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Werden Deutschlands Autobahnen durch die Hintertür privatisiert?


Autor: Redaktion

Berlin, Freitag, 09. Juni 2017

Ermöglicht das Gesetzespaket zur Reform des Länderfinanzausgleiches durch die Hintertür die Privatisierung des deutschen Autobahnnetzes?
Kritiker fürchten, dass die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zu viele Schlupflöcher für Privatisierungen von Fernstraßen offen lässt. Unser Bild zeigt die Autobahn 8 bei Stuttgart. Foto: Sebastian Kahnert, dpa


Im Länderfinanzausgleich verbirgt sich ein Gesetz, das Bau und Unterhalt neu regelt. Kritische Stimmen befürchten, dass nun eine Privatisierung großer Teile des Fernstraßennetzes durch die Hintertür ermöglicht wird.

Ermöglicht das Gesetzespaket zur Reform des Länderfinanzausgleiches durch die Hintertür die Privatisierung des deutschen Autobahnnetzes? Beschlossen wurde dabei auch die Gründung einer so genannten Autobahn-GmbH. Union und SPD beteuern, dass das neue Gesetz zahlreiche Schranken gegen eine Privatisierung enthält. Doch Kritiker sind nicht überzeugt - sie fürchten, dass eine Privatisierung großer Teile des Fernstraßennetzes nun erst recht möglich ist.

Eine zentrale Infrastrukturgesellschaft soll künftig übernehmen, was bisher Ländersache war: Planung, Bau und Betrieb der Autobahnen und Bundesstraßen in Deutschland. Die Befürworter dieses Modells glauben, dass eine solche Gesellschaft die Strecken deutlich schneller und effizienter auf Vordermann bringen kann. Ulrich Lange (CSU), verkehrspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag: "Statt verflochtener Bundes- und Länderzuständigkeiten mit Doppelstrukturen und Reibungsverlusten werden wir Kompetenzen effizient bündeln". Die neue Infrastrukturgesellschaft werde dabei wie die Autobahnen selbst - "zu 100 Prozent in Bundeshand" bleiben.

Nach früheren Plänen von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hätten auch private Investoren, etwa Banken und Versicherungen, Anteile an der Autobahngesellschaft erwerben können. Doch dagegen sperrte sich die SPD.


Kritik: Politik hat künftig kaum mehr Einfluss

Kritiker sehen indes schon allein durch die Überführung der Aufgaben in eine privatrechtliche Gesellschaft große Nachteile. Laura Valentukeviciute von der Organisation "Gemeingut in Bürgerhand" warnt: "Der Bundestag hat künftig kaum noch Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten - und die Länder gar keine mehr." Und die Gefahr der Privatisierung sei keineswegs gebannt - komme aber aus einer anderen Richtung. Denn die so genannten öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPPs) bleiben auch nach der Grundgesetzänderung weiter möglich.

Nach der neuen Gesetzeslage werden ÖPPs zwar nicht ausgeschlossen, aber begrenzt. Auf ganzen Autobahnnetzen sind sie verboten, erlaubt sind aber Einzelprojekte unter 100 Kilometer Länge. Doch für Laura Valentukeviciute ist die Einzel-ÖPP ohnehin die "grassierende Privatisierungsform". Unter den sieben bisher in Deutschland verwirklichten Autobahn-ÖPPs umfasse keine mehr als 100 Kilometer Strecke. Und niemand könne künftig verhindern, dass ein Konzern sich zahlreiche Einzel-ÖPPs sichere und dadurch die Mauteinnahmen aus großen Teilen des Streckennetzes kassiert. "Theoretisch bräuchte es nur 130 Projekte, um die 13.000 Autobahnkilometer faktisch in private Hände zu überführen", sagt Valentukeviciute.

Auch Toni Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, klagt: "Union und SPD haben Schlupflöcher zur Privatisierung unserer Autobahnen geschaffen." Die Große Koalition erlaube mit den ÖPPs "eine kostspielige undurchsichtige Beteiligung von Großkonzernen an Autobahnen."


Kommentar von Bernhard Junginger: Höchste Skepsis angebracht

Die Autobahnen sind Deutschlands ganzer Stolz: Das viertgrößte Fernstraßennetz der Welt bietet vielerorts noch die grenzenlose Freiheit auf vier Rädern. Die 13.000 Kilometer Asphalt haben neben dem ideellen auch einen ganz reellen Wert: geschätzte 100 Milliarden Euro nämlich. Und weil zur Lkw-Maut jetzt vielleicht die Ausländermaut kommt und vieles dafür spricht, dass es künftig europaweit einheitliche Mautsysteme gibt, wird aus den Fernstraßen eine langfristig bombensichere Einnahmequelle. In den jetzigen Grundgesetzänderungen wurde den Bedenken gegen eine Autobahnprivatisierung nur zum Teil Rechnung getragen. Die Politik muss weiter sehr genau und kritisch hinschauen, wie sich die Zusammenarbeit der öffentlichen Hand mit der Privatwirtschaft in wichtigen Bereichen der Infrastruktur entwickelt. Der Steuerzahler darf durch sie keinesfalls zusätzlich belastet werden. Überall dort, wo Aufgaben der Daseinsvorsorge in private Hände übergehen sollen, ist höchste Skepsis angebracht.