Mir hilft hier keiner - Zehn Jahre Kölner Silvesternacht
Autor: Christoph Driessen, dpa
, Dienstag, 30. Dezember 2025
Vor zehn Jahren erschütterte die Kölner Silvesternacht das allgemeine Sicherheitsempfinden. Frauen wurden Opfer sexueller Übergriffe durch ausländische Täter, und niemand griff ein. Fast niemand.
Die körnigen Bilder gingen um die Welt: im Vordergrund junge, dunkelhaarige Männer, vor ihnen Rauch und explodierende Feuerwerkskörper, im Hintergrund die Portale, Fenster und Strebebögen des Kölner Doms. Der Platz zwischen Kathedrale und Hauptbahnhof war in der Silvesternacht 2015/16 Schauplatz sexueller Übergriffen auf Frauen.
Der Kriminalpsychologe Rudolf Egg hat für den nordrhein-westfälischen Landtag mehr als 1.000 Anzeigen aus der Kölner Silvesternacht ausgewertet und ein Gutachten erstellt. Er ist sich sicher: «Ein solches Geschehen hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben, auch nicht in einem anderen europäischen Staat.» Das erkläre auch das überragende internationale Interesse an dem Ereignis.
Frauen empfanden Zustand völliger Hilflosigkeit
Die Anzeigen ergäben in der Zusammenschau ein verblüffend einheitliches Bild, berichtet Egg der Deutschen Presse-Agentur. «Die Frauen empfanden einen Zustand völliger Hilflosigkeit, weil die Polizei entweder gar nicht da war oder nicht eingriff. Sie gaben auch übereinstimmend an, dass sie die Täter gar nicht richtig beschreiben könnten, weil alles so schnell gegangen sei.»
Beides zusammen habe den besonderen Schrecken der Situation ausgemacht: die sexuelle Belästigung in Kombination mit dem Bewusstsein «Ich bin hier ganz allein auf mich gestellt, mir hilft hier keiner».
Den Ablauf des Geschehens rekonstruierte Egg so: Die Frauen trafen am Silvesterabend im Kölner Hauptbahnhof ein, um in der Stadt zu feiern. «Eine Frau berichtete zum Beispiel, dass sie mit zwei Freundinnen über den Bahnhofsvorplatz gegangen sei.» Sie waren bereits im Hotel gewesen und hatten sich dort ausgehfertig gemacht.
«Plötzlich, so schilderte es die Frau, wurden sie von hinten begrapscht, und als sie sich umdrehten, blickten sie in die grinsenden Gesichter mehrerer junger Männer mit südländischem Aussehen. Wer was gemacht hatte, konnten sie in dieser Situation gar nicht sagen.» Das sei auch der Grund dafür gewesen, warum nur so wenige Täter zur Rechenschaft gezogen worden seien.
Die Übergriffe waren spontan, nicht geplant
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Köln gab es 1.210 Strafanzeigen, von denen sich 511 auf sexuelle Übergriffe bezogen. Angeklagt wurden letztlich 46 Personen, von denen 36 verurteilt wurden - nur zwei wegen sexueller Nötigung. Der Großteil der Beschuldigten kam aus Nordafrika, vor allem aus Algerien und Marokko - nicht aus Syrien, dem Land, aus dem in den Monaten zuvor Hunderttausende Kriegsflüchtlinge in Deutschland Schutz gesucht hatten.