Druckartikel: Teure Pflege: Kommt eine Reform der Pflegegrade?

Teure Pflege: Kommt eine Reform der Pflegegrade?


Autor: Klaus Heimann

Deutschland, Montag, 28. Juli 2025

Die Krise der Pflegeversicherung ist nicht länger zu leugnen. Veränderungen stehen an, alles muss auf den Prüfstand. Ob die fünf Pflegegrade noch Bestand haben, ist fraglich.
Ambulante und häusliche Pflege sind die Basis der Pflege.


Selbstständig den Alltag bestreiten – das klappt nicht mehr so richtig? Dann ist es Zeit, einen Antrag auf Unterstützung bei der Pflegekasse zu stellen. Aber die Zukunft der Pflegeversicherung ist unsicher, sie steckt in einer tiefen Finanzkrise. Es gibt eine Milliardenlücke, warnt der Bundesrechnungshof. Auch bei der ambulanten und häuslichen Pflege, mit ihren fünf Pflegegraden, wird es Veränderungen geben. Deshalb ist es unbedingt notwendig, dass du über das System der häuslichen Pflege informiert bist. Was es mit den Pflegegraden auf sich hat, wie viel Geld du erhältst, wer die Einstufung vornimmt und wie du dich gegen Falscheinstufung wehren kannst, erfährst du in diesem Beitrag. inFranken.de liefert Wissenswertes zur Pflegeversicherung und zur Einstufung in die fünf Pflegegrade.

Die Krise der Pflegeversicherung

Die Krisenstimmung bei der Pflegeversicherung schürte ein noch nicht veröffentlichter Bericht des Bundesrechnungshofs an den Haushaltsausschuss des Bundestags. Wie Medien übereinstimmend berichteten, rechnen die staatlichen Rechnungsprüfer schon für das Jahr 2026 mit einem Defizit von 3,5 Milliarden Euro. Den Weg, das Defizit über den Bundeshaushalt auszugleichen, lehnt Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) bislang kategorisch ab.

Bis 2029 wird das Minus auf 12,3 Milliarden Euro anwachsen. Hauptgrund: die "unerwartet stark" steigende Zahl der Pflegebedürftigen. Ende 2024 waren hierzulande schon 5,6 Millionen Menschen pflegebedürftig – 400.000 mehr als im Vorjahr. Dieses Jahr steigt die Zahl weiter.

"Der Rechnungshofbericht zeigt: Die Lage in der Pflegeversicherung ist dramatischer als bisher eingeräumt", sagte DAK-Chef Andreas Storm gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa). Die Pflegeversicherung sei neben der Krankenversicherung ein weiterer "Notfallpatient auf der Intensivstation". 

Der Zukunftspakt Pflege ist eingesetzt

Dass es angesichts der drohenden Defizite zu Veränderungen kommen muss, daran gibt es keinen Zweifel. Um die Finanzierung grundlegend zu stabilisieren und eine Neuausrichtung der Pflege einzuschlagen, tagt jetzt eine Arbeitsgruppe ("Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Zukunftspakt Pflege"), die noch in diesem Jahr Vorschläge für eine Reform entwickeln soll. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) geht davon aus, dass sich bei der Pflegeversicherung einiges ändern muss: Die Beiträge steigen vermutlich 2026 erneut an, der Leistungskatalog steht grundsätzlich zur Disposition und ohne mehr Eigenverantwortung wird es auch nicht gehen.

Einfach unbeschwert alt werden - mit der Pflege­zusatz­versicherung der DFV*

Zu den Aufträgen an die Arbeitsgruppe gehört es auch, über die ambulante und häusliche Pflege zu beraten. 2023 gab es rund 4,9 Mio. zu Pflegende in diesem Bereich, wovon allein 3,1 Mio. zu Hause und durch Angehörige betreut wurden. Insgesamt kostete das Pflegesystem im Jahr 2024 immerhin 68 Mrd. Euro, das ist ein Plus von 15 % gegenüber dem Vorjahr. 58 % (1,1 Mio. Pflegebedürftige) erhalten eine ambulante Versorgung.

