Lauert Corona auf Oberflächen ?
Autor: Irmtraud Fenn-Nebel
Nürnberg, Dienstag, 01. Dezember 2020
Kann ich mich mit dem Coronavirus infizieren, wenn ich im Supermarkt einen Einkaufswagen oder die Zeitschrift beim Arzt anfasse? Diese Fragen stellen sich viele Menschen immer wieder. Die Experten sind sich weitgehend einig.
Bankautomaten, Türklinken, Lebensmittel, Einkaufswagen, Kinderspielzeug, Mobiltelefone, Geschirr, Verpackungen: Ständig berührt man mit den Händen Oberflächen aller Art - und fragt sich, ob dort Corona-Viren lauern. Experten sind sich jedoch einig: Dieser Übertragungsweg spielt für Covid-19 keine große Rolle.
Ein gutes Beispiel sind die Verleih-Zeitschriften, die zu Beginn der Pandemie vielerorts aus Angst vor Infektionen verschwanden. Jeder kennt sie und hatte sie beim Arzt, Friseur, im Schwimmbad und Café schon einmal in der Hand: Die Hefte, die vom Nürnberger "Lesezirkel Dörsch" mit dem bekannten roten Umschlag versehen werden. Weil eine Ansteckung durch die gemeinschaftliche Nutzung befürchtet wurde haben nicht alle, aber viele Praxen und Firmen im Frühjahr die Lektüre weggeräumt. Mittlerweile ist bekannt, dass diese Angst eher unbegründet ist und werden die Zeitschriften wieder ausgelegt - vorsichtshalber versehen mit einem Hinweis.
Unterstützung für Kunden
"Führende Institute halten eine Corona-Übertragung durch Zeitschriften für unwahrscheinlich" ist groß auf der Außenseite der Hefte zu lesen. "Unsere aktuelle Umschlaggestaltung soll mithelfen, zumindest unsere Kunden beim richtigen und sicheren Umgang mit den Zeitschriften zu unterstützen", erklärt Ralf Weigel, Vertriebsleiter bei Dörsch. Die Kunden sind zum einen Privatleute, die sich ihre Lektüre individuell zusammenstellen können, zum anderen Firmen.
Prinzip Mehrfachvermietung
Der Lesezirkel wurde 1924 vom fränkischen Schreinermeister Adam Dörsch in Nürnberg gegründet. Das Prinzip besteht in der Mehrfachvermietung von Zeitschriften und Magazinen. "Modernes Zeitschriften-Leasing", sagt Weigl. Mit 120 Mitarbeitern wird das mittelständisches Unternehmen in dritter Generation in Familienhand geführt. Vermietet werden 200 Zeitschriften, die direkt bei den Verlagen eingekauft und mit den bekannten, roten Schutzumschlägen versehen werden.
Wöchentlich werden sie in Bayern, Sachsen und Thüringen ausgeliefert. "Nach Ablauf einer Woche werden sie abgeholt und durch die aktuelle Zeitschriftenkollektion ersetzt", erklärt Weigl. Die zurückgenommenen Hefte werden überprüft, gegebenenfalls erneuert und an "Nachleser" weiter vermietet.
Abbestellungen und Abo-Unterbrechung
Für das Leasing bezahlen die Kunden eine Mietgebühr. Corona machte vielen jedoch einen Strich durch die Rechnung. "Seit Beginn der Pandemie im März sind vor allem unsere gewerblichen Kunden stark betroffen, leiden unter finanziellen Einbußen, dürfen ihre Betriebe nur unter Hygieneauflagen fortführen oder mussten und müssen zum Teil schließen", sagt Weigl. "Dies führte auch in unserem Geschäft dauerhaft zu einem erheblichen Umsatzrückgang." Zum einen seien überproportional viele Zeitschriften-Mietvereinbarungen gekündigt worden, zum anderen ließen viele Kunden den Service ruhen.
Keine Ansteckungen bekannt
Weigl ist froh, dass zumindest die Angst vor einer Virusübertragung durch das Berühren von Zeitschriften ausgeräumt werden konnte. Experten sind sich einig: "Für eine Übertragung des Virus durch Kontakt zu kontaminierten Gegenständen oder über kontaminierte Oberflächen, wodurch nachfolgend Infektionen beim Menschen aufgetreten wären, gibt es derzeit keine belastbaren Belege", sagt zum Beispiel Aleksander Szumilas vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in Erlangen. Allerdings seien Übertragungen durch Schmierinfektionen über Oberflächen, die kurz zuvor mit Viren kontaminiert wurden, theoretisch denkbar und können nicht ausgeschlossen werden. "Aufgrund der relativ geringen Stabilität von Coronaviren in der Umwelt ist dies aber nur in einem kurzen Zeitraum nach der Kontamination wahrscheinlich", sagt Szumilas.
Schmierinfektionen wären denkbar
Ähnliches teilt das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) auf Anfrage mit. "Grundsätzlich können Coronaviren durch direktes Niesen oder Husten einer infizierten Person auf Oberflächen gelangen und eine Zeit lang infektiös bleiben", sagt BfR-Sprecher Jürgen Thier-Kundke. Eine Schmierinfektion einer weiteren Person erscheint dann möglich, wenn das Virus kurz danach über die Hände auf die Schleimhäute der Nase oder der Augen übertragen wird. Über die Infektionsquelle "harte Oberflächen" seien bisher aber keine Ansteckungen mit Covid bekannt. Dieser Übertragungsweg gilt nach derzeitigem Stand der Wissenschaft laut BfR als unwahrscheinlich. Trotz allem geben die Behörden eine klare Empfehlung zur Handhygiene.
