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"Flut": Wie Sprache unsere Einstellung zum Thema Asyl lenkt


Autor: Redaktion

Bamberg, Mittwoch, 09. Sept. 2015

Der Umgang mit den Flüchtlingen wird auch auf dem Feld der Sprache ausgetragen. Oft aus reiner Sorglosigkeit, oft aber auch aus niederen Beweggründen schleichen sich dann vor allem maritime Sprachbilder in Texte, Reden und Gespräche.
Begriffe wie die "Flut von Flüchtlingen" machen asylsuchende Menschen zu einer gesichtslosen Masse.  Foto: Italian Navy, dpa


"Die Flüchtlingswelle rollt" - diese Worte benutzte ein Fernsehmoderator jüngst, um einen Beitrag über die Nutzung von Häusern für ein Flüchtlingserstaufnahmelager anzumoderieren. Weitere Beispiele: eine große deutsche Tageszeitung schreibt über "die Flut an Flüchtlingen", immer wieder ist von einer "Schwemme", vom "Zustrom" oder sogar vom "Riesen-Zustrom" zu lesen.

Das Bild, das dabei in den Köpfen entsteht, ist klar: Die Flüchtlinge sind eine Bedrohung. Sie "überrollen" uns, als seien sie eine Naturkatastrophe: Fluten können ganze Städte zerstören, Menschen können ertrinken, sie stürzen die Welt, wie wir sie kennen, ins Chaos.


Asyl in der Sprache: "Das Boot ist voll"

So kommt ein Element der Panikmache in den Diskurs. In der Sprachwissenschaft spricht man bei obengenannten Beispielen von "Wassermetaphorik" oder "Flut- und Überschwemmungsmetaphorik", und auch die Massenmedien machen vor solcher Metaphorik eben nicht halt.

Das Gleiche gilt für die Politik. Zuletzt hat sich sogar ein Politiker eines europäischen Landes dazu hinreißen lassen zu verkünden: "Das Boot ist voll." Diese Metaphern entmenschlichen. Denn es ist nicht eine "Welle", die "hereinrollt", ein "Strom", der "anschwillt", oder gar eine ganze "Flut".

Die Wasser-Metaphorik macht Flüchtlinge zu einer gesichtslosen Masse. Es handelt sich bei den Asylsuchenden um Menschen, Individuen, Männer, Frauen und Kinder, die in Not geraten sind und die den Anspruch haben, zumindest einen Asylantrag stellen zu können. Diese Menschen haben Namen, eine Geschichte, Wünsche, Träume und Hoffnungen. Und ein europäisches Land ist auch kein Boot, das irgendwann voll ist und dann, das beinhaltet dieses Sprachbild, untergehen wird.

Einige Wissenschaftler gehen hier sogar noch weiter: Ihrer Auffassung nach impliziert diese Metaphorik auch eine Handlungsanweisung - nämlich die der Abschottung. Häufig folgt dann auch tatsächlich der Hinweis, den "Flüchtlingsstrom" weiter "eindämmen" zu wollen.

Und dies ist kein Beispiel aus dem Flüchtlingsdiskurs der 90er-Jahre, als die Boatpeople aus Vietnam nach Deutschland kamen. Diese Formulierung fand sich auch 2015 in vielen Zeitungen, in Radio- und Fernsehbeiträgen. Ebenso entmenschlichend wie die Wassermetaphorik: wenn Politiker und Medien sich der Sprache des Militärs bedienen. Eine österreichische Zeitung untertitelte jüngst ihre Berichterstattung gar mit "Flüchtlinge im Anmarsch".


Wie Sprache entmenschlichen kann

Auch diese Kriegsmetaphorik macht die Menschen, die da kommen, zu einer Bedrohung. Sie schürt Ängste. Sprachwissenschaftler sprechen dann auch von einem "bellum verbale", einem Krieg der Worte.

Und durch die Entmenschlichung der Flüchtlinge geht schließlich auch der Blick des Lesers oder Hörers verloren, dass es sich eben um Menschen handelt. Ob Kriegs- oder Wassermetaphorik, letzten Endes entsteht ein Katastrophenszenario, häufig verbunden mit dem Hinweis, im Moment noch alles unter Kontrolle zu haben. Auch hier schwingt die Bedrohung für die Zukunft immer mit.

Ebenfalls Angstszenarien schürend: die große Präsenz "besorgter" und "enttäuschter" Bürger in der Berichterstattung der Medien, eine Tendenz, die schon aus den Flüchtlingsdiskursen der 90er-Jahre bekannt ist und die sich im aktuellen Diskurs auch wieder zeigt. Ähnlich problematisch wie die Verwendung von Kriegs- und Wassermetaphorik ist der Begriff "Asylmissbrauch". Es gibt de facto keinen Asylmissbrauch. Menschen auf der Flucht sind keine Kriminellen, die unser System "missbrauchen" wollen. Sie haben einen Anspruch auf ein Asylverfahren.


Täter und Opfer

Bekommen sie nach diesem Verfahren kein Asyl, werden sie abgeschoben. Aber den Antrag zu stellen, ist kein "Missbrauch" und sollte auch nicht als solcher bezeichnet werden.

Mit dem Begriff des "Missbrauchs" wird den Flüchtlingen eine Täterrolle zugeschrieben; das Land, in dem der Antrag gestellt wird, kommt in eine Opferrolle. Dies trifft aber die Situation nicht. Weitere Beispiele in diesem Zusammenhang: die Begriffe des "Asylgegners" oder "Asylkritikers". Sie verschleiern und beschönigen eine fremdenfeindliche Haltung. Aus diesem Grund hat beispielsweise die Deutsche Presseagentur (dpa) entschieden, den Begriff des "Asylgegners" in ihren Veröffentlichungen nicht mehr zu verwenden.

Und der Begriff "Asylkritiker" ist deshalb so unzutreffend, weil Menschen, die so bezeichnet werden, nicht die Asylpolitik unseres Landes kritisieren. Ihnen geht es nicht darum, eine intellektuelle Position zu beziehen. Sie möchten vielmehr schlicht keine Asylbewerberunterkunft in ihrer Nachbarschaft.


Verschleiern und beschönigen

Anders herum gilt aber auch: Politik und Medien sind gefordert, Sachverhalte beim Namen zu nennen. Wenn Menschen in unserem Land Brandanschläge auf Asylbewerberunterkünfte verüben, dann hat das nichts mit zivilem Ungehorsam zu tun.

Das ist Terrorismus, und muss auch als solcher bezeichnet werden. Von Politikern, Medien und der Bevölkerung. Den Begriff zu vermeiden, verschleiert die Tatsachen, beschönigt, verharmlost.

Es gibt aber auch positive Beispiele, wenn im Radio von "hilfesuchenden Menschen, die gekommen sind" oder schlicht von "Hilfesuchenden" zu hören ist. Hier achten Journalisten auf ihre Sprache und verhalten sich respektvoll. Das Bild, das dadurch entsteht, ist ein ganz anderes.

Überschriften, Radio- und Fernsehansagen müssen kurz und prägnant sein, Sachverhalte werden deshalb gerne durch Sprachbilder veranschaulicht. Das Gleiche gilt in der Politik und im Privatleben. Und doch: Wir alle tragen Verantwortung für die Sprache, die wir verwenden, und für die Bilder und Emotionen, die wir mit dieser Sprache heraufbeschwören. Karoline Kessler-Wirth