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"Macht des Schicksals" dramaturgisch verhunzt


Autor: Monika Beer

München, Montag, 23. Dezember 2013

Die Bayerische Staatsoper beschließt das Verdi-Jahr mit einer Neuinszenierung der "Macht des Schicksals". Bei der Premiere am Sonntag bejubelte das Publikum vor allem das Operntraumpaar Anja Harteros und Jonas Kaufmann sowie den französischen Bariton Ludovic Tézier.
Jonas Kaufmann als langhaariger Mestize Alvaro und Anja Harteros als Leonora sind die umjubelte Hauptsolisten in der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Oper "La forza del destino" ("Die Macht des Schicksals") in München Alle Szenenfotos: Wilfried Hösl


Wenn die Sopranistin Anja Harteros und der Tenor Jonas Kaufmann auf der Besetzungsliste stehen, kann Nikolaus Bachler, der Intendant der Bayerischen Staatsoper, sich entspannt zurücklehnen. Denn das Münchner Operntraumpaar garantiert unbesehen ein mehrfach ausverkauftes Haus - sogar bei einer Inszenierung, die keineswegs traumhaft gelungen ist.

Dabei standen die Zeichen am Sonntag gut. Im Nationaltheater hatte Regisseur Martin Kusej, selbst Intendant im unmittelbar benachbarten Residenztheater, 2008 mit Giuseppe Verdis "Macbeth" und 2010 Antonin Dvoraks "Rusalka" zwei gleichermaßen substanzvolle, verstörende und zeitgemäße Interpretationen vorgelegt.

Seine dritte Münchner Opernarbeit mit Verdis "La forza del destino" ("Die Macht des Schicksals") hingegen geht leider nur streckenweise auf.


Allerorten steht der Familientisch

Was erstens am religions- und gesellschaftspolitisch-kritisch gemeinten, dem Zuschauer sich letztlich kaum erschließenden Konzept liegt. Und zweitens am sterilen Bühnenbild von Martin Zehetgruber, das anstelle von Visionen nur modische Zitate bringt. Der Esstisch des mafiös wirkenden Marchese di Cala trava, an dem während der Ouvertüre die Familie ein Abendmahlsgebet zelebriert, zieht sich wie ein roter Faden durch fast alle Szenen, wird aber nicht als das intendierte Sinnbild für Leonoras Urtrauma erkennbar, die laut einer Interviewäußerung des Regisseurs "die ganze unpsychologische, unlogische, verrückte, bedrohliche, irritierende Welt dieser Oper praktisch in ihrem Zimmer, in ihrem Kopf erlebt".

Zumal ihr zunächst von einem Kinderstatisten dargestellter Bruder Carlo (Kostüme: Heidi Hackl) als einziger von der Ouvertüre zur eigentlichen Handlung einen Zeitsprung macht und nicht jeder versteht, wieso ihr Vater gleichzeitig als Pater Guardian auftritt. Warum Alvaro, nachdem sich der unbeabsichtigte, für den Vater seiner Geliebten tödliche Schuss aus seiner Pistole gelöst hat, den ersten Akt überlebt, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Denn der Regisseur platziert im nur durch seine Gardinen wohnlichen Rampentheaterwohnzimmer einen Leibwächter, der merkwürdigerweise nicht tut, was er tun müsste, sprich: den vermeintlichen Angreifer seines Herrn sofort abknallt.


Lauter szenische Problemfälle

Derlei unnötige Fragen stellen sich immer wieder, was bei einer ohnehin verzwickten Handlung nicht gerade zielführend ist. Zwar kann man nachvollziehen, dass die kriegsverherrlichende Preziosilla ein szenischer Problemfall ist, aber bei ihrer Rataplan-Nummer den kompletten Chor einfach bewegungslos flachzulegen, ist sicher keine Lösung, selbst wenn das die außergewöhnliche Perspektive des Bühnenbilds bedient.

Die Bildzitate des zerstörten World Trade Centers und vor allem die Aufsicht auf eine Art bombardiertes Abu Ghuraib-Gefängnis verkommen zum bloßen Dekor - vor allem letzteres Bild, das zunächst "normal" mit Statisten bevölkert ist, die mit viel Aufwand an Theaterblut und -schminke doch nur so tun als ob, während einige unter merklichen körperlichen Mühen beglaubigen sollen, dass der Zuschauer sie nicht liegend, sondern stehend sieht, was wiederum von den Hauptakteuren ständig unterlaufen wird. Was um Himmels willen soll das?


Der Schuss geht nach hinten los

Dass der Chor darüber hinaus mal orientierungslos verstörte Passanten, mal fröhlich kopulierende Kneipenbesucher, mal ein hungriges Prekariat mimen muss: geschenkt! Es handelt sich um sehr bemühte und zusammenhanglose Regieideen, die nichts Wesentliches dazu beitragen, um den Fortgang der Handlung zu erhellen. Eine verkopfte Dramaturgie ist manchmal wie ein Schuss, der nach hinten losgeht. Was immerhin auf fatale Weise fast schon wieder zum Stück passt.

Suggestiv wirkt da schon eher der Aussteigermönchsclub für ausschließlich männliche Manager, der den Neuankömmling Leonora so intensiv im kleinen Schwimmbecken tauft, dass das wie Folter aussieht. Und doch gibt es vor der trostlosen hölzernen Gemeindesaal-Faltwand auch Szenen, die unmittelbar berühren - Leonoras innige Gebete und das absurde und doch fesselnd inszenierte große Duell zwischen Alvaro und seinem Freund und Todfeind Carlo di Vargas im vierten Akt.


Solisten der Spitzenklasse

Hier zeigt sich beispielhaft, dass Martin Kusej es durchaus versteht, die Figuren und ihre Protagonisten mit einem unter die Haut gehenden, glaubhaften Leben zu füllen. Und generell zeigt sich, dass die Staatsoper Solisten der Spitzenklasse aufzubieten weiß, die mit ihrer darstellerischen und musikalischen Präsenz über inszenatorische Leerstellen hinweghelfen und sogar das meistern, was sonst - wie die anspruchsvolle Duellszene im dritten Akt - gerne ausgelassen wird.

Jubelgetrampel nicht nur für Anja Harteros (Leonora) und Jonas Kaufmann (Alvaro), die ihre Rollendebüts beide nach einigen Anlaufschwierigkeiten glanzvoll absolvierten, sondern gleichermaßen für den großartig artikulierenden Bariton Ludovic Tézier (Carlo). Drei Opernweltstars, dazu mit Vitalij Kowaljow (Marchese/Padre Guardian), Nadja Krasteva (Preziosilla) und Renato Girolami (Fra Melitone) drei weitere Hauptsolisten auf Augenhöhe, die Sänger der Nebenrollen und der spielbegabte Chor sorgen trotz des papierenen Konzepts für einen tollen Opernabend, der noch besser ausfallen könnte, wenn Dirigent Asher Fisch sich weniger behäbig-laut auf seine Routine und deutlich mehr auf die feinen Details der Partitur verlassen würde, die das Staatsorchester in der zweiten Fassung mit einigen Strichen aufführt. Die erste Aufführungsserie ist bereits komplett ausverkauft; die Vorstellung am 28. Dezember wird ab 18 Uhr live im Internetübertragen.