Kommentar: Finanz- und Flüchtlingskrise fördern Flieh-Kräfte
Autor: Frank Förtsch
, Sonntag, 21. Juni 2015
Die Nachrichtenticker überschlagen sich seit Wochen mit Meldungen zur Griechenlandkrise. Niemand weiß genau, welches Kapitel des Dramas die Regierungschefs am Montag beim EU-Gipfel schreiben. Ob das Kapitel neu sein wird oder - wie zuletzt so oft - nur eine Wiederholung. Ob, wann und wie das Stück endet.
Entsprechend beschäftigt - gelangweilt, gereizt, gespannt - sind die Protagonisten. Auf und hinter den politischen Bühnen. Die Finanzkrise der Hellenen fordert seit Jahresbeginn nahezu die ungeteilte Aufmerksamkeit der Europäischen Union - bisher ohne erkennbaren Fortschritt. Mehr noch: Die Kraft, die in den Verhandlungen mit einer widerspenstigen griechischen Regierung auf der Strecke bleibt, fehlt für andere drängende Herausforderungen.
Für die Herkulesaufgabe, dem Flüchtlingsstrom Herr zu werden, zum Beispiel: Kein Konsens, wie die Hilfe finanziert wird. Keine Einigkeit über die Unterstützung der Erstaufnahmeländer. Streit darüber, welcher Mitgliedstaat wie viele verzweifelt Hilfe Suchende aufnimmt. Individualismus, ja sogar Egoismus statt Gemeinsamkeit.
Der Kraftaufwand, die Staatengemeinschaft zusammenzuhalten, steigt exponentiell - ohne erkennbaren Erfolg. Das beflügelt Flieh-Kräfte.
Schlechte Vorzeichen für das weitere Superwahljahr: Portugiesen, Polen, Spanier und Kroaten werden 2015 noch bei nationalen Wahlen auch die Arbeit der Staatengemeinschaft bewerten. Scheitern die europäischen Regierungschefs bei "der Widerspenstigen Zähmung" und gelingt es ihnen nicht, weitere zentrale Probleme zeitnah zur Zufriedenheit der Menschen in den Mitgliedsländern zu lösen, dann steht die Gemeinschaft Ende des Jahres vor einem durch Flieh-Kräfte zerstörten Scherbenhaufen.