Kernfusion - Hype oder Lösung der Energieprobleme?
Autor: Christopher Hirsch, dpa
, Montag, 04. Dezember 2023
Kernfusion könnte viele Energieprobleme lösen - so die Verheißung. Daran arbeiten neben Forschungsinstituten auch immer mehr Start-ups. Kritiker sehen den jüngsten Hype skeptisch.
Mit Lasern eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle anzapfen - das klingt nach Science-Fiction. Vor gut einem Jahr schaffte es diese Verheißung weltweit in die Schlagzeilen. US-Forscher hatten am 5. Dezember 2022 Atomkerne verschmolzen und dabei mehr Energie erzeugt als sie per Laser direkt hineingesteckt hatten. «Eine der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts» nannte das US-Energieministerin Jennifer Granholm.
Plötzlich redeten Politiker auch in Deutschland vermehrt über Kernfusion. Bundesforschungsministerium Bettina Stark-Watzinger (FDP) kündigte zuletzt Investitionen von mehr als einer Milliarde Euro für die kommenden fünf Jahre an. Das Thema ist in Mode.
«Das kann ich bestätigen», sagt Thomas Klinger, Leiter des Fusionsexperiments «Wendelstein 7-X» bei Greifswald, der Deutschen Presse-Agentur. «In der Fusionsforschung hat es schon sehr signifikante Fortschritte gegeben, die die breite Öffentlichkeit ermutigen, dass das doch kein Luftschloss ist, an dem ewig herumgebastelt wird.» Auch «Wendelstein 7-X» konnte Anfang des Jahres einen Meilenstein verbuchen. Es gelang, ein Plasma - eine Art vierter, für die Kernfusion benötigter Aggregatszustand - sehr heiß und lange aufrechtzuerhalten.
Bei der Kernfusion werden Atomkerne bei extremen Temperaturen verschmolzen - sprich fusioniert. Das passiert auch in Sternen und damit auch in der Sonne. Wissenschaftler setzen dabei auf Laser oder Magnete. Theoretisch ließen sich enorme Energiemengen erzeugen - und das klimaneutral, ohne Gefahr einer Reaktorkatastrophe wie bei der Kernspaltung und ohne langlebige und hochradioaktive Abfälle. Bislang ist das Zukunftsmusik, trotz jahrzehntelanger Forschung.
Roth: Private Investitionen im Milliardenbereich
«Einen Stern auf der Erde künstlich zu erzeugen, am Leben zu erhalten und zu melken», sei das Komplizierteste, das Menschen jemals versucht hätten, sagt Markus Roth von der Technischen Universität Darmstadt. «Wäre es Raketenwissenschaft, hätten wir es in den 60ern bereits hinter uns gebracht.»
Bei dem Experiment in den USA war wie in der Forschung üblich nur die Energiebilanz des Plasmas selbst berücksichtigt worden - nicht aber die Gesamtbilanz. Für eine künftige Stromerzeugung ist entscheidend, dass diese positiv ist, was sie weiterhin bisher noch längst nicht ist. Den damaligen Angaben zufolge benötigte die Anlage etwa 300 Megajoule Energie, um zwei Megajoule Laserenergie zu liefern, die drei Megajoule Fusionsausbeute erzeugten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die erzeugte Energie thermisch anfällt, bei der Übertragung in Strom kommt es in der Regel zu großen Verlusten.
Das von Roth mitgegründete deutsch-amerikanische Start-up Focused Energy will Laserfusion nutzbar machen. Beteiligt seien mehrere Forscher, die am Durchbruch vor einem Jahr in den USA mitgewirkt hätten. Man sei bereits ins Weiße Haus eingeladen worden und Teil eines US-Förderprogramms. Laut Roth belebt eine wachsende Anzahl von Start-ups die Entwicklung. Die Firmen hätten teilweise schon private Investitionen im Milliardenbereich eingeworben.