Besonders kritisch sieht Schölgens Influencer mit großer Reichweite, die gefährliche Fehlinformationen verbreiten. «Wenn jemand mit 300.000 Followern behauptet, es gäbe keine Depressionen – man solle lieber ein Coaching bei ihm buchen und Tabak aus dem Regenwald rauchen –, dann ist das hochgefährlich.»
Esoterische Desinformationen
«Außerdem beobachten wir eine große Esoterik-Bubble», sagt die Expertin. Diese verbreite nicht nur irreführende Gesundheitswerbung, sondern auch Verschwörungstheorien und Desinformationen. Da gehe es zum Beispiel um «Vergiftung durchs Impfen», «Vergiftung durch fluoridhaltige Zahnpasta» oder «Kontrolle der Bevölkerung durch das System» - wie die Pharmaindustrie, die Politik und die Medien.
Chancen und Verantwortung für Ärzte
Auch die Bundesärztekammer (BÄK) sieht die digitale Gesundheitskommunikation als zweischneidiges Schwert. Sie könne ein wertvoller Beitrag zur Gesundheitsbildung sein – vorausgesetzt, sie erfolge verantwortungsvoll, transparent und im Einklang mit berufsethischen Standards, sagt Samir Rabbata, Leiter des Dezernats Politik und Kommunikation.
Das Ansprechen jüngerer Zielgruppen biete die Chance, Gesundheitskompetenz frühzeitig zu stärken und präventives Verhalten zu fördern. Verständliche, evidenzbasierte Inhalte könnten eine breite Bevölkerung erreichen und das Bewusstsein für Prävention und Früherkennung erhöhen.
Gleichzeitig warnt Rabbata vor Risiken: Vereinfachte, verkürzte oder falsche Darstellungen könnten zu Missverständnissen und zu gesundheitsschädlichen Entscheidungen führen - wie etwa falscher Selbstbehandlung -, verzögerten Arztbesuchen oder unnötigen Tests.
Junge Zielgruppen besonders empfänglich
Laut Claudia Lampert vom Hamburger Leibniz-Institut für Medienforschung hat eine österreichische Studie gezeigt, dass 83 Prozent der 15- bis 25-Jährigen zumindest gelegentlich gesundheitsbezogene Inhalte von Influencern konsumieren. 37 Prozent folgen aktiv Healthfluencern und 31 Prozent der Befragten haben schon einmal ein Gesundheitsprodukt gekauft, das von einem Influencer beworben wurde.
Befragt wurden rund 1.000 Jugendliche und junge Erwachsene. Zur tatsächlichen Wirkung solcher Inhalte gibt es laut Kommunikationsforscherin Lampert bislang jedoch kaum belastbare Studien.
Leitfaden für Ärzte in sozialen Medien
Um medizinisches Fachpersonal im Umgang mit sozialen Medien zu unterstützen, hat die Bundesärztekammer den Leitfaden «Ärztinnen und Ärzte in sozialen Medien» veröffentlicht. Für die Nutzer der Inhalte auf Tiktok & Co. gibt es hingegen keine vergleichbare Hilfe: «Das Erkennen seriöser Inhalte ist herausfordernd – besonders wenn die Versprechen verlockend klingen, etwa Abnehmen ohne Verzicht oder Aufwand», sagt Lampert. «Solche Aussagen sollten immer skeptisch machen.» Ein Problem ist aus ihrer Sicht, dass es bisher keine verlässlichen Qualitätsstandards für Gesundheitsinformationen gibt, die über soziale Medien verbreitet werden.
Die Verbraucherzentrale NRW fordert umfassende Maßnahmen, um Nutzer besser vor unseriösen Gesundheitsversprechen in sozialen Medien zu schützen. Dazu gehören unter anderem klare gesetzliche Rahmenbedingungen für Influencer-Werbung, eine eindeutige Verantwortlichkeit derjenigen, die gesundheitsbezogene Inhalte posten, sowie eine schnelle und konsequente Bestrafung bei gesundheitsgefährdenden Aussagen – inklusive Account-Sperrungen durch die Plattformbetreiber.
- Jasper Iske auf Instagram