über das Wetter kann jeder reden. Aber kaum einer so gut wie Uwe Kirsche, Pressesprecher des Deutschen Wetterdienstes. Kirsche erklärt, warum das Wetter immer chaotisch ist, was der Schmetterlingseffekt mit einem möglichen Sturm zu tun hat und warum Vorhersagen auch in 100 Jahren eine gewisse Ungenauigkeit haben werden.

Die wichtigste Frage für unsere Leser zuerst: Wie geht es weiter mit dem Sommer?
Uwe Kirsche (lacht): Die sogenannten Jahreszeitenvorhersagen sind extrem schwer. Ganz ehrlich: Ich würde meine Urlaubsplanung nie auf Basis dieser Vorhersage machen. Die Trefferquote liegt bei maximal 70 Prozent. Immerhin lässt sich ein Trend erkennen: Der Sommer 2017 könnte wärmer ausfallen als im langjährigen Mittel.

Warum "könnte" und "Trend"?
Uwe Kirsche: Wir können nicht alle Daten exakt erfassen, die wir für eine Vorhersage brauchen. Es gibt immer weiße Flecken. Insofern bleibt das Wetter chaotisch.

Ist das nicht unbefriedigend? Da investiert man so viel Energie, Zeit und Geld in die Wettervorhersage. Und am Ende bleibt es chaotisch?
Uwe Kirsche: Das ist einerseits unerfreulich, andererseits aber auch der Reiz an der Sache. Wir können nicht jeden Punkt auf der Erde mit unseren Instrumenten überwachen. Es werden immer irgendwo lokale Einflüsse entstehen, die sich dann regional auswirken und sich fortpflanzen - der so genannte Schmetterlingseffekt.

Dann lässt sich eine Klimaveränderung auch nicht verlässlich vorhersagen? Hat Trump doch recht?
Uwe Kirsche: Das ist was anderes. Wir sagen ja nicht voraus, wann es in 30 Jahren wo am meisten regnen wird. Aber wir wissen, was sich über die letzten Jahre in der Atmosphäre und in den Ozeanen verändert hat und können einen belastbaren Trend für die kommenden Jahre vorhersagen.

Und der besagt?
Uwe Kirsche: Wir erwarten, dass die Temperaturen global gesehen weiter steigen werden. Die Atmosphäre hat sich aufgeheizt und kann deshalb mehr Luftfeuchtigkeit aufnehmen. Damit ist auch mehr Energie in der Atmosphäre und die tobt sich aus, beispielsweise in Gewittern.

Wir werden also auch in Deutschland mehr Gewitter und Starkregen und mehr Hitze haben?
Uwe Kirsche: Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Extreme werden extremer. Wahrscheinlich werden wir mehr Starkregenereignisse haben, aber sicher ist das nicht. Recht wahrscheinlich ist dagegen: Wenn es zu einem Starkregen kommt, dann wird er stärker ausfallen als bislang. Das dürfte für alle Wetterextreme gelten.

Ende Juni hat Ihr Institut vor heftigem Starkregen mit der Gefahr von Überflutungen und Überschwemmungen gewarnt. Drei Minuten später wurde diese Warnung aufgehoben. Wie kann es dazu kommen?
Uwe Kirsche: Wir haben unser mehrstufiges Warnverfahren mit dem Katastrophenschutz abgestimmt. Das Ziel lautet dabei, sehr frühzeitig auf kommende Gefahren hinzuweisen, um dann immer präziser zu werden, je näher das Ereignis tatsächlich kommt.

Das heißt? Warnungen, dass es in zwei Tagen zu Starkregen kommen kann, sind nicht ernst nehmen?
Uwe Kirsche: Doch, aber wir können nicht zwei Tage vor einem Ereignis exakt den Ort des Starkregens benennen. Aber wir können und müssen früh die Katastropheneinrichtungen in dieser Region warnen, damit sie sich vorsorglich wappnen können.

Dadurch entsteht allerdings der Eindruck, dass der Wetterbericht nicht gerade verlässlich ist.
Uwe Kirsche: Das sehe ich nicht so. Die Atmosphäre lässt nun mal bei der Berechnung der Zukunft Interpretationsspielräume zu. Wir dürfen weder über- noch unterwarnen. Beides würde dazu führen, dass uns die Menschen nicht mehr ernst nehmen. Wir müssen frühzeitig großflächig warnen und dann kleinflächig präzise werden. Das ist oft ein Spagat.

Ab wann lässt sich denn ein Starkregen präzise prognostizieren?
Uwe Kirsche: Im Gemeindebereich ist das eigentlich nur im Minutenbereich exakt möglich. So ein Gewitter kann sich plötzlich drehen, wir müssen Warnungen hoch- oder wieder runterstufen.

Ist es insgesamt schwieriger geworden, das Wetter vorherzusagen?
Uwe Kirsche: Eher umgekehrt. Vor 20 Jahren war die Kritik des Katastrophenschutzes, aber auch vieler Bürger, noch deutlich stärker. Die Qualität der Wettervorhersage hat sich eindeutig verbessert. Unser Großrechner ist leistungsfähiger geworden, die Messnetze liefern mehr und bessere Daten. Wir können jetzt auch die Art der Niederschläge vorhersagen, also ob es Graupel geben wird oder Starkregen.

Lassen sich verlässliche Prognosen auf Gemeindeebene treffen?
Uwe Kirsche: Ja. Deshalb haben wir unser Warnsystem vor einem Jahr von den Landkreiswarnungen auf Gemeindewarnungen umgestellt. Damit haben wir einen lokalen Anspruch definiert. Etwa 10 000 Gemeinden sind in unser System involviert.

Wie viele Menschen arbeiten denn für den Deutschen Wetterdienst?
Uwe Kirsche: Wir haben etwa 2500 Beschäftigte, sind allerdings auch für andere Aufgaben wie die Klimaüberwachung zuständig.

Wie viele Warnmeldungen verlassen pro Tag Ihr Haus?
Uwe Kirsche: Heute gibt der Deutsche Wetterdienst etwa 15 000 bis 20 000 Wetterwarnungen pro Jahr für Deutschland aus und davon bis zu 3000 Unwetterwarnungen.

Ganz schön viel.
Uwe Kirsche: Mit dem Umstieg von der Landkreis- auf die Gemeindeebene sind die Warnungen kleinteiliger geworden. Damit ist die Zahl der Meldungen gestiegen, obwohl es vielleicht gar nicht mehr Unwetter gab.

Was passiert, wenn eine Warnung nicht rechtzeitig erfolgt? Wenn ein Haus in den Fluten versinkt, weil der Wetterdienst nicht umfassend informiert hat? Sind Ihre Mitarbeiter dann regresspflichtig?
Uwe Kirsche: Nur, wenn grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Aber das ist in den letzten 60 Jahren, seit Gründung des DWD, kein einziges Mal vorgekommen.

Das Gespräch führte unser Redaktionsmitglied Ralf Dieter.

Im Internet:
www.dwd.de