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Wenn der Arbeitgeber insolvent ist: Besser gleich kündigen - oder abwarten?


Autor: Klaus Heimann

Deutschland, Montag, 17. April 2023

Wenn der Arbeitgeber Insolvenz anmeldet, ist das ein heftiger Schock für die Beschäftigten. Besser jetzt gleich kündigen und sich was Neues suchen oder abwarten?
14.700 Unternehmen meldeten im letzten Jahr ihre Insolvenz beim Amtsgericht an.


  • Was ändert sich, wenn der Arbeitgeber Insolvenz anmeldet?
  • Das Ziel des Insolvenzverwalters muss nicht immer aufgehen
  • Wie lange fließt das Insolvenzgeld?
  • Musst du trotz Insolvenz weiter zur Arbeit kommen?
  • Sieben Merkposten bei der Insolvenz

Oft gibt es im Vorfeld Gerüchte im Betrieb. Spätestens, wenn das Gehalt nicht mehr pünktlich kommt, ist klar, irgendetwas läuft nicht mehr rund. Wenn der Arbeitgeber Insolvenz anmeldet oder kurz davor steht, bedeutet das im besten Fall Veränderungen. Wenn es böse kommt, den Verlust des Arbeitsplatzes. Sich Sorgen zu machen, ist also berechtigt. Doch von heute auf morgen stehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Regel nicht ohne Job und Geld da. Insolvenz, was ist zu beachten?

Was ändert sich, wenn der Arbeitgeber Insolvenz anmeldet?

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist angewachsen, und zwar im Jahresverlauf auf rund 14.700 (2021: 14.130). Das Insolvenzaufkommen blieb trotz des Anstiegs also auf niedrigem Niveau. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren (2012) wurden noch 28.720 Unternehmensinsolvenzen registriert.

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Für Patrik Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, Inkassounternehmen und Anbieter von Wirtschaftsinformationen in Berlin, ist klar, warum die Zahl der Insolvenzen in 2022 gestiegen ist: "Die anhaltende Inflation, die steigenden Zinsen und Energiekosten sowie eine zunehmend verschärfte Wettbewerbssituation gehen bei vielen Unternehmen an die Substanz".

Hinter insolventen Betrieben stecken immer Mitarbeitende, für die eine Zeit der Unsicherheit ansteht. Von der Insolvenz betroffen waren in diesem Jahr schätzungsweise 175.000 Arbeitnehmer; ein spürbares Plus gegenüber dem Vorjahr (2021: 141.000). Der wohl spektakulärste Fall ist GALERIA Karstadt Kaufhof. Insolvenz anmelden musste in 2022 ebenso die Modekette Orsay, der Schuhhändler Görtz, der Autozulieferer Borgers und der Toilettenpapierhersteller Hakle - um nur die prominentesten Namen zu nennen.  

Das Ziel des Insolvenzverwalters muss nicht immer aufgehen

Durch das Insolvenzverfahren soll entweder die Zahlungsfähigkeit deines Arbeitgebers wiederhergestellt oder es geht um eine geordnete Abwicklung. Ziel des Verfahrens ist es, die Forderungen sämtlicher Gläubiger zumindest anteilig zu erfüllen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Verwertung des gesamten noch vorhandenen Vermögens des Unternehmens.
  • Aufstellung eines Insolvenzplans: Ziel des Insolvenzverwalters ist es, das Unternehmen fortzuführen und zugleich den Forderungen der Gläubiger nachzukommen.

Für den Arbeitgeber besteht bei Insolvenz eine Informationspflicht: Er ist verpflichtet, dich als Mitarbeitende*n unverzüglich über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu informieren, sobald ihm der Beschluss des Insolvenzgerichts vorliegt. Hierzu muss er entweder sämtliche Arbeitnehmenden oder den Betriebsrat über den Beschluss informieren.

Bis das Amtsgericht als Insolvenzgericht über den Insolvenzantrag entschieden hat, bestellt es für die jeweilige Firma einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Für die Beschäftigten ändert sich bis zum Eröffnungsbeschluss nichts. Wird ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet und ein sogenannter "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, gehen die Befugnisse des Arbeitgebers vollständig auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens übernimmt der Insolvenzverwalter die Geschäftsführung. Er tritt mit allen Rechten und Pflichten in die Rolle des Arbeitgebers.

Wie lange fließt das Insolvenzgeld?

Wichtig zu wissen: Der Insolvenzantrag verändert nichts am Arbeitsverhältnis. Der Arbeitsvertrag ist weiter gültig, es besteht weiterhin die Pflicht, die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen. Arbeitsanwälte empfehlen den Betroffenen, sich eine Aufstellung zu machen über alle geldwerten Ansprüche, die bis zum Insolvenzantrag ausgelaufen sind.

