"Gemeinheiten vergesse ich" - Alice Schwarzer wird 75
Autor: epd
Köln, Donnerstag, 30. November 2017
Sie ist die bekannteste deutsche Feministin: Alice Schwarzer feiert am Sonntag ihren 75. Geburtstag.
Alice Schwarzer, Publizistin und bekannteste deutsche Frauenrechtlerin, wird am Sonntag 75 Jahre alt - und diesen besonderen Tag will sie anders verbringen als frühere Geburtstage. "Ich werde diesmal nicht in meinem Heimatland Deutschland feiern", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd), "sondern in meiner Heimatstadt Paris."
Als junge Frau hat Alice Schwarzer, geboren am 3. Dezember 1942 in Wuppertal, lange in Paris gelebt und gearbeitet. Noch heute hängt in ihrem Büro im Bayenturm im Kölner Rheinauhafen ein großes Bild der französischen Feministin Simone de Beauvoir. Deren Buch "Das andere Geschlecht" hat ihr in den 60er Jahren den Weg gewiesen.
Begründerin der Zeitschrift "Emma"
Seit 40 Jahren führt Alice Schwarzer die Redaktion der von ihr gegründeten Zeitschrift "Emma". Die Auflage liegt nach eigenen Angaben bei etwa 50.000 Stück. "Emma" ist ihr Baby, ihre oberste Priorität."Was sie vor allem mit der Zeitschrift 'Emma', dem Buch 'Der kleine Unterschied und seine großen Folgen' und der Vermittlung des Werks von Simone de Beauvoir für die Emanzipation und Gleichberechtigung von Frauen in der Republik erreicht hat, kann gar nicht genug gewürdigt werden", sagt Katrin Späte vom Vorstand des Berufsverbands deutscher Soziologinnen und Soziologen. Sie bewundere Schwarzer für die vielen Kämpfe, die sie trotz aller Anfeindungen "stellvertretend für andere Frauen ausgetragen" habe.
Dass Alice Schwarzer auch Unterhaltung kann, weiß man spätestens, seit sie Ende der 80er Jahre in Blacky Fuchsbergers Rate-Show auftrat. "Dass sie männerfeindlich ist, wird ihr oft zu Unrecht unterstellt", sagt der auf Väter-Forschung und Geschlechterpolitik spezialisierte Politikwissenschaftler Thomas Gesterkamp. "In der 'Emma' finden sich regelmäßig etwa Artikel über engagierte Väter." Das einzige, was ihn dort stört: "Ich habe Schwierigkeiten mit ihrer Haltung zum Islam. Im letzten Jahrzehnt gab es dazu manchen pauschalisierenden Text in der 'Emma'."
Kritische Haltung zum Islam
Die Gefahren, die vom religiösen Fundamentalismus, insbesondere vom Islam, für die Frauen ausgehen, gehören zu ihren zentralen Themen. In ihrer kritischen Haltung sieht sich Schwarzer in Frankreich gerade wieder bestätigt. "Die große Debatte in Frankreich ist zurzeit der Skandal Tariq Ramadan und die Komplizität gewisser Linker mit dem radikalen Islamismus", sagt sie. Der gebürtige Schweizer Ramadan ist ein konservativer Islamwissenschaftler und Publizist. Für die muslimische Jugend sei er ein wahrer Guru, sagt Schwarzer.Im Zuge der MeToo-Bewegung warfen ihm in diesen Wochen mehrere Frauen Vergewaltigung und Belästigung vor. Ramadan wurde daraufhin als Professor an der britischen Oxford-Universität beurlaubt.
Aber er habe nur so bekannt werden können, weil linke Medien ihn hofiert hätten, kritisiert Schwarzer. "Nun stellt man sich in Frankreich Fragen über die Gründe der Komplizität zwischen diesen linken Europäern und dem rechten Islam."
Nicht immer einfach ist offenbar das Verhältnis zwischen Schwarzer und anderen Feministinnen. Schwarzer versuche, die Debatte zu dominieren, warf Bascha Mika ihr vor, Chefredakteurin der "Frankfurter Rundschau": "Alice Schwarzer liefert sich seit Jahren immer wieder heftige Gefechte mit feministischen Aktivistinnen, die ihre Enkelinnen sein könnten", schrieb sie zum 40. Jubiläum der "Emma". Dazu zählten Stefanie Lohaus vom feministischen "Missy Magazin" und Anne Wizorek von der "Aufschrei-Kampagne".
Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung
Ihre schwerste Krise musste Alice Schwarzer 2014 durchstehen, als sie wegen Steuerhinterziehung öffentlich kritisiert wurde. Sie sah sich damals als Opfer eines Rufmords. Selbst machte sie öffentlich, dass sie in Verbindung mit einer Selbstanzeige im Jahr 2013 Steuern in Höhe von 200.000 Euro nachgezahlt habe, die auf Zinserträge für ein Schweizer Konto angefallen waren. Das Konto hatte sie seit den 80er Jahren geführt.Gibt es rückblickend etwas, was sie heute ganz anders machen würde, in ihrem Leben oder ihrer Karriere? "Was man getan hat, hat man getan", antwortet sie. "Und dann muss man das Beste daraus machen."
Wenn sie auf ihr Leben zurückblickt, ist die Bilanz positiv. "Gemeinheiten vergesse ich lieber - sonst würde ich ja die Freude am Leben verlieren. Wirklich stolz bin ich auf 'Emma': Dass ich mit meinen Kolleginnen 40 Jahre lang durchgehalten habe, ökonomisch eigenständig und unabhängig von Konzernen, Parteien oder Werbung. Das ist einmalig in der deutschen Medienlandschaft. Und dass wir heute, laut LeserInnenanalysen, die jüngsten Leserinnen aller Frauenzeitschriften haben."
Ihre Pläne für die Zukunft? "Jetzt mache ich zusammen mit meinen Kolleginnen erst mal die nächste "Emma". Und dann freue ich mich auf mein Buch über 'Meine algerische Familie', das Mitte Februar erscheint."