Wie funktioniert die Preisbildung?
"Bei Impulsware, also Produkte, die nicht so im Fokus stehen, gibt es höhere Margen. Bei Aldi-Süd gab es etwa im Sommer eingelegte Bio-Kräuter, mit ein paar Gramm Rosmarin, eingelegt in günstigem Branntweinessig und Trinkwasser plus ein Verdickungsmittel. Alles Rohstoffe, deren Kosten im Cent-Bereich liegen. Die Flasche wurde von Aldi bei 40 Milliliter Inhalt zu 1,99 Euro verkauft, also 50 Euro pro Liter. Dieser Preis hat nichts mehr mit den Herstellungskosten zu tun. Das teuerste war vermutlich das Glas."
Funktioniert das jetzt anders?
"Dieses Beispiel zeigt, dass Verkaufspreis und Herstellungskosten oft entkoppelt sind. Die Herstellungskosten sind das eine, der Verkaufspreis das andere. Das hat kaum noch was miteinander zu tun. Letztlich bestimmen die Informationen von Big Data den Preis: Ausgeklügelte Datensammlungen ermitteln, was Verbraucher bereit sind zu zahlen. Das alte Modell der Preisbildung, Herstellungskosten plus Aufschlag, das findet kaum noch statt. Das funktioniert nicht mehr so. Die zentrale Frage, die den Handel bewegt, ist die: Was sind die Verbraucher bereit zu zahlen? Danach bestimmt sich der Preis."
Haben die deutschen Supermarktketten zu viel Macht?
"Dass die großen Vier – Aldi Süd und Nord, Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland), Rewe mit Penny, Edeka mit Netto Marken-Discount - eine große Marktmacht sind, steht ohne Zweifel fest. Experten schätzen ihren Anteil auf rund 75 Prozent, andere Händler spielen zum Teil nur eine regionale Rolle. Spannend ist die Frage, wie die Macht genutzt wird. Kleinere oder mittelständische Hersteller sind den Ketten meist schonungslos ausgeliefert. Sie können schnell ausgelistet werden, wenn der Preis nicht stimmt oder sie sich quer stellen. Bei den großen wie Coca-Cola oder Nestlé sieht das anders aus. Die Handelsketten können sich auf Dauer nicht leisten, auf diese Marken zu verzichten."
Welche Strategien verfolgen die Handelsketten mit ihren Eigenmarken?
"Eigenmarken sind zwar jetzt deutlich teurer geworden, aber vielfach sind sie noch deutlich günstiger als Markenprodukte. Bei den Eigenmarken gibt es viele Einspar-Optionen: kein Werbeetat, direkter Bezug vom Hersteller, kein Zwischenhändler, alles Faktoren, die die Marge nicht trüben. Diese Produkte erreichen jetzt, wo die Preise bei Lebensmitteln deutlich anziehen, einen noch höheren Marktanteil. 50 Prozent und mehr sind es in einzelnen Sparten. Das galt schon vor der Krise und jetzt sind weiter wachsende Anteile zu erwarten. Natürlich verdienen die Händler gut an ihren No-Name-Produkten."
Gibt es Preisabsprachen?
"Aldi beansprucht immer noch die Preisführerschaft und gibt bei vergleichbaren Produkten wie Milch, Butter, Mehl und Zucker den Preis vor. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Erhöht Aldi den Preis, ziehen die anderen kurzfristig nach. Das Gleiche gilt auch für Preissenkungen. Für Verbraucherinnen und Verbraucher sieht das so aus als wären die Preise abgesprochen. Dafür gibt es aber keine Hinweise."
Sie haben den versteckten Preiserhöhungen den Kampf angesagt?
"Es gibt sie immer öfters, die versteckten Preiserhöhungen: weniger Ware in der Packung bei gleichem Preis. Rama war jetzt so ein Fall: Wir hatten so viele Beschwerden, wie noch nie. Im gleich großen Becher sind jetzt statt 500 Gramm nur noch 400 Gramm. Der Trick funktioniert bei vielen Menschen beim Einkauf, aber die Wut auf den Hersteller kommt später, wenn man zu Hause ist. Wir haben Briefe von Hausfrauen, die zum Kuchen backen, die bislang je die Hälfte aus einem Rama-Becher für zwei Kuchen entnommen hatten. Das reicht aber auf einmal nicht mehr, jetzt muss sie zwei Packungen für zwei Kuchen kaufen. Treue Kundinnen und Kunden, die seit 50 Jahren Rama kaufen, kommen natürlich nicht auf die Idee, im Supermarkt die Füllmenge zu kontrollieren. Getrickst hat Rama auch vorher schon, um Kosten zu sparen: Die Fettmenge wurde reduziert, teilweise die Rezeptur verschlechtert. Aber zum ersten Mal ist jetzt die Füllmenge kleiner. Da versucht der Hersteller die Verbraucher auszutricksen, das nehmen sie ihm ausgesprochen übel."
Und was ist das zweite Ärgernis?
