"Keine anderen Hobbys?": Was eine Großfamilie aus Bayern mit zehn Kindern aushalten muss
Autor: Redaktion
Hinterreute, Samstag, 27. April 2019
Die Welt braucht keine Kinder, behauptet die Regensburger Lehrerin Verena Brunschweiger. Damit hat sie eine hitzige Debatte ausgelöst. Was aber, wenn man gleich zehn Kinder hat? Über den Alltag einer Großfamilie, abschätzige Sprüche und das, was wirklich zählt.
Das Leben in einer Großfamilie: Die hölzerne Tür des Bauernhauses schwingt auf, der Trubel beginnt. In der Stube der Leinthalers im 1000 Meter hoch gelegenen Weiler Hinterreute im Oberallgäu herrscht an diesem Nachmittag Hochbetrieb. Fridolin, 4, klettert auf den Tisch, Greta, 8, sucht Stifte für ihr Malbuch, Fritz, 10, bläst in seine Trompete, Thea und Paula, 15 und 16 Jahre alt, besprechen ihre Physik-Hausaufgaben. Im Ofen flackert das Feuer, ein Handy klingelt.
Es ist Leni, die sich verzweifelt aus dem benachbarten Jungholz meldet. Dort will die 18-Jährige einen Rad-Anhänger abholen, den die Familie im Internet gekauft hat. Doch jetzt findet sie den Weg dorthin nicht. "Keine Panik. Haben wir gleich", sagt Vater Hans-Peter. Der 51-Jährige kommt gerade von der Arbeit nach Hause und gibt ihr die Telefonnummer durch. Derweil empfiehlt seine Frau Andrea dem musikbegeisterten Fritz, doch eher in einem anderen Zimmer Trompete zu üben. Leiser wird's nur für kurze Zeit. Denn jetzt weint plötzlich Fridolin.
Wie schafft man das Leben in einer Großfamilie?
Irgendwo dazwischen, an der Ecke des Küchentisches, sitzt der Besucher und denkt sich: Wie schafft man es nur - das Leben in einer Großfamilie? Die Leinthalers sind Experten auf diesem Gebiet. Das Ehepaar, beide diplomierte Agrar-Ingenieure, hat zehn Kinder im Alter zwischen vier und 24 Jahren. "Bei uns ist das ganze Jahr Vollgas", sagt Andrea Leinthaler, 51. Anders kann es sich die gebürtige Kemptenerin nicht vorstellen. "Jedes Kind ist ein Wunschkind. Das ist unser Leben. Spannend, turbulent, begeisternd."
So war es von Anfang an. Kennengelernt haben sich der Oberbayer und die Allgäuerin während des Studiums in Weihenstephan. Sie hatten beide den Traum von einer Großfamilie - und ließen ihn Wirklichkeit werden. Jakob, der Älteste, wurde noch während des Studiums geboren. Mit Therese war Andrea Leinthaler schwanger, als sie ihre Diplomarbeit schrieb. 1998 eröffnete sich dem Ehepaar eine einmalige Chance: Es kaufte unterhalb des Grünten bei Wertach einen alten Bauernhof. Mit viel Geschick bauten ihn die beiden aus und füllten ihn buchstäblich mit Leben.
Regensburger Lehrerin bezeichnet Kinder als Klimasünder
Mit ihrem Kinderreichtum fällt die Allgäuer Familie aus der Reihe - erst recht, seit eine Regensburger Lehrerin Kinder als Klimasünde brandmarkte und eine hitzige Diskussion in Gang setzte.Statistisch gesehen bekommt eine Frau in Deutschland 1,57 Kinder. Nur ein Prozent aller Familien hierzulande hat fünf oder mehr Kinder. Nach Einschätzung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung könnte die gesellschaftliche "Stigmatisierung kinderreicher Familien" ein Grund für diese Zurückhaltung sein.
Argwöhnische Blicke und abschätzige Bemerkungen erleben die Leinthalers oft, wenn sie mit großer Kinderschar in der Stadt unterwegs sind. "Wissen die nicht, dass es Verhütung gibt?", tuscheln Passanten dann. Oder: "Haben die keine anderen Hobbys?"
Sprüche wie diese verletzen die Eltern. Sie verspotten, was ihnen unantastbar ist. Wäre Kinderliebe bei vielen Deutschen ein Mäuslein, nähme sie bei den Leinthalers die Größe eines Elefanten an. Genau wie in Italien übrigens, wo die Familie jeden Sommer mit allen Kindern Urlaub auf einem Selbstversorger-Hof macht. Mit dabei sind dann auch die drei ältesten Kinder Jakob, 24, Therese, 22, und Ida, 20, die in verschiedenen Städten studieren.