Hinweis auf den Umschlagseiten
Diese Hinweise enthält auch der Aufdruck der Lesezirkel-Umschlagseiten. Aktuell legen wieder mehr Firmen und Praxen Zeitschriften aus, sagt Weigl. Dass es nicht alle tun, habe mehrere Gründe: Kosteneinsparungen und Kundenrückgang, nach wie vor aber auch Verunsicherung. Zumindest letztere könnten auf Basis aktueller Erkenntnisse ausgeräumt werden.
Corona und Oberflächen: Das sagen die Experten
Im Zusammenhang mit der Covid-Ansteckung durch Oberflächen gibt es seit dem Ausbruch der Pandemie einige Laboruntersuchungen. Hier die wichtigsten Ergebnisse: 1. Aktivität Im Allgemeinen sind humane Coronaviren nicht besonders stabil auf trockenen Oberflächen, wie das Bundesinistitut für Risikobewertung (BfR) mitteilt. In der Regel erfolgt die Inaktivierung in getrocknetem Zustand innerhalb von Stunden bis zu einigen Tagen. 2.Kontamination Für das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 zeigen laut BfR erste Laboruntersuchungen einer amerikanischen Arbeitsgruppe, dass es nach starker Kontamination bis zu drei Stunden als Aerosol (feinste luftgetragene Flüssigkeitspartikel und Tröpfchenkerne), bis zu vier Stunden auf Kupferoberflächen, bis zu 24 Stunden auf Karton und bis zu zwei oder drei Tagen auf Edelstahl und Plastik infektiös bleiben kann. Für Printprodukte wurde eine Zeit von drei Stunden ermittelt.
3.Praxis Die in der Studie genannte Stabilität wurde im Labor unter optimalen Bedingungen und mit hohen Viruskonzentrationen ermittelt. In der Praxis ist laut BfR zu erwarten, dass die Stabilität aufgrund zusätzlicher Faktoren wie Licht, Temperaturschwankungen und geringeren Kontaminationslevels niedriger ist.
4.Risiko und Schutz Obwohl eine Übertragung des Virus über kontaminierte Produkte - Türgriffe, Lebensmittel, Printprodukte etc. - Experten zufolge unwahrscheinlich ist, sollten folgende Regeln beachtet werden: Regelmäßig Hände waschen, auch nach dem Kontakt mit Lebensmitteln und deren Verpackungen; nicht mit den Händen ins Gesicht fassen; Lebensmittel ausreichend waschen und erhitzen.
5.Information Auf den Internetseiten des Landesamts für Gesundheit in Erlangen gibt es Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen zu Corona und Infektionsschutz: www.lgl.bayern.de. Auch das Bayerische Gesundheitsministerium bietet unter www.stmgp.bayern.de/coronavirus einen Überblick, ebenso das Bundesinstitut für Risikobewertung unter www.bfr.bund.de sowie natürlich das Robert Koch-Institut unter www.rki.de
Erste Lesezirkel in Franken
Vorläufer Schon Anfang des 17. Jahrhunderts wanderte der "Dorfknüppel", eine handgeschriebene Rolle, in der Lüneburger Heide wie eine Stafette von Tür zu Tür. Weitere Vorläufer waren die Lesegesellschaften, in denen sich Interessierte zum Bezug mehrerer Zeitschriften zusammengeschlossen hatten.
Franken Zwischen 1609 und 1611 entstand der erste gewerbliche Lesezirkel in Kitzingen. Bezogen wurden handgeschriebene Zeitungen aus Nürnberg und Frankfurt, später auch aus Wien, Linz, Rom, Venedig, Den Haag und Köln. Kunden waren unter anderem Ratsherren, die 1/2 Thaler für die Lektüre bezahlten.
Aufschwung Im Laufe des 18. Jahrhunderts nahmen Lesezirkel und Lesegesellschaften einen immer stärkeren Aufschwung und trugen maßgeblich zur Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften bei. Die damaligen Lesezirkel existierten zunächst als Nebenbetriebe von Buchhandlungen oder Leihbibliotheken, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden auch eigenständige Betriebe gegründet. Nach der zwangsweisen Schließung der Lesezirkel im Krieg begann 1945 der Wiederaufbau (nur im Westen Deutschlands).
Unternehmen 1955 war der Nachkriegshöchststand mit 800 Betrieben erreicht. Heute gibt es in Deutschland etwa 150 Lesezirkel-Unternehmen, die wöchentlich über 11,8 Millionen Leser erreichen.
Geschäftsmodell Der Lesezirkel "Dörsch" wurde 1924 vom fränkischen Schreinermeister Adam Dörsch in Nürnberg gegründet. Mit 120 Mitarbeitern wird das mittelständische Unternehmen in dritter Generation in Familienhand geführt. Das Prinzip besteht in der Mehrfachvermietung von Zeitschriften und Magazinen. "Modernes Zeitschriften-Leasing", nennt es Vertriebsleiter Ralf Weigel. Vermietet werden 200 Zeitschriften, die direkt bei den Verlagen eingekauft werden. Wöchentlich werden sie in Bayern, Sachsen und Thüringen ausgeliefert. Für das Leasing bezahlen die Kunden eine Mietgebühr. Coronabedingt ist die Nachfrage aktuell geringer. Zum einen seien überproportional viele Zeitschriften-Mietvereinbarungen gekündigt worden, zum anderen ließen viele Kunden den Service ruhen. irfe/Quelle: Lesezirkel Dörsch