Gewalt in der Erziehung: Was eben doch geschadet hat
Autor: Niklas Treppner, dpa
, Sonntag, 28. Sept. 2025
Klaps, Ohrfeige, Drohung – das waren lange Zeit keine ungewöhnlichen Erziehungsmethoden. Vor 25 Jahren verbietet der Gesetzgeber dann Gewalt in der Erziehung. Was hat das Gesetz bewirkt?
Vor 60 Jahren geht Jörg Fegert, der damals acht Jahre alt ist, nur mit Lederhose in die Grundschule. «Weil es mit einem Rohrstock regelmäßig Schläge auf den Po gab», erzählt der ärztliche Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Ulm. «Damals waren körperliche Züchtigungen in der Schule schon verboten, aber immer noch völlig gang und gäbe.» Und Leder schützt dann eben mehr als Leinen.
Auch im Elternhaus erfahren viele Kinder seinerzeit körperliche Gewalt: Eine Ohrfeige für die herunter gestoßene Vase oder einen Schlag auf den Hinterkopf, weil Papa oder Mama einfach der Geduldsfaden reißt. In Deutschland habe sich in den vergangenen Jahrzehnten viel geändert, sagt Fegert.
Am Montag (29. September) vor 25 Jahren billigt der Bundesrat abschließend ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz, das gewaltfreie Erziehung als Kinderrecht verankert. «Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig», heißt es nun im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Zu Beginn der 1990er Jahre war der Druck auf den Gesetzgeber durch die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) gewachsen.
Symbolpolitik oder Erfolgsgeschichte?
Fegert, der damals als Experte im Bundestag angehört wird, erinnert sich: «Die Hälfte des Parlaments war der Auffassung, das ist nur Symbolpolitik und das bringt überhaupt nichts.» Dabei habe sich in Schweden, wo das Schlagen von Kindern bereits 1979 verboten wurde, gezeigt, wie positiv eine Gesetzesänderung wirken könne. Die Festlegung einer Norm habe auch in Deutschland zu einem Umdenken geführt, sagt Fegert.
Ein Umdenken kommt schon Jahrzehnte zuvor ins Rollen, wie Till Kössler, Historiker an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, erklärt. In den 30er- und 40er-Jahren beginnen Kinderpsychiater in den USA demnach, sich an den Theorien von Sigmund Freud zu orientieren und die Verletzlichkeit von Kindern in den Mittelpunkt zu stellen.
Die 68er-Bewegung in Deutschland greife Jahrzehnte später diese neue Perspektive auf Erziehung auf und radikalisiere sie, sagt Kössler. In den folgenden Jahren setze sich zunehmend die Idee durch, Kindern auf Augenhöhe und wertschätzend zu begegnen. «Bis dahin war man eigentlich der Ansicht, dass die Abhärtung des Kindes wichtig ist, um es widerstandsfähig zu machen, um in der Welt zu bestehen», sagt der Historiker.
Anhaltender Stress schädigt Kinderhirne
Eine vermeintliche Abhärtung hat aber oft schlimme Folgen, erklärt Sibylle Winter, Kinder- und Jugendpsychiaterin an der Charité in Berlin. «Das Kind wird gestresst und bleibt gestresst. Und das bedeutet, dass der Körper und insbesondere eben auch das Gehirn geschädigt werden», sagt sie.