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Auffangstation in Würzburg hilft kleinen Igeln in Not


Autor: Diana Fuchs

Würzburg, Freitag, 09. Oktober 2015

Nach dem heißen Sommer sind viele Igel-Jungtiere unterernährt. Familie Martin in Würzburg päppelt sie auf. Helfer sind willkommen.
Fotos: Diana Fuchs/Herbert Martin


Sie hatte 50 Flöhe. Außerdem einen Magen-Darm-Infekt. Sie wog nicht mal 100 Gramm und konnte sich kaum auf den Beinchen halten. Zu ihrem Glück entdeckte ein netter Mensch sie am Straßenrand. Er überließ sie nicht einfach ihrem Schicksal, sondern suchte im Internet nach "Hilfe für Igel" - und kam so in Kontakt zur Igel-Auffangstation Martin in Würzburg-Gerbrunn, weit und breit die einzige ihrer Art. Der freundliche Finder fuhr eigens von Oberfranken in die Domstadt, um Igelmädchen "Isabell" in gute Hände zu geben.

Gudrun und Herbert Martin haben seit Anfang August über 200 von Isabells Artgenossen aufgenommen und aufgepäppelt: verwaiste Igelbabys, verletzte und unterernährte Tiere. Die Martins haben alle Hände voll zu tun. Tag und Nacht. In ihrer privat und ehrenamtlich betriebenen Station, in der sie eng mit dem Tierschutzverein Würzburg und den Tierheimen der Umgebung zusammenarbeiten, geht es zu wie im Taubenschlag. "Allein gestern kamen 33 Anrufe rein; die Hälfte der Leute brachte uns danach ein Tier", berichtet Gudrun Martin, während sie püriertes Nassfutter in kleine Spritzen füllt. Zwei davon sind für Isabell bestimmt. Fünf Tage lang hat das Tierkind Antibiotika bekommen, zweimal wurde es entwurmt. "Mittlerweile wiegt die Kleine 128 Gramm. Sie wird durchkommen - und vor dem Winter in die Freiheit zurück können", freut sich Gudrun Martin.

Dann kann sie ein Gähnen nicht unterdrücken. Kein Wunder: Säuglinge und kleine Sorgenkinder wie Isabell müssen alle zwei, drei Stunden gefüttert werden. Seit die ersten frischgeborenen, aber schon verwaisten Säuglinge gefunden wurden, haben Gudrun und ihr Mann Herbert keine Nacht mehr durchgeschlafen.

Eigentlich könnten die beiden 62-Jährigen das Leben genießen: Ihre drei Kinder und insgesamt 53 Pflegekinder, die sie großzogen, sind mittlerweile erwachsen und aus dem Haus. Warum sie sich dennoch die Nächte um die Ohren schlagen? Die beiden schauen einander an und sagen dann zeitgleich: "Jemand muss es doch machen." Erst Ende Februar wird es für vier, fünf Monate ruhig werden in Gerbrunn.


Eine Institution in Franken

Seit 25 Jahren kümmern sich die Martins schon um "Problemigel"; Jahr für Jahr werden es mehr. Inzwischen ist ihre Station eine feste Institution in ganz Franken, von überall her werden Igel hierhergebracht, sogar aus Kulmbach und Haßfurt, Fulda und Nürnberg, Bad Bocklet und Bamberg. Zum Glück ist das Hanggrundstück groß. Aber auch hier sind die Kapazitäten für Reisighaufen, Gehege und Igel-Häuser irgendwann erschöpft. "Ohne Helfer wie Brigitte Ales oder unsere Retzbacher Zweigstelle ginge es nicht mehr - und ohne Spender und Pflegefamilien, die beim Auswildern helfen, auch nicht."

So sehr sie die Igel auch mag, eines ist für "Igelmama" Gudrun oberste Prämisse: "Igel sind Wildtiere, wie Feldhase und Reh." Nur, wenn sie ohne menschliche Hilfe nicht überleben würden, dürfe man die unter Naturschutz stehenden Tiere in Obhut nehmen - und auch dann nur auf Zeit, um sie so artgerecht wie möglich gesund zu pflegen.

Heuer brauchen besonders viele Igel Hilfe. "Durch den extrem trockenen Sommer ist das Futter knapp geworden und viele Jungtiere sind unterernährt", sagt die Fachfrau. Auf der Suche nach Nahrung irren sie umher - gegen ihre Gewohnheit auch tagsüber. "Wenn man einen Igel beobachtet, der fit ist, dann soll man ihn einfach in Ruhe lassen oder ihn mit einem Schälchen Wasser - bitte keine Milch! - beziehungsweise etwas Katzennassfutter unterstützen", erklärt Gudrun Martin. "Aber wenn es einem Tier sichtlich schlecht geht oder es um diese Jahreszeit weniger als 300 Gramm wiegt, dann braucht es Hilfe.

Immer wieder erleben die Martins, dass Menschen nicht (mehr) wissen, was in der Natur normal ist und was nicht. "Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum Leute, die ein Igelnest finden, unbedingt reinlangen müssen. Igel sind sehr sensibel. Falls die Mutter zurückkommt, wird sie ihre Jungen nicht mehr annehmen, wenn sie nach Mensch riechen." Andere machen sich einen Spaß daraus, Igel einzufangen, mit Salami oder Salat zu füttern - "das macht die Tiere krank" - und in Kartons zu setzen, als Haustier für die Kinder. "Es tut mir weh und ich werde stinksauer, wenn ich so etwas höre. Für jeden Igel ist es furchtbar, eingesperrt zu sein. Die drehen dann richtig durch. Und in einem Karton im Keller kann kein Igel überwintern, da stirbt er."

Woher die Martins das alles wissen? Vor 25 Jahren ging es ihnen wie dem freundlichen Mann, der das kranke Igelmädchen "Isabell" gefunden hat. Sie entdeckten am Straßenrand ein winziges, schwaches Igelkind. "Es ist den Gehsteig nicht mehr hochgekommen." Die Martins riefen im Tierheim an. "Die Frau dort kannte sich gut aus. Sie hat uns genau gesagt, was zu tun ist, um das Kleine aufzupäppeln", erinnert sich Herbert Martin. Also baute er sein erstes Igelgehege. "Das Tierheim freute sich - und brachte uns immer neue hilfsbedürftige Igel."
Heute stellt Herbert Martin die Baupläne der Gehege und Häuser auch anderen "Igelpaten" zum Nachbauen zur Verfügung. Wer Igeln helfen will, kann dies aber auch auf noch einfachere Art tun. Martin rät: "Einen Reisighaufen im Garten aufschichten und ein bisschen Laub drüberlegen - als Dach sozusagen. Das ist der optimale Winterschlafplatz. Und im nächsten Sommer kann er zum Geburtshaus werden."