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Sicherheit im Bahnverkehr: Die Technik fährt im Zug mit


Autor: Christoph Hägele

Bamberg, Mittwoch, 29. April 2015

In deutschen Zügen schützt ein zweistufiges Sicherheitssystem die Passagiere. Der Handlungsspielraum der Lokführer ist mit den Jahren deutlich enger geworden.
Blick aus einem ICE Fotos: Deutsche Bahn


Wenn sich ein Mensch - wie dies wohl auch am Dienstag in Forchheim der Fall gewesen ist - in selbstmörderischer Absicht vor einen Zug wirft, kann ihn kein Lokführer daran hindern; der Bremsweg eines Zugs ist mitunter kilometer-, mindestens aber einige Hundert Meter lang. Und auch die technischen Systeme in den Zügen kapitulieren vor dem Entschluss des Selbstmörders.

"Unsere Systeme können leider keine Gegenstände erkennen, die auf den Gleisen liegen, zum Beispiel einen Baum oder ein Auto. Und natürlich auch keinen Menschen, der sich das Leben nehmen möchte", sagt Achim Stauss von der Deutschen Bahn.

Was die Bahn tun kann, ist diejenigen zu schützen, die im Zug selbst sitzen. Wer in ein Flugzeug oder einen Zug einsteigt, legt sein Leben in die Hände fremder Menschen. Er muss darauf vertrauen, dass die eingesetzte Technik funktioniert und die Piloten oder Lokführer ihren Aufgaben gewachsen sind. Dass diese darüber hinaus keine bösen Absichten hegen, war etwas Selbstverständliches - bis die Katastrophe der Germanwings-Maschine am 24. März dieses Grundvertrauen, das im Übrigen ein unverzichtbarer Schmierstoff für das Zusammenleben in arbeitsteilig organisierten Gesellschaften ist, erschüttert hat. Nach allem, was man weiß, hat der Copilot die Maschine vorsätzlich in die Felsen gelenkt.

Automatische Bremsung

Die Germanwings-Katastrophe hat auch die Verantwortlichen der Deutschen Bahn durchgerüttelt und ein paar Gewissheiten zur Disposition gestellt.

Denn auch ein ICE rast mit 300 Stundenkilometern durch die Republik und befördert dabei bis zu 700 Passagiere. "Wir haben uns tief in die Augen geblickt und überlegt, ob wir etwas ändern müssen. Dem ist aber nicht so", sagt Achim Stauss von der Deutschen Bahn. Diese Einschätzung stützt sich zum einen auf das "unbedingte Vertrauen" in die Lokführer selbst, zum anderen auf eine zweistufige Sicherheitsarchitektur: die Sicherheitsfahrschaltung im Triebfahrzeug sowie zwei Systeme, bei denen Lokomotive und Streckeneinrichtung korrespondieren: die Punktförmige Zugbeeinflussung (PZB) sowie die Linienförmige Zugbeeinflussung (LZB).
Alle 30 Sekunden müssen Lokführer wie Bernd Seubert in ihrem Führerstand einen Knopf drücken. Damit signalisiert Seubert, der zwischen Frankfurt und Bamberg unterwegs ist, dass er sich im Führerstand aufhält und es ihm körperlich gut geht.

Drückt der Lokführer den Knopf auch nach einer optischen und dann akustischen Erinnerung nicht, wird der Zug umgehend abgebremst. So verhindert die Sicherheitsfahrschaltung, dass ein Zug unkontrolliert über die Schienen rast. Deaktivieren darf ein Lokführer die Sicherheitsfahrschaltung laut Seubert lediglich im Störungsfall, wobei er anschließend nicht schneller als 50 km/h fahren darf. Beim letzten großen Bahnunglück in Deutschland waren im Januar 2011 bei Hordorf in Sachsen-Anhalt zehn Menschen ums Leben gekommen: Ein Personenzug und ein Güterzug stießen zusammen. "Die Strecke war wegen der geringen Höchstgeschwindigkeit nur zum Teil mit PZB ausgerüstet", sagt Stauss.

Die Bahn habe daraus Konsequenzen gezogen und inzwischen in ihrem gesamten Streckennetz PZB installiert. Auf Strecken ab Tempo 160 greift ihrerseits LZB. "Der Lokführer ist hier vor allem als Beobachter gefordert", sagt Jochen Trinckauf, der an der TU Dresden den Lehrstuhl für Verkehrssicherungstechnik besetzt. Fällt die LZB aus, fährt der Zug nur noch mit 160 km/h und die PZB greift. Wie oft PZB oder LZB pro Jahr Züge abbremsen, verrät die Bahn nicht.

In Zügen stecken sicherlich keine komplexeren technischen Sicherheitssysteme als in Flugzeugen. Aber die technischen Systeme eines Zuges setzen dem Entscheidungsspielraum der handelnden Personen engere Grenzen, als dies in Flugzeugen der Fall ist. Ein Autopiloten lässt sich ausschalten, PZB oder LZB dagegen nicht.
Als Technik gewordenes Misstrauen gegenüber ihren Lokführern will die Bahn dies aber nicht verstanden wissen. Es geht in den Worten von Stauss eher darum, die Lokführer bei ihrer "sehr verantwortungsvollen Arbeit" zu unterstützen.

Stunde der Bewährung

Trinckauf attestiert der Bahntechnik, den Raum für menschliche Fehler stark reduziert zu haben: "Eigentlich kann nur etwas passieren, wenn die Technik versagt." Wie oft das der Fall ist, kann er nur schätzen: "Sehr, sehr selten."
Wenn die Systeme aber doch kollabieren, schlägt für die Lokführer die Stunde der besonderen Bewährung. Sie können dann auch über ein Signal fahren, wenn ihnen dies PZB oder LZB zuvor verboten haben sollten. Sie benötigen dafür allerdings einen schriftlichen Befehl des Fahrdienstleiters.


Punktförmige Zugbeeinflussung (PZB)
Bei PZB kommunizieren Magneten in den Gleisen und die Einrichtungen in den Zügen miteinander. Überfährt ein Lokführer ein "Halt" zeigendes Signal, wird sein Zug durch die PZB automatisch zwangsgebremst. Die Messpunkte der PZB überwachen auch, ob der Lokführer wie vorgeschrieben die Geschwindigkeit reduziert, zum Beispiel vor Kurven oder bei der Einfahrt in einen Kopfbahnhof.



Linienförmige Zugbeeinflussung (LZB)

Mittels Funkkabel zwischen den Gleisen versorgt ein Rechner das System im Führerstand ununterbrochen mit Informationen: Sollgeschwindigkeit, Abstand zum vorausfahrenden Zug, Bremswege, Signalstellungen. Hier überwacht der Lokführer nur noch die Systeme.
Der Zug bremst von selbst ab, wenn sein Tempo von der errechneten Sollgeschwindgkeit abweicht.