Wenn der Betrieb nicht mehr zahlt, hilft das Insolvenzgeld von der Arbeitsagentur,maximal aber nur für drei Monate. Für die Beantragung von Insolvenzgeld gibt es entsprechende Formulare auf der Website der Bundesagentur für Arbeit. Den Antrag können Betroffene dort schriftlich oder elektronisch innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach der Insolvenzeröffnung einreichen. Üblicherweise sorgt der Insolvenzverwalter für eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes, sodass die Betroffenen nicht lange warten müssen.

In der Regel erhältst du das Insolvenzgeld in der Höhe des Nettoverdienstes. Es umfasst Festgehalt und unter bestimmten Voraussetzungen auch Gehalts- oder Lohnanteile (zum Beispiel Provisionen, Überstundenvergütung oder Weihnachtsgeld). Gut zu wissen: Das Insolvenzgeld ist steuerfrei. Gib den Betrag unbedingt in deiner Steuererklärung an. Zahlt dein Arbeitgeber aufgrund der Insolvenz keine Beiträge zur Sozialversicherung, übernimmt dies die Agentur für Arbeit. Deine Krankenkasse muss dafür einen Antrag bei der Agentur für Arbeit stellen. 

Muss du trotz Insolvenz weiter zur Arbeit kommen?

Musst du nach einer Insolvenz automatisch mit einer Kündigung rechnen? Nein, es gibt kein spezielles Kündigungsrecht. Zeigt sich aber, dass das Unternehmen entweder gar nicht oder nur in einer geschrumpften Form nach einer Umstrukturierung fortzuführen ist, fallen Arbeitsplätze weg - das kann zu Kündigungen führen. Deshalb solltest du dich umschauen, wo es andere Jobs gibt. Zudem haben Gehälter mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Vorrang vor allen Forderungen. Lediglich die Kosten für das Insolvenzverfahren gehen vor. Das gibt Mitarbeitenden etwas mehr Sicherheit.

Besteht ein Betriebsrat, ist die Umstrukturierung mit diesem zu verhandeln, auch in der Insolvenz. Zudem ist ein Sozialplan nach den Regeln der Insolvenzordnung abzuschließen. Das kann dir finanzielle Vorteile verschaffen. Erst dann kann es zu Kündigungen kommen.

Kannst du das Arbeitsverhältnis früher als vorgesehen kündigen? Beschäftigte können unter bestimmten Umständen das Arbeitsverhältnis in der Insolvenz durch eine außerordentliche fristlose Kündigung vorzeitig beenden. In jedem Fall benötigten Arbeitnehmer hierfür einen wichtigen Grund. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) akzeptiert eine Kündigung, wenn beispielsweise der Lohn in nicht unerheblicher Höhe aussteht. Gleiches gelte, wenn sich die Lohnzahlung erheblich verzögert und der Beschäftigte den Arbeitgebenden zur Lohnzahlung gemahnt hat. Im Klartext: Beschäftigte, die zwei Monate kein Geld bekommen, könnten fristlos kündigen. 

Sieben Merkposten bei der Insolvenz

Sieben Merkposten zum Thema Insolvenz gibt es:

  • Der Arbeitgeber muss spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Beschäftigten und den Betriebsrat informieren.
  • Beim Ausbleiben des monatlichen Entgelts solltest du den Arbeitgeber schriftlich zur Zahlung auffordern. Arbeitsverweigerung ist erstmal keine gute Idee, die kommt erst bei mehrmonatigem Zahlungsrückstand in Betracht.
  • Als Ersatz für den Verdienstausfall erhalten Arbeitnehmer auf Antrag von der Arbeitsagentur ein Insolvenzgeld in Höhe des Nettolohns, einschließlich Sonderzahlungen.
  • Für eine Kündigung in der Insolvenz gelten die üblichen gesetzlichen Kündigungsvorschriften. Ausnahme ist die spezielle Kündigungsfrist von drei Monaten, die ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens für alle Arbeitsverhältnisse als Höchstgrenze gilt.
  • Abfindungen, die nach Insolvenzeröffnung entstehen, sind Verbindlichkeiten des Betriebs und sind von der Insolvenzmasse auszugleichen.
  • Bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz gehen die Arbeitsverhältnisse auf den Käufer/Erwerber über.
  • Betriebsrat und Insolvenzverwalter sind Ansprechpartner zu allen Abläufen und offenen Forderungen gegen den Arbeitgeber.

Fazit

Der Strukturwandel in der Automobilindustrie trifft bislang vor allem die Zulieferer. Aber auch bei den Herstellern wackelt einiges. Im Handel - Stichwort Galeria Karstadt - sieht es nicht viel besser aus. Die Zahl an Insolvenzen ist gestiegen. Arbeitnehmer können sich schützen, wenn sie flexibel sind. Bei einer Insolvenz muss niemand sofort kündigen, aber umsehen sollten sich Arbeitnehmende in jedem Fall.