Erinnerungen an den Triumph von Rom
Autor: Redaktion
Bamberg, Freitag, 12. Juni 2020
Vor 30 Jahren feierte die deutsche Nationalmannschaft in Italien ihren dritten WM-Titel. Die tollen Auftritte der DFB-Elf mit engen Partien gegen die Niederlande, England und Argentinien sind vielen Fans lebhaft in Erinnerung - und auch unseren Redakteuren. Was verbinden Sie mit der WM 1990? Schreiben Sie uns!
Nur nicht Burruchaga
Meine erste bewusste WM-Erinnerung ist eine traurige: Finale 1986. Deutschland hatte gerade ein 2:0 aufgeholt - und dann kam Jorge Burruchaga. Er vollendete einen Konter zum 3:2-Siegtreffer für Argentinien. Mir als Sechsjährigem schossen Tränen in die Augen. Mein älterer Bruder, mit ihm hatte ich das Finale heimlich geschaut, konnte mich nicht trösten. Vier Jahre später bei der WM in Italien war meine größte Angst, dass dieser Burruchaga der Beckenbauer-Elf wieder ein Schnippchen schlägt.
Doch bevor es zur Finalrevanche kam, lernte ich - mittlerweile zehn Jahre alt - viel über das Fan-Sein von Erwachsenen. Bei den WM-Grillpartys meiner Eltern saß ich in der ersten Reihe, fieberte mit - und erweiterte im Achtelfinale unbeabsichtigt meinen Schimpfwörter-Wortschatz. Bei der Spuck-Attacke von Frank Rijkaard gegen Rudi Völler bissen sich die Erwachsenen erst auf die Lippen, doch als die Zeitlupe lief, platzte es aus ihnen heraus. Einige dieser Schimpfwörter gingen mir durch den Kopf, als ein Bekannter meines Vaters mit uns das Halbfinale schaute. "Schau hin, der ist nervös, der verschießt", hieß es vor jedem englischen - und auch deutschen Elfmeterschützen. Ich war total genervt. Aber wenigstens hatte er bei zwei Engländern Recht.
Und dann das Finale. Wieder gegen Argentinien. Wieder gegen Burruchaga. Doch der war längst ausgewechselt, als es zum entscheidenden Elfer kam. Die Worte von TV-Kommentator Gerd Rubenbauer kann ich bis heute auswendig: "Jaaaaa! Tor für Deutschland. 1:0 durch Andreas Brehme. Alles wie gehabt: mit rechts flach ins linke Eck. Goycochea wusste alles, nur halten konnte er ihn nicht." Und wieder musste ich mir bei einer WM Tränen aus den Augen wischen - diesmal vor Freude.
- Torsten Ernstberger
Der "Kaiser" bat zum Zapfenstreich
Der Juni 1990 führte die deutsche Nationalmannschaft und mich in den Süden. Das Abi frisch in der Tasche, ging meine Reise mit drei Freunden nach Les Issambre an der Côte d'Azur. Endlich Schluss mit Schule. Freiheit, Ferien und Fußball - wir kommen! Matthäus & Co hatten ihr Teamquartier in Erba am Comer See aufgeschlagen. Gefühlt lag das aber in der Nachbarschaft, obwohl uns knapp 450 Kilometer trennten. Tagsüber kickten wir meist selbst in unserer Ferienanlage, abends war dann WM-Zeit vor dem kleinen Fernseher in unserer Ferienwohnung. Die Stimmung in der Siedlung erreichte Stadionatmosphäre, weil Urlauber aus vielen Nationen da waren. So ging es nahezu drei Wochen lang. Berauscht von den Erfolgen der Nationalelf und der wunderbaren Zeit, traf mich die Realität zu Hause um so härter: Pünktlich zum 1. Juli rief Vater Staat zum Wehrdienst in Amberg. Was bedeutete: Finale gegen Argentinien in der Kaserne. Während "Kaiser Franz" den Titelgewinn mit einsamen Runden durch das Stadion genoss, regierte bei uns "Kaiser Wilhelm". "Zapfenstreich"- hallte es durch die Gänge der gleichnamigen Kaserne . Amberg feierte - und wir lagen im Bett. Am nächsten Morgen herrschte trotzdem gute Stimmung: Antreten als Weltmeister, das war doch was! - Adrian Grodel
Dieser Sommer vergeht nie
Italo-Pop? Echt nicht mein Ding. Un' estate italiana von Gianna Nannini ist allerdings ein Stück, bei dem ich immer noch den Regler rechtsrum drehe. Das geht gar nicht anders. Dieses Lied und diese Erinnerungen ergeben quasi ein kognitives Gesamt-Kunstwerk. 30 Jahre später genieße ich ihn immer noch, diesen einmaligen italienischen Sommer. Dann feiere ich mit Lothar Matthäus im Meazza-Stadion zu Mailand dessen Gesamtkunstwerk-Tor im Spiel gegen Jugoslawien. Mit Jürgen Klinsmann bejuble ich ekstatisch den Führungstreffer gegen die Niederlande. Mit dem Kameruner Roger Milla tanze ich an der Eckfahne. Und mit Kolumbiens verrücktem Keeper René Higuita verabrede ich mich auf einen Ausflug in Richtung Mittellinie. In etwa dort, wo ich mit Franz Beckenbauer gedankenverloren auf dem Rasen des Olympiastadions in Rom promenieren werde. All das erlebe ich in Tagträumen, sobald mich die ungezähmte Stimme dieser Powerfrau auf dem direkten Weg über den Brenner und in die vollen Fußball-Stadien bringt und die Notti magiche, die magischen Nächte besingt. Ein normaler Sommer vergeht, aber dieser italienische Sommer wird von keinem Herbst abgelöst. Die Klamotten kleben auf der Haut, als ich den goldenen WM-Pokal in den Himmel recke. So also fühlt sich Unsterblichkeit an. - Jürgen Schmitt
Bett statt Autokorso
Wie stolz waren wir Club-Fans 1990, dass auch wir einen Weltmeister hatten. Egal, dass Andy Köpke in Italien keine Sekunde spielte - im ersten Heimspiel der folgenden Bundesligasaison empfingen wir unseren WM-Helden so, als hätte er im Tor gestanden. Der 1. FC Nürnberg vor 30 Jahren - das war die Zeit von Publikumsliebling Souleyman Sane. Sammy Saaahne, wie wir Club-Fans sagten, war ja meist schneller als der Ball. Und es war auch die Glanzzeit Jörg Dittwars. Der Schlacks aus Stadtsteinach hielt die Abwehr als Libero oder Manndecker zusammen, war aber auch für seine Vorstöße gefürchtet. Dittwar wurde sogar als Kandidat für den WM-Kader gehandelt, doch verletzte er sich im November 1989 und fiel lange aus - DFB-Teamchef Franz Beckenbauer nahm statt Dittwar als Abwehr-Ersatz Paul Steiner und Hans Pflügler mit nach Italien.