Fleming: Viel Qualität im Kader
Autor: Udo Schilling
Bamberg, Freitag, 17. Juli 2015
Trotz vieler Absagen und Verletzungen ist Bundestrainer Chris Fleming zuversichtlich, mit Deutschland bei der EM unter den ersten Sechs zu landen. Der ehemalige Bamberger Coach spricht in Teil 4 unserer Serie über die Erwartungen, den Druck und den Entwicklungsprozess des Nationalteams.
An diesem Wochenende steht Chris Fleming nach über einem Jahr wieder als Trainer einer Basketball-Mannschaft in der Halle. Der 45-Jährige war im Juni 2014 bei den Brose Baskets Bamberg beurlaubt worden und unterschrieb im Dezember als deutscher Nationaltrainer. Beim Auftaktlehrgang der Nationalmannschaft in Bonn bereitet er nun Nowitzi & Co. auf die in sieben Wochen beginnende Europameisterschaft vor.
Nach der Vorrunde in Berlin vom 5. bis 10. September gegen Island, Serbien, Türkei, Italien und Spanien geht es danach in Lille (Frankreich) in der Endrunde um den Titel. Das große Ziel ist die Direktqualifikation für die olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro, wofür das Endspiel erreicht werden muss. Das Mindestziel ist ein Platz zwischen 3 und 6, mit dem man sich über ein weiteres Turnier noch für Rio qualifizieren kann.
Vor wenigen Tagen machte die Meldung, Chris Fleming wechsele als Assistenz-Trainer zum NBA-Klub Denver Nuggets, große Schlagzeilen. Im Gespräch versicherte der Amerikaner jedoch, dass es weder einen Vertrag noch eine Unterschrift gebe. Er konzentriere sich derzeit voll und ganz auf die Europameisterschaft. "Wir haben eine Riesenaufgabe vor uns - die EM. Alles andere blende ich aus."
Über das basketballerische Hauptevent des Sommers unterhielten wir uns mit dem seit über 20 Jahren in Deutschland lebenden Amerikaner aus New Jersey.
Zuletzt mussten Sie für die DBB-Auswahl einige personelle Rückschläge einstecken. Ohlbrecht und Staiger haben abgesagt, Theis, Kleber, Günther und wahrscheinlich Harris fallen verletzt aus. Viel Qualität, die im Kader nun fehlt.
Chris Fleming: Definitiv - die Absagen und Verletzungen sind enttäuschend. Nun konzentrieren wir uns auf die Jungs, die spielen können. Die können relativ viel davon kompensieren. Es war mir von vornherein klar, dass es Absagen geben wird - das war enttäuschend, aber nicht überraschend. Bitter waren natürlich die Verletzungen von Spielern, die gerne gespielt hätten, wie Maxi oder Daniel, die operiert werden mussten. Damit müssen wir nun klar kommen.
Reicht es trotzdem für die Qualifikation für Rio oder für das Olympia-Qualiturnier?
Ich glaube schon.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Erst einmal die hohe Bereitschaft, die Aufgabe anzunehmen, und der Enthusiasmus, der dahintersteckt. Man muss auch sehen, dass der Verband extrem viel dafür gemacht hat, das Turnier in Berlin zu ermöglichen. Die Jungs haben voll mitgezogen. Und zum zweiten, bin ich davon überzeugt, dass wir Qualität haben. Das ist entscheidend. Wir haben Spieler, die uns nach Rio bringen können.
Sie haben ab diesem Wochenende 16 Spieler zum ersten Lehrgang eingeladen. Dazu kommen im August noch die NBA-Stars Dirk Nowitzki und Dennis Schröder dazu. Wann vollziehen Sie den Cut auf die zwölf Spieler, die in Berlin spielen?
Ach - ich habe im Vorfeld sehr viel geplant, wann ich was machen wollte. Die Pläne sind inzwischen vielfach durchkreuzt worden. Nach den vielen Absagen muss ich den Kader nicht so schnell kürzen, wie ich mir das vorgestellt hatte. So haben wir eine Anzahl von Spielern, mit denen wir gut trainieren können, sodass wir einige Jungs länger anschauen können.
Dirk Nowitzki ist 37 Jahre alt. Haben Sie Befürchtungen, dass Dirk mit dem Tempo des 21-jährigen Dennis Schröder nicht mithält?
Im Gegenteil. Dirk wird extrem von Dennis profitieren und umgekehrt. Ich glaube, das, was sie tun, ergänzt sich.
Auf welchen Basketball-Stil dürfen sich die deutschen Fans in Berlin freuen?
Vor allem auf eine Mannschaft, die für die Aufgabe stirbt. Es ist für mich das wichtigste Markenzeichen, wenn das Team bereit ist, den Ball untereinander zu teilen und zu bewegen. Das wird unser Spiel prägen.
Und auf was freuen Sie sich bei der EM?
Endlich mal zu starten. Ich habe so lange gewartet. Jetzt will ich endlich mal loslegen und Basketballsachen tun.
Waren Sie nach einem Jahr ohne Basketball etwas auf Entzug?
Das ist so. Das Jahr hat mir gut getan, weil ich neue Ideen bekommen und viel sehen konnte. Aber ab November wollte ich schon wieder arbeiten.
Der Druck auf den Bundestrainer im eigenen Land vor ausverkaufter Halle und Live-Übertragungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist hoch. Wie gehen Sie damit um?
Man muss Druck nicht positiv oder negativ bewerten. Bei diesem Job will man den Druck auch haben. Der Druck ist nun auch nicht höher als bei allen anderen Aufgaben in meiner bisherigen Karriere. Ich empfinde die Situation nicht als problematisch, eher als Herausforderung.
Wen ihrer fünf Vorrundengegner sehen Sie als schlagbar an?
Wir müssen dran glauben, dass wir jeden Abend gewinnen können. Unsere erste Aufgabe heißt Island, das sich die Qualifikation für die EM absolut verdient hat. Ich habe mich bisher noch nicht so viel mit den Gegnern befasst, da man noch nicht weiß, wer spielt, genauso wie es die Gegner von uns nicht wissen. Das Allerwichtigste derzeit im deutschen Basketball ist es, uns mit unserer Entwicklung zu beschäftigen und nicht mit dem Gegner. Der Prozess der Mannschaft, wie prägen wir unseren Spielstil, was sind unsere Typen, wie gehen wir mit Problemen um, ist viel wichtiger als andere Sachen. Die kommen von selbst. Wir müssen uns als Mannschaft und Verband in diesen Prozess verlieben.
Die Fans werden das Ihrige zur EM beitragen. Was erwartesn Sie vom Publikum in Berlin?
Ich erwarte eine Superunterstützung. Am Publikum wird's sicher nicht scheitern. Ich habe sehr viel positive Resonanz bekommen.
Druck als Herausforderung. Kann die Mannschaft damit auch umgehen?
Ich glaube, keiner, der unsere Gruppe anschaut, sagt, dass Deutschland der Favorit ist. Es sind in der externen Wahrnehmung andere Mannschaften, die höher eingestuft werden als wir. Das hilft unseren Jungs.
Wer sind für Sie die EM-Favoriten?
Sicher muss man Frankreich sehen, als Titelverteidiger und Gastgeber. Daneben muss man sicher den Vizeweltmeister Serbien auf der Rechnung haben. Und von der Qualität liegt Spanien nicht weit hinter den Franzosen.
Das Gespräch führte unser
Redaktionsmitglied Udo Schilling