Zum Arbeitsauftrag des Zukunftspakts im Bereich "Nachhaltige Sicherstellung der Versorgung und Stärkung der ambulanten und häuslichen Pflege" gehören nach dem Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot auch die Prüfung des Leistungsumfangs und die Ausdifferenzierung der Leistungsarten. Dabei geht es vor allem um "Anreize für eigenverantwortliche Vorsorge".

Der wichtige Hausbesuch des Medizinischen Dienstes

Voraussetzung, um Leistungen der ambulanten und häuslichen Pflege in Anspruch zu nehmen, ist die Einstufung in einen der fünf Pflegegrade. Dazu musst du einen Antrag auf Pflegeleistung bei deiner Krankenkasse stellen.

Deine gesetzliche oder private Krankenkasse verwaltet auch die Gelder und Leistungen aus der Pflegeversicherung. Es gilt der Grundsatz: Die Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung.

Die Pflegekasse beauftragt den Medizinischen Dienst (MD) oder den Gutachterdienst Medicproof bei Privatversicherten mit der sogenannten Pflegebegutachtung. "Die Begutachtung findet in der Regel als persönliches Gespräch mit einer Gutachterin oder einem Gutachter des Medizinischen Dienstes statt", heißt es auf der Homepage des MD.

Selbsständigkeit beeinträchtigt? Fragenkatalog entscheidet über Pflegegrad

Beim angekündigten Hausbesuch loten die medizinischen oder pflegerischen Experten in der Wohnung des Antragstellers aus, ob und in welchem Umfang er in seiner Selbstständigkeit beeinträchtigt ist. Dafür gehen die Fachleute mit den Betroffenen einen Fragenkatalog durch.

In der Begutachtung stehen die Selbstständigkeit und Fähigkeiten in sechs Lebensbereichen im Mittelpunkt. Darüber hinaus kommen die Bereiche "außerhäusliche Aktivitäten" und "Haushaltsführung" zur Sprache. Diese fließen aber nicht in die Bewertung ein.

  • Mobilität (Anteil an der Bewertung 10 %)
  • Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (Anteil an der Bewertung 7,5 %)
  • Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (Anteil an der Bewertung 7,5 %)
  • Selbstversorgung (Anteil an der Bewertung 40 %)
  • Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (Anteil an der Bewertung 20 %)
  • Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte (Anteil an der Bewertung 15 %)

Die Basis: Das Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes

Der Besuch des MD ist ein wichtiger Termin, auf den du dich gründlich vorbereiten solltest. Vielleicht zusammen mit einem Freund, einer Freundin oder einem Angehörigen. Eine gute Hilfe bietet dabei der Ratgeber: "Das Pflegegutachten" (Preis: 12 Euro) von der Verbraucherzentrale. Hier findest du eine ausführliche Pflege-Checkliste. Diese solltest du im Vorfeld durchgehen. 

Immer aktuell: Die Amazon-Bestseller bei den rezeptfreien Medikamenten

Mit dem kostenlosen Pflegegradrechner der Verbraucherzentralen kannst du deinen persönlichen Pflegegrad berechnen. Mit dem Rechner kannst du vorab abschätzen, ob sich ein Antrag bei der Pflegekasse lohnt.

Der Gutachter oder die Gutachterin erstellt auf Basis des Gesprächs eine Stellungnahme, die an die Pflegekasse geht. Die Basis für die Vergabe von Punkten sind die Antworten auf die Fragen. Aus der zusammengerechneten Punktzahl ergibt sich die Einstufung in einen Pflegegrad. Von der Pflegekasse kommt dann der Bescheid darüber, ob und welcher Pflegegrad vorliegt und welche Leistungen in Zukunft bezahlt werden.

Die Pflegesachleistung und das Pflegegeld

Es gibt fünf Pflegegrade für die häusliche Pflege. Dabei gilt: Je höher der Pflegegrad, desto höher sind die Leistungen der Pflegekasse. Seit 2017 haben die Pflegegrade das bisherige System der Pflegestufen abgelöst. Ob es 2026 erneut zu Änderungen kommt, ist offen. Um das System der ambulanten und häuslichen Pflege besser zu verstehen, musst du einige Begriffe kennen und einordnen können.

