Das in den Worten Höckes "regenbogenfarbige One-World-Establishment", das sind alle anderen: die Demonstranten, draußen auf dem Eku-Platz. Die Medien, die sich zu Propaganda-Agenturen der Kanzlerin erniedrigt hätten. Die politische Konkurrenz, die er auch in Kulmbach als "Altparteien" verlachte.
Und die anderen, das sind in den Augen Höckes in besonderem Maße auch die beiden Kirchen. Zwischen 19.33 und 19.45 Uhr läuteten am Freitag in der Kulmbacher Innenstadt die Kirchenglocken, was als Jahreszahlen gedacht an den Beginn und das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnern sollte.
Angriffe auf die Amtskirchen
Für diese Form der historischen Einordnung rächte sich Höcke mit "Hieben gegen die Amtskirchen". Ihnen unterstellt Höcke einen "Pakt mit dem Zeitgeist". Er denunzierte sie als profitgesteuerte Nutznießer der Flüchtlingskrise: "Was braucht man schon eine Autoindustrie, wenn man eine florierende Asylindustrie hat?"
Eine gute Stunde lang sprach Höcke in Kulmbach. Er lieferte, was die meisten in der Halle für Klartext eines besorgten Patrioten halten dürften und mit den Demonstranten auf dem Eku-Platz auch politische Gegner und zahlreiche Historiker für die verbale Aggression eines völkischen Nationalisten.
Angriffe gegen die Person der Kanzlerin im Allgemeinen und ihre Flüchtlings- respektive Energiepolitik im Besonderen variierte Höcke mit Spottreden auf Greta Thunberg und hämische Grüße an die "anwesenden Verfassungsschützer". Diese überwachen laut Medienberichten Höcke inzwischen auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln.
In gut 60 Minuten wiederholte Höcke im Grunde nur das, was mit den AfD-Frauen Linda Amon, Birgit Bessin sowie dem Kulmbacher OB-Kandidat Hagen Hartmann seine Vorredner so oder so ähnlich bereits ausgesprochen hatten.
Dass sie so klangen wie - rhetorisch gleichwohl minderbegabte - Klone, muss als Indiz von Höckes innerparteilicher Bedeutung gewertet werden.
Höcke in der Schleusenzeit
Wenn Höcke von Deutschland sprach, dann in grellen Schlaglichtern wie "Irrenhaus", "Kartell", "Idioten" und "Putsch". Das Land wähnt er in einer Schleusenzeit. So nennt die Trauerforschung jene Spanne zwischen dem Tod eines Menschen und seiner Bestattung.
"Schleusenzeit (für Björn Höcke)" heißt auch ein Essay, den der rechte Publizist Götz Kubitschek 2016 veröffentlicht hat. Von drei Politikertypen ist darin die Rede, die in der Schleusenzeit um die Herrschaft ringen. Nur der dritte Typus wolle "eine echte Alternative formulieren und durchsetzen". Worin diese liegen könnte, schreibt Kubitschek nicht. Aber nur dem dritten Typus sei das "Establishment (...) herzlich egal". So und nicht anders sieht sich Höcke selbst. So und nicht anders sehen ihn auch seine Anhänger. Mit "Höcke, Höcke"-Rufen hatten ihn die Besucher in Kulmbach begrüßt, mit "Höcke, Höcke"-Rufen verabschiedeten sie ihn.
Als sie die Halle verließen, harrten ihrer vielleicht noch 20 Demonstranten. "Ihr könnt nach Hause gehen", riefen sie. Dass taten die Höcke-Gäste. Unbehelligt, an höflichen Polizisten vorbei. Entgegen anders lautenden Gerüchten war die Meinungsfreiheit an diesem nasskalten Abend vollkommen intakt.