Tiefe Erschöpfung im Ahrtal - «Ich war noch nie so platt»
Autor: Ira Schaible (Text) und Boris Roessler (Fotos), dpa
, Sonntag, 21. Januar 2024
Zweieinhalb Jahre nach der tödlichen Flut im Ahrtal sind viele Menschen zutiefst erschöpft. Noch immer werden Häuser abgerissen oder stehen da wie unangetastet.
Tim Himmes hat sein Elternhaus in Schuld an der Ahr nach der Flutkatastrophe nach und nach wieder aufgebaut. «Das ist ein Leben wie auf der Baustelle. Man wird nicht fertig», sagt der 23-Jährige und zeigt auf die Platten, mit denen er den Weg zum Haus pflastern will. Danach ist die Scheune dran.
Und der Strom solle nun unter die Erde gelegt werden, erzählt er. Auf den Glasfaser-Anschluss wartet die Schaustellerfamilie noch. «Den haben sie uns schon vor langer Zeit versprochen, ungefähr ein Jahr nach der Flut», sagt Himmes und lacht. Zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe mit mindestens 135 Toten gibt es immer noch viel zu tun, und viele Menschen sind erschöpft.
Hohe Belastung der Anwohner
Die Auswirkungen der Flutkatastrophe auf die psychische Gesundheit der Menschen seien «massiv und langfristig», berichtet die Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, Sabine Maur. Viele Bewohner des Ahrtals seien belastet «durch die lange Dauer des Wiederaufbaus, die andauernden Baustellen, die langwierigen Auseinandersetzungen mit Behörden und Versicherungen, die anhaltenden finanziellen und familiären Sorgen».
«Schnell und unbürokratisch geht hier gar nichts. Das war mal drei, vier Wochen nach der Flut so, als kein Mensch da war», sagt Hotelier und Gastronom Wolfgang Ewerts. «Ich fühle mich ausgelaugt wie ein alter Putzlappen. Ich war noch nie so platt», sagt der Unternehmer, der seit der Flut sein Wohnhaus und seinen Betrieb in Insul wieder aufgebaut und immer weiter investiert hat.
«Die Buchungslage ist gut.» Viele seiner Gäste fragten inzwischen: «War hier bei Ihnen auch das Hochwasser?» Dann zeigt er auf den Bildschirm über der Rezeption, auf dem Fotos in Dauerschleife dokumentieren, wie sehr die Wassermassen am 14./15. Juli 2021 sein Gasthaus mit dem Biergarten an der Ahr verwüstet haben.
Die Brücke in Insul fehle noch, sagt Ewerts. «Sehr viel ist aber schon wieder da, viele Ruinen sind weg und vieles ist schöner als vorher.» Auf dem zentralen Platz an der Ahr in Schuld dagegen hat sich wenig getan. Haufen aus verschiedenen Steinen und riesige Kabeltrommeln aus Holz kündigen aber an, dass es wohl bald voran geht. Hier und da werden in dem Ort neue Häuser gebaut oder restauriert. Dazwischen stehen noch immer völlig verschlammte Gebäude, die nach der Flutkatastrophe zwar entkernt, danach aber nicht mehr angefasst wurden.
Depressive Erkrankungen und Suchterkrankungen
Posttraumatische Belastungsstörungen, wie in der Anfangsphase, seien seltener geworden, dafür nähmen depressive Erkrankungen und Suchterkrankungen zu, sagt Psychotherapeutin Maur. Unter den Hilfesuchenden, von denen viele viel zu lange auf einen Therapieplatz warten müssten, seien inzwischen auch viele Menschen, «die anfangs vielleicht dachten, sie kommen alleine klar oder auch unsicher waren hinsichtlich einer Therapie».