Ehemaliger Bayreuther Stadtrat will mehr Flüchtlinge nach Goslar holen
Autor: Jochen Nützel
Goslar, Dienstag, 02. Dezember 2014
Goslars CDU-Oberbürgermeister Oliver Junk, der lange Jahre Stadtpolitik in Bayreuth machte, möchte gerne mehr Flüchtlinge aufnehmen, als es der Verteilungsschlüssel für seine Kommune vorsieht. Damit erregt Junk große Aufmerksamkeit - sogar im niedersächsischen Innenministerium.
Der Harz ist nicht der Namensgeber für die Hartz-Gesetze. Der Harz hat dennoch genug sozialpolitische Brocken zu rollen. Auf einem der Schwergewichte steht, in unsichtbaren Lettern gemeißelt: demografischer Wandel. Ein besonders grober Klotz, wie das Beispiel Goslar zeigt. Der Landkreis der 50.000-Einwohner-Stadt zählt zu den schwächsten Regionen in Westdeutschland. 4000 Bürger hat die Stadt in zehn Jahren verloren. Manche Häuserzeile ist verwaist in der Altstadt, die Teil des Unesco-Weltkulturerbes ist. Neues Leben? Nicht in Sicht. Es sei denn, Flüchtlinge kämen. Und blieben.
Für Göttingen einspringen
Ja, Flüchtlinge. Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk (CDU) würde gerne mehr davon aufnehmen, als es der Verteilungsschlüssel für seine Kommune vorsieht.
Das benachbarte Göttingen aber kann keine weiteren aufnehmen, die Kapazität ist voll. "Wir könnten das übernehmen", sagt Junk und verweist dann doch auf eine Zahl: 50 Asylsuchende hat die ehemalige Kaiserpfalz bisher aufgenommen. "Das ist doch gar nichts im Verhältnis. Umgekehrt ist es absurd, dass Göttingen zusätzliche Gemeinschaftsunterkünfte bauen müsste, während wir hier den Wohnraum frei haben. Es geht ja nicht nur darum, den Menschen Obdach zu gewähren. Es geht darum, sie zu betreuen, zu begleiten. Also sofort mit der Integration zu beginnen und nicht erst nach Monaten. Sonst müssen wir die Versäumnisse später nur wieder umständlich korrigieren."
Goslar sei wirtschaftlich prosperierend - aber die Firmen am Ort fragten bereits nach Arbeitskräften in zehn und zwanzig Jahren, sagt Junk. "Auch das muss ein Oberbürgermeister im Blick haben. Die Flüchtlinge sind hierbei für mich kein Risiko, sondern eine Chance, unter ihnen auch die Fachleute von morgen zu generieren." Seine Idee hat Oliver Junk übrigens mit zwei anderen Querdenkern vorab eruiert: mit CSU-Urgestein Peter Gauweiler und dem Grünen-Linken Jürgen Trittin.
Der 38-jährige Oberbürgermeister hat keine Berührungsängste; Denkverbote kennt er auch nicht. Er weiß, was es heißt, wenn Regionen zu vergreisen drohen - schließlich hat der gebürtige Marburger und promovierte Rechtsanwalt viele Jahre in Oberfranken gearbeitet. In Bayreuth war er von 2002 bis 2011 Stadtrat; als CSU-Kreisvorsitzender hat er sich sehr wohl Gedanken machen müssen über ungünstige Bevölkerungsentwicklungen. "Das wird viele Gegenden in Bayern früher oder später beschäftigen."
Raus aus dem "Oberjammergau"
Er will dem nicht tatenlos zusehen, bekundet er. Und: Er will raus aus dem "Oberjammergau". Dabei zitiert er schon mal Skisprung-Größe Jens Weißflog: "Man fliegt immer nur so weit, wie man im Kopf schon ist." Das soll der Klingenthaler so gesagt haben, freilich nicht vor dem Hintergrund von Landflucht, sondern Schanzenrekorden.
Junk selber hat vier Töchter in die Welt gesetzt - aber allein wird er den Einwohnerschwund nicht wettmachen können. In Goslar nennen sie ihn "Mini-Guttenberg", weil er wie der Ex-Verteidigungsminister seinen Doktortitel der Juristerei an der Bayreuther Uni gebaut hat (und anders als der Baron bis heute zu Recht tragen darf). Ausgerechnet in der Kaiserpfalz Goslar, Heimat des SPD-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel, wurde der CDU-Mann Junk 2011 Rathauschef, bestätigt 2013. Er ist gewählt bis 2021.
Ob er angesichts der Diskussion um seine Aufnahmepläne so lange durchhält? Oliver Junk lächelt. "Die Reaktionen sind durchaus kontrovers." Auf Facebook reichen die Beiträge von "richtig und mutig" bis hin zu "Herr Junk, treten Sie zurück". Und das sind die zitierfähigen. Ob er damit gerechnet hat? "Mit der Diskussion ja, aber mancher Kommentar ist dann doch sehr grenzwertig ausgefallen."
Großes Medieninteresse
Immerhin ist dem 38-Jährigen großes Medieninteresse sicher. "Leider kam da nicht alles so rüber, wie es gedacht war", sagt der Rathauschef. Er habe nie behauptet, er wolle alle 4000 verloren gegangenen Bürger durch Flüchtlinge "auffüllen". Das habe die Debatte weiter angefacht. "Aber jetzt ist das Thema wenigstens publik, jetzt kann keiner mehr dran vorbei und sagen, er habe nichts gewusst."
Das niedersächsische Innenministerium hat Junk eingeladen, seine Idee zu erläutern. Am morgigen Donnerstag hat der 38-Jährige Termin. "Ich werde dafür plädieren, dass wir über die Kommunalgrenzen hinweg das Thema Flüchtlinge aufgreifen und uns nicht mit Zuweisungen aufhalten dürfen" Wer weiß: Vielleicht schafft es Goslar, dass in Sachen Asylpolitik der Begriff Harz bald für eine fortschrittliche Gesetzgebung stehen wird.
Vom OB-Wahlkampfbüro in den Chefsessel
OB-Berater 2006, als Michael Hohl in Bayreuth zum Oberbürgermeister gewählt wurde, war Oliver Junk der Leiter des Wahlkampfbüros.
Wuermeling, Koschyk & Co Von 2001 bis 2002 war Oliver Junk wissenschaftlicher Mitarbeiter des Europapolitikers Joachim Wuermeling (CSU). Von 2006 bis 2011 leitete er das Wahlkreisbüro des Parlamentarischen Geschäftsführers der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hartmut Koschyk. Dem Bayreuther Stadtrat gehörte Junk von 2002 bis 2011 an, davon war er von 2008 bis 2011 Vorsitzender der Fraktionsgemeinschaft von CSU und "BT go!". 2011 wurde er als CSU-Kreisvorsitzender für Bayreuth in den CSU-Bezirksvorstand gewählt.
CDU, CSU, CDU Als Oliver Junk 2011 OB in Goslar wurde, war er noch CSU-Mitglied. Im Mai dieses Jahres trat der promovierte Anwalt bei den Christsozialen aus und in die CDU ein. Deren Mitglied war er bereits bis 1999, bevor er zum Studium der Rechtswissenschaften nach Bayern kam.