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Kekse für Kiew: USA fahren im Ukraine-Konflikt große Geschütze auf


Autor: dpa

Moskau, Donnerstag, 12. Dezember 2013

Tausende ukrainische Demonstranten stemmen sich gegen den Einfluss aus Moskau. Washington schlägt sich auf ihre Seite - und droht Kiew mit Sanktionen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die USA im Namen der Menschenrechte Strafen verhängen.
Victoria Nuland, im US-Außenministerium zuständig für Europa und Eurasien, verteilt auf dem Maidan in Kiew Kekse an Sicherheitskräfte und Demonstranten. Foto: Andrew Kravchenko/dpa


In Kiew verteilte Victoria Nuland erst einmal Brötchen und Kekse. Mit einer Plastiktüte voller abgepacktem Gebäck ließ sich die US-Außenpolitikerin zu pro-europäischen Demonstranten auf dem Maidan führen, die "Gott segne Sie!" skandierten über den Besuch der Amerikanerin jubelten. Es waren kleine Zuckerbrote, die Nuland den Demonstranten in die Hände drückte, während in Washington fast zeitgleich die Peitsche ausgepackt wurde.
Alle Optionen seien auf dem Tisch, um Recht und Menschenwürde in der Ukraine walten zu lassen, erklärte US-Außenamtssprecherin Jen Psaki - und ließ dabei plötzlich auch ein Wort fallen, mit dem kaum jemand gerechnet hatte: Sanktionen. Konkreter wurde sie nicht, doch sie stellte klar, dass die gewaltsame Niederschlagung der Proteste in einer europäischen Demokratie "absolut unzulässig" sei.

Selbst Verteidigungsminister Chuck Hagel warnte seinen ukrainischen Amtskollegen am Telefon vor "möglichen Belastungen", sollte dieser das Militär gegen die Oppositionellen im eigenen Land einsetzen.

Sanktionen kann vor allem heißen: Einreiseverbote und eingefrorene Guthaben. Vor einem Jahr hatte Präsident Barack Obama etwa den "Magnitsky Act" unterzeichnet, der Sanktionen wie Kontosperrungen gegen kriminelle russische Beamte vorsieht. George W. Bush ließ 2001 Guthaben von Personen eingefroren, die eine Stabilisierung des Balkans oder der demokratischen Prozesse in Weißrussland gefährdeten. Auch gegen Länder wie Kuba, Syrien und Iran sind Strafmaßnahmen in Kraft, um den USA in Verhandlungen mehr Hebelwirkung zu verschaffen.

Die USA fahren schwere Geschütze auf, denn sie wollen ihre eigenen Investitionen ungern im russischen Einfluss versickern sehen. Seit dem Kollaps der Sowjetunion und der ukrainischen Unabhängigkeit haben die Amerikaner mehr als fünf Milliarden Dollar in das osteuropäische Land gepumpt. Mit dem Geld wurden unter anderem Gesetzesvollzug, Wahlrecht, Justizsektor und Geschäftsklima in der jungen Republik am Schwarzen Meer gestärkt. Allein im US-Haushaltsjahr 2013 waren es mehr als 100 Millionen Dollar.

Hinter diesen Summen steckt ein klares Kalkül. Denn schafft die Ukraine den langersehnten EU-Beitritt, könnte Kiew ein wichtiger Verbündeter Washingtons werden, um jeden Schritt Moskaus aus nächster Nähe zu verfolgen. Und solange Russland als Schutzmacht für antidemokratische Staaten auftritt und autoritäre Regimes fördert, brauchen die USA gerade in der demokratisch instabilen Region Ost- und Südosteuropa jeden Partner, den sie kriegen können. Deshalb muss der Transfer zur Demokratie und einer freien Marktwirtschaft glücken.

Dass die USA sich in Osteuropa einmischen wollen, bereitet dem Kreml Magenschmerzen, was Wladimir Putin unlängst zu einem Seitenhieb in Richtung US-Regierung veranlasste: "Wir waren immer stolz auf unser Land - wir streben aber nicht an, eine Supermacht zu sein, die etwa Anspruch auf Weltherrschaft erhebt", erklärte der Kremlchef in seiner Rede an die Nation. Doch für die USA gilt: Selbst wenn die Ukraine sich nicht als neuer bester Freund am östlichen Rand der EU entpuppt, könnte das Land als Puffer zwischen Russland und dem Westen, der Nato und der EU taugen.

Auch ein gewaltiger Schub für die Wirtschaft steht auf dem Spiel, denn der Beitritt zur EU bedeutete auch der Beitritt zum größten Binnenmarkt der Welt - und verstärkten Handel mit den USA, sobald das geplante EU-US-Freihandelsabkommen steht. Zynisch fragte der Historiker Timothy Snyder im "New York Review of Books": "Würde irgendjemand irgendwo auf der Welt für ein Handelsabkommen mit den USA hinnehmen, einen Schlagstock in den Kopf zu bekommen?"

Victoria Nuland - und mit ihr die US-Regierung - wird nicht lockerlassen, bis die Lage in Kiew sich entspannt. Zwei Stunden hatte sie mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch gesprochen, bevor sie Kekse an die Protestler verteilen ging. Eine "schwierige Unterhaltung" sei das gewesen, klagte sie. Dann verabschiedete sich und versprach, zu Hause alles zu berichten, was sie gesehen hatte.