Die Pflegesachleistung: Von Pflegesachleistung wird gesprochen, wenn ein Pflegebedürftiger zu Hause durch einen ambulanten Dienst versorgt wird. Die Pflegekasse rechnet direkt mit dem Pflegedienst ab. Übernommen werden können Pflege, Hilfen im Haushalt und die sogenannte häusliche Betreuung.

Das Pflegegeld: Pflegegeld erhältst du, wenn du die häusliche Versorgung selber organisierst. Dann können zum Beispiel Familienangehörige, Freunde oder eine von dir selbst beauftragte Kraft die Pflege übernehmen. In diesem Fall erhält der Bedürftige das Pflegegeld direkt auf sein Konto. 

Die Kombimöglichkeit und die Verhinderungspflege

Die Kombimöglichkeit: Was passiert, wenn du die Pflegesachleistungen nicht in vollem Umfang nutzt? Bleibt ein Teil des Budgets übrig, kannst du ihn anteilig als Pflegegeld auszahlen lassen. Beispiel: Wenn du nur 60 % der Pflegesachleistungen brauchst, bekommst du noch 40 % des Pflegegeldes überwiesen.

Finanzielle Hilfe im Krankheitsfall: Krebsversicherung ansehen

Der Entlastungsbetrag: Zusätzlich steht allen Pflegebedürftigen von Pflegegrad 1 bis Pflegegrad 5 ein sogenannter Entlastungsbetrag in Höhe von 131 Euro pro Monat zu, wenn sie zu Hause versorgt werden. Dieser Betrag ist insbesondere für die Unterstützung im Alltag gedacht. Der Betrag ist zweckgebunden und wird bei Aufwendungen für Entlastungsangebote von der Pflegekasse zurückerstattet.

Die Verhinderungspflege: Macht die privat engagierte Pflegeperson Urlaub oder ist sie krank, übernimmt die Pflegeversicherung für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 die nachgewiesenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege. Die sogenannte Verhinderungspflege gilt für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr.

Die Pflegegrade eins bis zwei

Mehr als 80 % aller Pflegebedürftigen in Deutschland nehmen häusliche Pflege vor allem in der eigenen Wohnung in Anspruch. Einen Überblick und Erläuterungen zu den dafür geltenden fünf Pflegegraden geben die meisten Krankenkassen auf ihrer Internetseite. Hier ist die der AOK ausgewählt.

Pflegegrad 1 (12,5 bis unter 27 Punkte): Geringe Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten

  • Erläuterungen der AOK: Pflegebedürftige des Pflegegrads 1 können sich in der Regel noch gut selbst versorgen und haben nur einen geringen Bedarf an Unterstützung. Geringfügig Hilfsbedürftige sollen bei den alltäglichen Aufgaben wie der Hygiene und hauswirtschaftlichen Versorgung eine Unterstützung erfahren. 
  • Pflegesachleistung: 0 Euro, aber Sonderleistungen für Pflegehilfsmittel (bis zu 42 Euro) oder den Notruf (bis zu 25,50 Euro)
  • Pflegegeld: 0 Euro
  • Entlastungsbeitrag: 131 Euro für Leistungen wie einen zugelassenen Pflegedienst, Unterstützung im Alltag, Tages- und Nachtpflege oder Kurzzeitpflege.

Pflegegrad 2 (27 bis unter 47,5 Punkte): Erhebliche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten

  • Erläuterungen der AOK: Mit Pflegegrad 2 haben Versicherte in der Regel Anspruch auf Pflegegeld und eine häusliche Pflege durch Angehörige oder eine Pflegesachleistung durch einen ambulanten Pflegedienst. 
  • Pflegesachleistung: 796 Euro
  • Pflegegeld: 347 Euro monatlich
  • Entlastungsbeitrag: 131 Euro für Leistungen wie einen zugelassenen Pflegedienst, Unterstützung im Alltag, Tages- und Nachtpflege oder Kurzzeitpflege.

