Rocky Horror Show in Nürnberg: Lustgestöhne aus dem Bühnen-Herzen
Autor: Rudolf Görtler
Nürnberg, Sonntag, 17. Februar 2013
Mit der "Rocky Horror Show" ist Schauspieldirektor Klaus Kusenberg in Nürnberg eine umjubelte Inszenierung des Kult-Musicals gelungen. Live-Musik und alle Möglichkeiten moderner Bühnentechnik spielen harmonisch zusammen.
Was war das? War man selbst in eine "Time Warp", eine Zeitschleife, geraten und eine Woche nach dem Faschingssamstag in einen Maskenball? Männer in Strapsen, hochgestiefelte Frauen mit Langhaarperücken, jede Menge Netzstrümpfe, ein Theatersaal, der nach der Vorstellung mit Konfetti, Klopapier und abgebrannten Knicklichtern versaut war? Dazu eine noch nie erlebte Publikumsbegeisterung mit einer 20-minütigen Applaus- und Zugabephase!
Kult am Nürnberger Staatstheater
Es war ein Kult zelebriert worden am Nürnberger Staatstheater. 40 Jahre nach der Uraufführung ist Richard O'Briens Musical "Rocky Horror Show" immer noch ein Knaller, wenn es mit so viel Verve und Begeisterung inszeniert und gespielt wird. Schauspieldirektor Klaus Kusenberg höchstselbst stemmte eine fetzige Show auf die Bühne, die alle Chancen hat, zum Renner der Saison zu werden. Wer Karten für die 25 Vorstellungen bis Juli haben will, sollte sich beeilen!
Nach wie vor ist die Geschichte um das biedere Pärchen Janet und Brad (Anna Keil, Philipp Weigand), das unter Außerirdische gerät und vormals ungeahnte Seiten - und Begierden - an sich entdeckt, ein großer Spaß. Scherz, Satire auf trivialisierte Versatzstücke der schwarzen Romantik wie Mary Shelleys Frankenstein und Bram Stokers Dracula, dazu modisches Tuntengetue des Glamrock à la New York Dolls oder Sweet Anfang der 1970er; tiefere Bedeutung sollte man nicht suchen. Die Verklemmtheit des jungen Paars wirkt für hiesige Verhältnisse vollkommen antiquiert, für den "Bible Belt" und den Neokonservatismus in den USA nicht unbedingt.
Aber das ist alles nicht so wichtig. Die "Rocky Horror Show" ist ein Spektakel zum Mittun, was das eher ältere und gesetztere Nürnberger Publikum auch brav tat. Sei es das Zischen "Weisssss ...", wenn Janets Nachname erwähnt wird, sei es dito ein "Psch ..." bei Eddie. Das schon erwähnte Konfetti flog zur Hochzeit von Frank N. Furter und Rocky, Klopapier entrollte sich zur Geburt des Retortenwesens. Die Theaterleute hatten ja praktischerweise alle nötigen Utensilien in Plastiktaschen gesteckt, im Foyer zu erwerben.
Außergewöhnliches und engagierte Tänzer
Aus den USA war der Star-Choreograph Marvin A. Smith eingeflogen worden. Dessen Können sich zeigte bei den Zuckungen eigens engagierter Tänzerinnen und Tänzer, der Transsilvanians. Aber auch die Ensemblemitglieder schlugen sich mehr als wacker. Schon als Josephine Köhler als Magenta den Eröffnungssong "Science Fiction/Double Feature" lasziv trällerte, wusste man, dass Außergewöhnliches auf einen wartete. Die Schauspieler, die auch als Sänger brillierten, ließen vergessen, welch sicherlich harte Arbeit hinter ihnen lag, und agierten mit Begeisterung und begeisternd. Marco Steeger entlockte seinem Frank N. Furter durchaus mehr Facetten als nur Glamour und Lüsternheit.
Die überaus attraktive Josephine Köhler könnte in jedem Musical ihre Frau stehen, die quirlige Henriette Schmidt als Columbia war kaum weniger überzeugend. Riff Raff (Christian Taubenheim) im Latexkleid, Eddie (Thomas L. Dietz) dito in Lederhose als überzeugender Meat-Loaf-Klon, ein exzellenter Frank Damerius, der seinen Dr. Everett Scott bis in den Tonfall hinein als Stanley Kubricks Dr. Seltsam anlegte, und nicht zu vergessen der souveräne Erzähler Jochen Kuhl: alle Meisterinnen und Meister ihres Fachs. Ein Extralob verdient das Pärchen Keil/Weigand. Wie die beiden die verdrucksten Mittelklasse-Kids immer mit einem schrillen Unterton von Parodie spielten, war hinreißend. Als Gast avancierte Cale Stanojevic (Rocky) rasch zum Publikumsliebling. Er hat in der Tat einen göttlichen Körper, den er mit akrobatischen Einlagen wie einem Salto rückwärts aus dem Stand auch effektvoll einzusetzen weiß.
Kusenberg versteht es, mit den enormen technischen Mitteln seiner Bühne souverän umzugehen. Da heben und senken sich die Segmente, da schwebt Frank vom Himmel herab, da setzt der Regisseur Videoprojektionen (etwa das aus dem Film bekannte Lippenpaar) effektvoll und doch sinnvoll ein. Günter Hellweg liefert in seinem Bühnenbild Gags wie die Schattenrisse lustvoll kopulierender Pärchen in rosafarbenen Herzen oder den in der sprudelnden Retorte liegenden Rocky. Dass sich Mareike Poroschka in dieser Show mit ihren Sci-Fi-Sadomaso-Kostümen richtig austoben kann, ist so klar, wie der Ton aus den Boxen kam. Denn das schaffte die Tontechnik: Die durchweg mit Headsets agierenden Spieler und Sänger und die im Hintergrund dröhnende Band gut abzumischen (bis auf einige Rückkopplungen vor der Pause). Was wäre ein Rockmusical ohne Rockband? Unter der Leitung von Bettina Ostermeier knallte die fünfköpfige Combo mit Fantasie-Frisuren und Engelsflügeln die Songs heraus, erkennbar, aber keine platte Kopie des Film-Soundtracks. Erstaunlich, wie das alles klappte auf mehreren Bühnenebenen, beim Gewusel und Gewälze.
Was dann mit Schlussjubel auch reichlich belohnt wurde. Und immer noch einmal "Time Warp", und immer noch einmal "It's just a jump to the left / And then a step to the right" ...
Weitere Vorstellungen am 23., 24, 28. Februar und bis Juli. Termine unter www.staatstheater-nuernberg.de. Dort auch Karten. Frühzeitige Reservierung wird empfohlen.