Corona und Krieg: Staat häuft Schuldenberg an - droht eine "kalte Enteignung"?
Autor: Klaus Heimann
Deutschland, Donnerstag, 15. Sept. 2022
Wird die neue Grundsteuer zum Immobilienkiller? Im Netz häufen sich derzeit Behauptungen von Zwangshypotheken und Enteignungs-Szenarien. Was dahinter steckt, beleuchten wir hier.
- Der Schuldenberg und die Zwangshypothek
- Die FDP in Baden-Württemberg spricht von "kalter Enteignung"
- Plant die Bundesregierung einen Lastenausgleich?
- Gab es in Deutschland schon mal einen Lastenausgleich?
Seit neun Monaten erheben die Finanzämter Daten bei den Immobilienbesitzern, um die Grundsteuer (wir berichtete darüber) neu zu berechnen. Parallel gibt es im Internet, auf den einschlägigen Social-Media-Kanälen oder auf YouTube, einen gewaltigen Vorwurf: Mit der neuen Grundsteuer wollen die Politiker*innen dir nur die Wohnung oder das Haus wegnehmen. Nach den Steuerbescheiden kämen die Zwangshypotheken oder die Enteignung, weil viele die geforderten, horrenden Steuersummen nicht bezahlen können. Das ist starker Tobak. Wir prüfen die Vorwürfe und erklärt den Hintergrund.
Der Schuldenberg und die Zwangshypothek
Mit der Behauptung von drohenden Zwangshypotheken und Enteignungen durch die Grundsteuer schüren selbsternannte Aufklärer, "Querdenkende", Finanzexperten und Immobilienfachleute die Angst von Immobilienbesitzern. Viele dieser "Propheten" tummeln sich auf YouTube mit ihren Videos. Angeblich warten in Europa schon "staatliche Verwertungsagenturen" nur darauf, zuschlagen zu können. Ab wann der "Enteigungsplan" der Politiker greift, darüber streiten die "Experten": Die einen tippen auf den 01.01.2024, andere wiederum auf den 01.01.2025, dem Starttermin für die neue Grundsteuer.
Video:
Einer der Protagonisten ist Immobilieninvestor Alexander Raue, der in Costa Rica oder in der Schweiz lebt. Auf seinen Internetseiten gibt er diese beiden Orte an. Sein Immobilientagebuch auf YouTube hat 55.700 Abonnenten und sein letztes Video hatte bislang 670.000 Aufrufe. Seine These: "Am 1. Januar 2025 kommt ein neuer Lastenausgleich und du wirst 50 Prozent deines Vermögens verlieren. Immobilien, Aktien, Gold, Bitcoins und Geld auf dem Konto – die Hälfte davon ist weg." Damit das nicht eintritt, bietet Raue Coaching an, pro Stunde im Gespräch für 300 Euro netto.
Die Folien, auf der er und die anderen Krisen-Protagonisten argumentieren, ähneln sich: Erst Corona, dann die horrenden Energiekosten durch den Krieg in der Ukraine und die Inflation – auf eine Krise folgt sofort die nächste. Die Bundesregierung steuert mit milliardenschweren Entlastungspaketen dagegen (die drei Entlastungspunkte des Jahres 2022 kosten bislang 95 Milliarden Euro). Nach Schätzungen hat die Corona-Krise bislang mehr als 53 Milliarden Euro gekostet, das geht aus einer Antwort der Bundesregierung hervor, über die das ZDF berichtete. Das Problem: Irgendwann ist die Rechnung fällig - und wer zahlt die dann?
Die FDP in Baden-Württemberg spricht von klarer Enteignung
Nicht wenigen Bürgern macht die wachsende Schuldenlast des Staates Angst und sie vermuten, dass sie am Ende des Tages dafür zahlen müssen. Deshalb sind einige von ihnen empfänglich für Spekulationen und Fake-News, die den finanziellen Crash beschreiben und wie sie sich schützen können. Da sie Steuererhöhungen für unwahrscheinlich halten, spekulieren sie über einen umfassenden Lastenausgleich, der ab 2025 kommt. Erwischen soll es als Erstes die Immobilien- und Grundstückbesitzer. Deshalb passt die neue Grundsteuer, die ab dem 01.01.2025 zu zahlen ist, so wunderbar in diese Fantasiespiele. Vielfach ist von Zwangsenteignung die Rede.
Das Thema erreichte im April den Landtag in Baden-Württemberg, Gisela Splett (Grüne), Staatssekretärin im Finanzministerium, räumte ein, dass viel Emotionalität im Spiel sei. Für den Abgeordneten Klaus Hoher (FDP) steht fest, dass die neue Grundsteuer zu einer "kalten Enteignung" führt. Was er meinte, erläutert er am Beispiel eines älteren Ehepaars, dessen Haus auf einem teuren Grundstück am Bodensee steht. Sie seien gezwungen, zu verkaufen und ins Hinterland zu ziehen. Nur noch reiche Leute könnten es sich leisten, am See zu wohnen. Es werde nicht berücksichtigt, welches Gebäude auf dem Grundstück stehe. Deshalb habe die FDP Zweifel an der Rechtssicherheit der Bewertung der Grundsteuer in Baden-Württemberg. Was MdL-Hoher da im Landtag berichtete, ist aber nicht mehr als eine Vermutung. Denn Grundsteuerbescheide gibt es auch in Baden-Württemberg noch nicht. Gerade in diesen Monaten geht es darum, die Daten zu erfassen, vielleicht gibt es sogar eine Verlängerung. Nachrichten dieser Art sind natürlich ein gefundenes Fressen für Fake-News-Erfinder.