Der stille Supermarkt
Autor: Aleksandra Bakmaz, dpa
, Donnerstag, 21. Dezember 2023
Bunte Reklamen, blitzende Lichter und «Last Christmas» in Dauerschleife: Einkaufen in der Adventszeit ist herausfordernd. Autisten leiden besonders unter der Reizüberflutung. Märkte wollen helfen.
Mit mehreren Durchsagen werden die Supermarkt-Kunden auf das vorbereitet, was jetzt kommt: Ruhe. Gedimmtes Licht, leise Kassen und eine friedlichere Atmosphäre sollen Autisten und sensiblen Menschen einen entspannteren Einkauf ermöglichen - auch in der wuseligen Adventszeit. «Stille Stunde» heißt das Konzept, das aus Neuseeland stammt und in immer mehr Supermärkten in Deutschland praktiziert wird.
So richtig still ist es an diesem Dezembertag im Konstanzer Edeka-Center Baur natürlich nicht. «Nicht alles lässt sich komplett abstellen», sagt Sabine Seibl, die Geschäftsführerin von Edeka Baur. Ein normaler Supermarkt sei auf so etwas nicht ausgerichtet. Aber es sei eine spürbar ruhigere Atmosphäre, die es seit März immer dienstags in dem Markt gibt.
Die Anregung für die «Stille Stunde» stamme von einer Kundin mit autistischen Kindern, sagt Seibl. «Erst durch sie ist mir der Bedarf und die Not, die da ist, bewusst geworden.» Das sei ein Einblick in eine ganze neue Welt gewesen. «Für mich war es unvorstellbar, dass jemand lieber nicht isst, als sich dem Stress eines Einkaufs hinzugeben», so die Geschäftsführerin. «Teilhabe» sei das Zauberwort gewesen, mit dem Katrin Zorn sie überzeugt habe.
Schmerzhaftes Licht
Zorn selbst ist dankbar und kann es gleichzeitig nicht so recht glauben, dass sie den Markt für die Idee gewinnen konnte. Ihre Kinder seien begeistert, sagt die Mutter. «Wir hatten Jahre, da hat unsere Tochter nur Reis gegessen - morgens, mittags, abends. Da wäre es hilfreich gewesen, sie mal in den Supermarkt mitzunehmen, um zu zeigen, was es alles gibt.» Wegen der Reizüberflutung sei es zu dem Zeitpunkt nicht möglich gewesen, mit ihr in einen normalen Supermarkt zu gehen.
«Das grelle Licht in Supermärkten empfinden die Menschen im Autismus-Spektrum oft als schmerzhaft in den Augen», sagt Zorn, die auch die Vorsitzende des Autismus-Netzwerks in der Bodensee-Stadt ist. «Geräusche werden zum Teil viel stärker wahrgenommen.» Das Reduzierte bei der «Stillen Stunde» mache vieles leichter. Einkaufen sei eine wichtige Alltagskompetenz für Autisten, weil es ein selbstständiges Leben bedeute.
Angebot in immer mehr Märkten
Immer mehr Märkte in Deutschland gehen mit «Stillen Stunden» auf die Bedürfnisse der autistischen und sensibleren Kundschaft ein. Die Initiativen sind bundesweit verstreut, flächendeckend ist das Angebot noch nicht.
Von Rewe etwa hieß es, dass man großes Verständnis für Kunden habe, die es etwas leiser haben wollen. «Daher kann in jedem Markt die Lautstärke der Musik individuell geregelt werden, ohne dass man auf bestimmte Einkaufszeiten festgelegt ist», so ein Sprecher. Das Kassensignal könne nicht in der Lautstärke geregelt werden. Auch andere Ketten zeigten sich etwas zurückhaltend.