Druckartikel: Sind Ärzte wirklich geldgierig und korrupt?

Sind Ärzte wirklich geldgierig und korrupt?


Autor: Irmtraud Fenn-Nebel

Bamberg, Mittwoch, 09. Oktober 2013

Bayerns Mediziner sehen sich zu Unrecht in der Kritik und erhoffen sich mehr Unterstützung von der Politik. Darüber sprechen sie vom 11. bis 13. Oktober bei ihrem Ärztetag in Bamberg. Wir führten im Vorfeld ein Interview mit Max Kaplan, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer.
Welche Behandlung ist sinnvoll und notwendig? Patienten sind sich da oft unsicher. Foto: Archiv


Auch wenn die Sondierungsgespräche für eine künftige Bundesregierung noch laufen, steht für die bayerische Landesärztekammer (BLÄK) eines schon fest: Mit der CDU/CSU dürfte die Bürgerversicherung vom Tisch sein. Was er gegen diese "Versicherung für alle" hat und warum sich Ärzte mehr öffentliche Wertschätzung wünschen, darüber sprachen wir im Vorfeld des bayerischen Ärztetags mit BLÄK-Präsident Max Kaplan.

Der 72. Bayerische Ärztetag der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) findet vom 11. bis 13. Oktober in Bamberg statt. Zum Auftakt findet am Freitag, 11. Oktober, um 18 Uhr in der Bamberger Konzert- und Kongresshalle eine Podiumsdiskussion zum Thema "Richtungswahl 2013 für die Gesundheitspolitik?" statt. Die Veranstaltung ist öffentlich.

Das Motto der Auftaktveranstaltung für den Ärztetag lautet "Richtungswahl 2013 für die Gesundheitspolitik". Eine eindeutige Richtung gibt das Wahlergebnis auf Bundesebene aber noch nicht vor. Welche Forderungen haben Sie an eine neue Regierung?

Max Kaplan: Uns geht es darum, das hohe Niveau der medizinischen Versorgung in Deutschland zu erhalten. Das ist nicht selbstverständlich, weil uns eine Gesellschaft des langen Lebens vor Herausforderungen stellt. Wir möchten, dass alle am medizinisch-technischen Fortschritt teilhaben können und die Finanzierbarkeit des Systems gewährleistet bleibt. Deshalb darf es kein Geschachere um die Gesundheitspolitik geben. Sie darf nicht hinten runterfallen, nach dem Motto Autobahnmaut gegen Gesundheitspolitik. Was die Finanzierbarkeit betrifft, gehen wir davon aus, dass mit der CDU/CSU als dominierender Partner in einer Koalition die Bürgerversicherung vom Tisch ist.

Was spricht gegen eine Bürgerversicherung? Wäre sie nicht eine gute Lösung, um die Kosten transparenter zu machen?

Kaplan: Eine Einheitsversicherung bedeutet eine Einheitsmedizin, das entspricht einer Staatsmedizin. Dann schreibt der Staat die Leistungen vor, die versichert werden. Transparenz erhält man nur durch Kostenerstattung. Wir gehen davon aus, dass bei einer Einheitsversicherung das Leistungsspektrum für den Patienten niedriger wird. Das bedeutet aber bei einem zu befürchtenden schlechterem Versorgungsniveau müsste sich der Patient zusätzlich versichern, um die notwendigen Leistungen zu erhalten. Das wäre erst recht eine Zweiklassenmedizin.

Das Leistungsspektrum ist ein gutes Stichwort: Schon jetzt müssen Patienten bezahlen, wenn sie eine Individuelle Gesundheitsleistung (Igel) wollen. Für die Krankenkassen und Organisationen wie die Deutsche Krebshilfe sind die meisten Igel-Untersuchungen aber überflüssig. Der Patient bleibt hilflos zurück.

Kaplan: Individuelle Gesundheitsleistungen sind ein Zeichen dafür, dass der Leistungskatalog der Kassen für die Patienten nicht ausreichend ist. Wir fordern als Ärzte, dass mit den Igel-Leistungen verantwortungsvoll umgegangen wird. Deshalb haben die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) einen Igel-Ratgeber erstellt, der sich gleichzeitig an Ärzte und Patienten richtet. Bevor ein Patient sich für eine Igel entscheidet, muss er vom Arzt über Sinn und Kosten der Leistung aufgeklärt werden. Im Übrigen können die Kassen nicht Alles übernehmen. Eine gesetzliche Krankenkasse ist eine Solidar- und keine Luxusgemeinschaft.

Ärzte haben in letzter Zeit einen schweren Stand: Behandlungsfehler, lange Wartezeiten, dafür wenig Zeit für die Untersuchung. Wie wollen Sie das Vertrauen der Patienten zurückgewinnen?