Die Pflegegrade drei bis fünf

Pflegegrad 3 (47,5 bis unter 70 Punkte): Schwere Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten

  • Erläuterungen der AOK: Mit dem anerkannten Pflegegrad 3 stehen Bedürftigen Leistungen wie Pflegegeld und Pflegesachleistungen aus der Pflegeversicherung zu, um die Pflege im Alltag zu unterstützen. Meist benötigen die pflegebedürftigen Personen mehrmals täglich Unterstützung bei der Selbstversorgung.
  • Pflegesachleistung: 1.497 Euro
  • Pflegegeld: 599 Euro monatlich
  • Entlastungsbeitrag: 131 Euro für Leistungen wie einen zugelassenen Pflegedienst, Unterstützung im Alltag, Tages- und Nachtpflege oder Kurzzeitpflege.

Pflegegrad 4 (70 bis unter 90 Punkte): Schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten

  • Erläuterungen der AOK: Mit Pflegegrad 4 sind Pflegebedürftige erheblich auf fremde Hilfe angewiesen und erhalten daher bei anerkanntem Pflegegrad entsprechende Leistungen aus der Pflegeversicherung. Die zu pflegende Person ist häufig durch eine eingeschränkte Mobilität gekennzeichnet und die alltägliche Hilfe wird fast vollständig übernommen. Teilweise sind selbstständiges Essen und Trinken noch möglich. Personen des Pflegegrads 4 sind überwiegend noch in der Lage, einen Notruf zu bedienen.
  • Pflegesachleistung: 1.859 Euro
  • Pflegegeld: 799 Euro monatlich
  • Entlastungsbeitrag: 131 Euro für Leistungen wie einen zugelassenen Pflegedienst, Unterstützung im Alltag, Tages- und Nachtpflege oder Kurzzeitpflege.

Pflegegrad 5 (90 bis 100 Punkte): Schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.

  • Erläuterungen der AOK: Pflegebedürftige mit Pflegegrad 5 sind sehr stark auf die Hilfe anderer angewiesen und können daher umfangreiche Leistungen aus der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen. Die zu pflegende Person ist immobil. Personen mit dem Pflegegrad 5 können oft auch noch den Notruf bedienen.
  • Pflegesachleistung: 2.299 Euro
  • Pflegegeld: 990 Euro monatlich
  • Entlastungsbeitrag: 131 Euro für Leistungen wie einen zugelassenen Pflegedienst, Unterstützung im Alltag, Tages- und Nachtpflege oder Kurzzeitpflege.

Widerspruch gegen den Pflegegrad einlegen

Die Pflegekasse stützt ihre Entscheidung zum Pflegegrad meistens auf das Gutachten des MD, das zusammen mit dem Bescheid zugeschickt wird. Das Gutachten ist wichtig, um die Pflegegrad-Einstufung zu verstehen und für einen Einspruch. Erhältst du das Gutachten nicht automatisch von deiner Krankenkasse, solltest du es unbedingt anfordern.

Widerspruch einlegen: Anträge auf Leistungen aus der Pflegeversicherung können die Krankenkassen ablehnen oder es wird nur ein geringer Pflegegrad anerkannt, als der Pflegebedürftige erhofft hat. Bist du mit der Entscheidung der Pflegekasse nicht einverstanden, hast du ab dem Zugang des Bescheides einen Monat Zeit, um Widerspruch bei der Pflegekasse einzulegen. Hierauf weist die Pflegekasse in ihrem Bescheid auch hin. Fehlt im Bescheid ein Hinweis auf die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen, verlängert sich die Frist um ein Jahr. Zur Sicherheit sollte der Widerspruch per Einschreiben mit Rückschein der Krankenkasse zugehen. Es ist nicht möglich, den Widerspruch per E-Mail zu senden.

Im Widerspruchsverfahren überprüft die Pflegekasse ihre Entscheidung und wird in der Regel ein Zweitgutachten einholen. Sind deine Einwände erfolgreich, erhältst du einen Bescheid mit dem neuen Pflegegrad. Bleibt die Pflegekasse bei ihrer Ablehnung, erlässt sie einen formalen Widerspruchsbescheid. Dann steht dir der Weg zum Sozialgericht offen. Hier gilt es ebenfalls die Frist von einem Monat, nach Zugang des Widerspruchsbescheides, einzuhalten. 

Artikel enthält Affiliate Links