Nahrungsergänzungsmittel für Kinder: sinnvoll oder unnütz?
Autor: Anja Sokolow, dpa
, Freitag, 24. November 2023
Sie sehen aus wie Süßigkeiten und versprechen besseres Konzentrationsvermögen bis hin zum gesunden Immunsystem. Nahrungsergänzungsmittel gibt es auch speziell für Kinder. Doch brauchen sie die auch?
Viele Hersteller haben längst auch die Jüngsten als Zielgruppe für Vitamine, Mineralstoffe und Pflanzenextrakte erkannt. «Etwa 14 bis 19 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren nehmen regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel», sagt die Ernährungswissenschaftlerin Anke Weißenborn vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). «Das ist ein signifikanter Anteil.» Bei jüngeren Kindern bis zu sechs Jahren seien es noch unter zehn Prozent.
«Es wird stark in den sozialen Medien und von Influencern für Kinder-Nahrungsergänzungsmittel geworben, häufig mit Aussagen, die nicht einmal zulässig sind», sagt Angela Clausen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. «Oft suggeriert die Werbung, dass Kinder, wenn sie vor neuen Herausforderungen stehen, unbedingt Extra-Vitamine brauchen, zum Beispiel, wenn sie in die Schule kommen», so die Expertin.
Vitaminpräparate für Kinder sinnvoll?
Vor allem besser verdienende Eltern setzten auf diese oft recht teuren Produkte, nach dem Motto: «Man kann alles noch besser machen». Die Kinder-Vitaminbärchen der Marke «Bears with benefits» beispielsweise kosten 166 Euro pro Kilo. Die Gründerinnen Marlena Hien und Laurence Saunier erklären dies unter anderem damit, dass sie statt «billiger und gefährlicher» Nanopartikel und Füllstoffe natürliche Lebensmittelfarbe aus Süßkartoffeln, Karotten oder Blaubeeren nutzen und auf Trennmittel, Füllstoffe und Allergene verzichten.
Doch wie sinnvoll sind Vitaminpräparate für Kinder überhaupt? Das Bundesinstitut für Risikobewertung sieht die Mittel kritisch: «Wir haben weder bei Kindern noch bei Erwachsenen einen Zusatznutzen festgestellt», sagt Weißenborn, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fachgruppe Ernährungsrisiken, Allergien und Neuartige Lebensmittel am BfR. «Wenn wir über die Ernährung ausreichend versorgt sind, nützt es gar nichts, zusätzliche Vitamine und Mineralstoffe einzunehmen», so die Expertin.
Gesunde Ernährung im Alltag
Kinder in Deutschland seien im Allgemeinen über die normale Ernährung mit ausreichend Nährstoffen versorgt. Nur bei einigen wenigen wie etwa Vitamin D und Jod werde der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlene Referenzwert nicht von allen erreicht. «Aber das heißt nicht, dass diese Kinder automatisch im Mangel sind», so Weißenborn. Und für Säuglinge werde eine Vitamin-D-Gabe von Ärzten ohnehin empfohlen.
«In bestimmten Fällen können Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein, etwa bei Kindern mit Stoffwechselerkrankungen», sagt Berthold Koletzko, Kinderarzt und Experte für Stoffwechsel und Ernährung am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München. Es gebe auch bestimmte Phasen im Wachstum, in denen es zu Lücken in der Nährstoffversorgung kommen könne, etwa bei Omega-3-Fettsäuren und Eisen. Idealerweise könnten diese aber durch eine jeweils frisch zubereitete, ausgewogene Ernährung ausgeglichen werden.
Achtung: Überdosierung
«Doch die Lebenswirklichkeit vieler Familien wird damit nicht immer getroffen», sagt Koletzko. Oftmals bestimme Hektik den Alltag, eine gesunde Ernährung sei nicht immer gewährleistet», so der Kinderarzt. Trotzdem rät er davon ab, einfach Vitaminpräparate zu kaufen. «Man sollte zunächst immer Kinder- und Jugendärzte um Rat bitten», so Koletzko.