Kaplan: Nur zehn Prozent der Patienten empfinden die Wartezeiten als zu lange; das hat eine Umfrage der KBV heuer im Frühjahr gezeigt. Beim Spezialisten kann es zwar mal etwas länger dauern, aber beim Hausarzt bekommt man oft noch am selben Tag einen Termin. Im Übrigen haben wir keinen Vertrauensverlust. Bei Umfragen bezüglich des Vertrauens in Berufe stehen die Ärzte immer an erster Stelle. Aber ich sehe das Vertrauensverhältnis in Gefahr. Unser Appell richtet sich an die Krankenkassen, das Vertrauensverhältnis nicht zu belasten. Es muss Schluss sein mit Budgetierung, Regressen und der Skandalisierung der ärztlichen Versorgung.

Skandalisierung? Die Behandlungsfehler sind ja passiert.

Kaplan:
Jeder Behandlungsfehler ist einer zu viel, da will ich nichts schönreden. Aber wir haben 500 Millionen Arzt-Patientenkontakte pro Jahr im ambulanten und 18 Millionen im stationären Bereich. Wenn man die Behandlungsfehler in Verhältnis zu den Behandlungsfällen setzt, dann befinden sich die Fehler im untersten Promillebereich und man kann nicht von Ärztepfusch sprechen. Aber das wird gemacht, genauso wie uns Ärzten Geldgier und Korruption vorgeworfen wird.

Aber die Zahl der Operationen nimmt stetig zu und viele davon sind angeblich überflüssig.

Kaplan: Wir haben einerseits eine alternde Gesellschaft und andererseits einen medizinisch-technischen Fortschritt, um zum Beispiel einem 85-Jährigen ein Hüftgelenk zu implantieren und seine Lebensqualität zu erhöhen. Deshalb ist ein Arzt nicht gleich geldgierig.

Empfinden Sie die öffentliche Kritik als ungerecht?

Kaplan: Wir fordern ein bisschen mehr Wertschätzung der ärztlichen Tätigkeit. Ein Arztberuf ist eine Profession und kein Job, mit dem man nur Geld verdienen will. Ich selbst praktiziere als Allgemeinarzt und bekomme für einen Patienten 55 bis 70 Euro im Quartal, egal wie aufwändig die Behandlung ist.

Und dabei bleibt die Zeit für den Patienten auf der Strecke.

Kaplan: Wenn ich mehr sprechende Medizin leisten will, muss ich das in meiner Freizeit tun. Das liegt aber auch am Sachleistungssystem. Wir haben in Deutschland im Schnitt 18 Arzt-Patienten-Kontakte im Jahr. Der Versicherte zahlt seinen Beitrag, damit ist die Sache für ihn erledigt. Und die Kassen zahlen ein Budget mit befreiender Wirkung, egal, ob ein Patient nur einmal kommt oder länger krank ist.

Wäre ein anderes als das Sachleistungssystem die Lösung?

Kaplan: Das Kostenerstattungsprinzip. Wenn die Arztrechnung transparent gemacht und der Patient in die Kosten einbezogen wird, erübrigt sich vielleicht der ein oder andere Arztbesuch. Dann hätten wir weniger Patientenkontakte, dafür aber mehr Zeit für den Einzelnen.

Kommen wir zurück zur Politik und schauen nach Bayern. Hier schließen gerade in ländlichen Regionen immer mehr Hausarztpraxen, weil sie keine Nachfolger finden. Was tut die Politik, um die Versorgung sicherzustellen?

Kaplan: Die jetzige Staatsregierung hat ein Förderprogramm mit 15 Millionen Euro für die Versorgung im ländlichen Raum freigegeben. Damit wird die Niederlassung von Hausärzten gefördert und es gibt Stipendien für Medizinstudenten, die sich dazu verpflichten, nach ihrem Studium fünf Jahre lang auf dem Land zu arbeiten. Außerdem werden fachübergreifende Gemeinschaftspraxen von Haus- und Fachärzten mit familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen gefördert.

Welche Forderungen haben Sie an die alte-neue bayerische Regierung, die jetzt an den Start geht?

Kaplan: Dass die duale Krankenhausfinanzierung aufrechterhalten wird. Das Land trägt die Investitionskosten, wie Bau und Ausstattung der Kliniken. Dafür hat der Freistaat heuer 70 Millionen Euro zusätzlich freigemacht, insgesamt 500 Millionen. Die Kassen finanzieren die Betriebskosten, wie die ärztlichen und pflegerischen Leistungen, Personal, Reinigung und Verpflegung. Wir möchten nicht, dass es hier zu einem monistischen System käme, in dem allein die Krankenkassen über den Bestand einer Klinik entscheiden. Zur Erhöhung der Attraktivität der ambulanten ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum ist eine Verbesserung der Infrastruktur unerlässlich.

Das Interview führte Irmtraud Fenn-Nebel