"Das sind die Luftpackungen. Da wird suggeriert, dass in der Verpackung besonders viel drin ist. Zusätzlich monieren die Verbraucherinnen und Verbraucher zurecht die Ressourcenverschwendung. Das hat mit Nachhaltigkeit nichts zu tun, obwohl die Hersteller sich diese immer auf die Fahnen schreiben. Wir haben Lidl wegen einer Müsli-Packung erfolgreich verklagt, die nur gut zur Hälfte gefüllt war. Das Unternehmen hat bei laufendem Verfahren ein heftiges Eigentor geschossen und die identische Dose mit 70 Gramm mehr Inhalt befüllt. Damit hatten wir das Verfahren gewonnen, weil die Argumentation von Lidl, dass die Dose angeblich aus technischen Gründen nicht besser zu befüllen wäre, zusammengebrochen ist. Aber auch andere Tricks schildern uns die Verbraucher. Ich erinnere mich daran, dass ein Geschirrspülmittelhersteller die Ausgusstülle an seinen Plastikflaschen vergrößerte, damit mehr Spülmittel ins Spülbecken fließt. Das flog auf, weil Verbraucher sich beschwerten, dass die Flasche sich viel schneller leerte als früher."
Sind die Rückrufaktionen im Handel ein Beleg für mangelnde Qualitätskontrolle?
"Nein, das sehe ich anders. Es gab früher deutlich mehr "stille Rückrufe", damit gehen die Händler heute anders um, sie sind jetzt immer öfters bereit, öffentlich zu kommunizieren. Da ist die Sensibilität gestiegen bei den Handelsketten und Herstellern."
Wie funktioniert das mit den Sonderangeboten?
"Das muss der Kunde sich genau anschauen. Nicht immer spart er. Sonderangebote sind darauf angelegt, dass der Einkaufende, sie zusätzlich mitnimmt. Sie regen zu unnötigen Mehreinkäufen an. In Aktionen verkaufen sich Produkte besser, das ist einfach so. Gerade bei leicht verderblichen Lebensmitteln ist aber Vorsicht angesagt: Gerade bei so Aktionen wie 'Drei kaufen, zwei bezahlen'. Dadurch wird die Lebensmittelverschwendung angefacht. Verbrauchende sollten genau hinschauen, vielfach sind No-Name-Produkte immer noch preiswerter. Gleiches gilt für Ware auf Aktionsflächen, über die man fast immer stolpert."
Ist der Einkauf im Supermarkt eine Abenteuerreise?
"Im Supermarkt ist nichts dem Zufall überlassen, das ist ein ausgeklügeltes System. Nach den Marketingstrategien der Händler sollen wir da nicht schnell 'durchflitzen', um unsere Einkäufe zu erledigen. Genau andersherum wird ein Schuh daraus: möglichst lange die Kunden halten, viele Waren verkaufen, die nicht geplant waren. Denken wir nur an die Quengel-Zone an der Kasse. Der Aufbau des Marktes, wie man geführt wird, hat System. Da muss man schon gut gewappnet sein als Kunde, um nicht auf die Tricks hereinzufallen. Unnötige Impulseinkäufe sollten wir in jedem Fall vermeiden."
Ist der vorbereitete Einkaufszettel hilfreich oder doch nur eine Beruhigungspille?
"Big Data macht dem Spickzettel Konkurrenz. Wir liefern viele Daten über Apps direkt an die Handelsketten. Das ist bei unabhängigen App-Anbietern nicht anders: Die Daten ihrer Kunden, die wir diesen oftmals kostenlos per Apps liefern, verkaufen sie an Händler. Ob das immer klar und deutlich sichtbar für den Nutzer ist, lasse ich jetzt mal unbeantwortet. Wir müssen uns bewusst sein: Wir bezahlen mit unseren Daten, es gibt keinen Preisvergleich ohne Gegenleistung. Wir raten immer noch zum guten alten Einkaufszettel, so mache ich das übrigens auch. Dadurch vermeiden wir Fehleinkäufe und personalisierte Daten geben wir nicht so einfach preis."
Können die Schnäppchenjäger*innen gegen den Handel gewinnen?
"Wenn er oder sie konsequent nur Schnäppchen kauft, dann ja. Wenn jemand Ritter-Sport-Schokolade mag und diese nur im Angebot kauft, dann spart er Geld, wenn er gleichzeitig deshalb nicht mehr davon isst – aber wer schafft das schon. Ob er gegen den Händler insgesamt gewinnt, hängt davon ab, ob er noch andere Produkte kauft. Meine Prognose ist: Viele kaufen eben nicht nur die Schokolade im Sonderangebot, sondern auch viele weitere Lebensmittel. Dann hat sich für den Händler das Lockangebot schon gelohnt."
Welches sind ihre drei wichtigsten Empfehlungen für den Einkauf?
"Alle sollten sich gut wappnen für ihren Einkauf. Dazu gehört der Einkaufzettel, diszipliniertes Einkaufsverhalten und Angebote wahrnehmen. Die Werbung aus seinem Kopf zu bekommen, ist nicht ganz einfach. Ebenso muss das Preis-Qualitäts-Verhältnis stimmen. Ich empfehle nicht, nicht nur das Billigste zu kaufen. Qualität der Waren oder artgerechte Haltung von Tieren sollte uns was wert sein. Wir sollten vor allem regionale und saisonale Produkte kaufen, wenn möglich auch die Bio-Landwirtschaft unterstützen, dann wäre schon viel gewonnen."
Wer ist Armin Valet?
Der gelernte Lebensmittelchemiker ist schon seit über 20 Jahren in der Verbraucherzentrale in Hamburg tätig. In seinem Job geht es oft um die Tricks im Handel oder in der Lebensmittelindustrie und um Lebensmittelkennzeichnungen und -recht. Der ursprünglich aus der Nähe von Stuttgart kommende Valet hat Familie und macht gerne Sport.