Druckartikel: Organspende ganz automatisch: Das gilt aktuell, das ist geplant

Organspende ganz automatisch: Das gilt aktuell, das ist geplant


Autor: Irmtraud Fenn-Nebel, Matthias Litzlfelder

Bamberg, Freitag, 14. Sept. 2018

Heinz Neuner blieb dank einer Herztransplantation am Leben. So viel Glück haben nicht alle Menschen, weil es zu wenig Organspender gibt. Die vorgeschlagene Widerspruchslösung soll die Zahl der Spender steigern.


"Sie haben eine Lebenschance von einem halben Jahr": Das war die Prognose, mit der Heinz Neuner aus Pretzfeld (Landkreis Forchheim) vor 30 Jahren konfrontiert wurde. "Mein Herz war einfach kaputt", sagt der 83-Jährige. 1988 wurde er auf die Warteliste für ein Spenderherz gesetzt. Bereits nach vier Wochen kam der erlösende Anruf: Neuner erhielt eine Transplantation.

So viel Glück haben nicht alle Patienten, die auf ein Organ warten. Seit 2010 bewegen sich die Organspenden auf einem sehr niedrigen Niveau, 2017 wurde nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) der niedrigste Stand seit Einführung des Transplantationsgesetzes am 1. Dezember 1997 erreicht. "Das ist eine Tragödie", heißt es bei der DSO. Vor allem für diejenigen, die auf ein Spenderorgan warten - allein 1000 Patienten sind es in Bayern.

Um die Zahl der Organspenden zu steigern, hat jetzt Gesundheitsminister Jens Spahn eine sogenannte Widerspruchslösung vorgeschlagen. Vorbild ist Spanien, das diese Regelung praktiziert und mit seiner Spenderquote europaweit an der Spitze liegt.

Kontroverse Debatte

Spahns Vorschlag sorgt für eine kontroverse Debatte. Sein Hauptargument: Durch die Widerspruchslösung könnte die Organspende zum Normalfall werden. Einerseits könnten Betroffene (und Angehörige) nach wie vor eine Organentnahme ablehnen. Andererseits würden vielleicht auch Menschen zu Spendern, die sich zwar innerlich für eine Spende entschlossen, ihren Willen aber nicht schriftlich dokumentiert haben. Dies sind laut Bundeszentrale für politische Aufklärung 62 Prozent (Umfrage 2016). Als weiteres Argument wird angeführt, dass Angehörige im Ernstfall nicht in die belastende Situation geraten, über die Organentnahme entscheiden müssen.

Kritiker dagegen bezweifeln, dass die neue Regelung zu mehr Organtransplantationen führt. Trotz Widerspruchslösung sei in anderen europäischen Ländern die Zahl der Spender nicht gestiegen. Schwer wiegen auch ethische Argumente. Vom menschlichen Körper als Objekt staatlicher Sozialpflichtigkeit war in den Tagen nach dem Vorschlag des Gesundheitsministers die Rede, von Abgabepflicht statt Spende.

Das gilt aktuell

In Deutschland gilt auf Grundlage des Transplantationsgesetzes (TPG) die freiwillige Entscheidungslösung. Organe dürfen nur dann entnommen werden, wenn der Verstorbene in einem Organspendeausweis oder in einer anderen Erklärung seine Zustimmung erteilt hat. Liegt keine Erklärung vor, können nahe Angehörige in einer bestimmten Rangfolge über eine Organspende entscheiden. Inzwischen stellen die Krankenkassen jedem Versicherten, der älter als 16 Jahre ist, alle zwei Jahre einen Organspendeausweis zur Verfügung, verbunden mit der Aufforderung, seine persönliche Entscheidung für oder gegen eine Organspende in diesem Dokument schriftlich festzuhalten. Niemand ist jedoch verpflichtet, sich zu entscheiden. Und eine Entscheidung kann jederzeit widerrufen werden. Sie wird nirgends gespeichert.

Das ist geplant

Wer nicht widerspricht, dem dürfen Organe entnommen werden. Diese von Jens Spahn vorgeschlagene Widerspruchslösung sieht zunächst einmal vor, dass prinzipiell jeder Bürger ein potenzieller Organspender ist, sofern er nicht zu Lebzeiten ausdrücklich seinen entgegenstehenden Willen dazu geäußert hat. Allerdings plädiert der Minister für eine abgemilderte Variante: Seinem Modell zufolge müssten bei fehlendem Widerspruch auch noch die Angehörigen befragt werden. Lehnen diese ab, bliebe eine Organentnahme dennoch ausgeschlossen. In der Fachsprache heißt das "doppelte Widerspruchslösung". Praktiziert wird die Widerspruchsregelung mit Einspruchsrecht der Angehörigen laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) europaweit bisher nur in Belgien, Estland, Finnland, Litauen und Norwegen.