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Wirtschaftsweiser packt für die Rente den Reform-Hammer aus


Autor: Dominik Jahn

Deutschland, Mittwoch, 20. August 2025

Kontroverse Reformvorschläge zur Anhebung des Rentenalters und zur Abschaffung der Witwenrente sorgen für hitzige Diskussionen.
Wirtschaftsprofessor Martin Werding plädiert für eine regelgebundene Erhöhung des Rentenalters in Deutschland, um das Rentensystem zu stabilisieren.


Es fehlen 39,8 Milliarden Euro. Das Rentensystem steckt in einer finanziellen Krise. Die Politik ist um Reformen bemüht. Der Wirtschaft reicht das nicht. Aktuell hat die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) den Druck zu Kürzungen bei Rente und Pflege erhöht

Und auch ein Wirtschaftsweiser packt jetzt die Reform-Keule für die Rente aus. Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrats und Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum unterstützt mit seinen Aussagen die Forderung von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nach einer längeren Lebensarbeitszeit. Werding: "Auch wenn es unpopulär ist – wir müssen länger arbeiten."

Eintritt in die Rente ab 2070 mit 69 Jahren?

Und Werding hat eine klare Vorstellung davon, was passieren muss in Deutschland. Gegenüber der Rheinischen Post (RP) stellte er heraus, dass die Menschen in den 1960er Jahren im Schnitt zehn Jahre lang Rente bezogen hätten, heute liege die Dauer bei 20 Jahren. 

Der Anstieg des Rentenalters müsse über 2031 hinaus weitergehen. Seine Idee dazu: "Deutschland sollte das Rentenalter regelgebunden erhöhen – zwei Drittel der zusätzlichen Lebenszeit gehen in Arbeit und ein Drittel in den Ruhestand."

Demnach würde alle zehn Jahre die Regelaltersgrenze um sechs Monate steige. Werding: "Ab 2050 gäbe es dann die Rente mit 68 Jahren, ab 2070 mit 69 Jahren."

SoVD: "Vorschläge entsprechen nicht der Lebensrealität"

Beim SoVD Sozialverband Deutschland reagiert man mit Unverständnis auf den erneuten Versuch die bestehenden Regelungen zum Renteneintritt zu verändern. Auf Nachfrage von inFranken.de erklärt SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier: "Die Vorschläge mögen auf dem Reißbrett leicht von der Hand gehen, aber sie entsprechen nicht der Lebensrealität von Millionen Menschen. Wer die Regelaltersgrenze auf 68 oder 69 Jahre anheben will, verkennt, dass viele Menschen nicht bis dahin durchhalten."

Eine Punkt, den auch Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) angesprochen hatte. Für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen bereits das aktuelle Renteneintrittsalter nicht erreichen, wäre eine längere Lebensarbeitszeit "eine Rentenkürzung".

Für Engelmeier wären diese Menschen ganz klar die Verlierer: "Für sie bedeutet eine höhere Regelaltersgrenze noch mehr Abschläge von ihrer oftmals ohnehin schon niedrigen Rente."

Für die Reform der Rente: Höhere Abschläge und Witwenrente abschaffen

Früher in Rente als es das gesetzliche Renteneintrittsalter vorgibt? Für den Wirtschaftsweisen Werding müsste der Staat genau hier viel stärker durchgreifen. Er macht im RP-Interview klar, dass die  3,6 Prozent Abschlag pro Jahr zu niedrig seien.

Werding: "Versicherungsmathematisch korrekt wären Abschläge zwischen fünf und sieben Prozent." Und auch die Witwenrente würde der Experte unter sogenannten Anreizaspekten abschaffen: "Frauen können heute für sich selbst sorgen."

Allerdings machte er auch klar, dass solche Reformen viel Vorlauf bräuchten, damit die Menschen sich darauf einstellen können.

Sozialverband warnt vor Rentenkürzung durch die Hintertür

Auch zu diesen Vorschlägen hat die SoVD-Vorstandsvorsitzende eine klare Einstellung: "Die Forderung, dass diese Abschläge nochmals auf fünf bis sieben Prozent erhöht werden sollen, unterstreicht, dass es nicht um eine faire Anpassung, sondern um eine Rentenkürzung durch die Hintertür geht. Das trifft vor allem Menschen mit körperlich belastenden Berufen oder prekären Erwerbsverläufen."

Und die Abschaffung der Witwen- oder Witwerrente würde laut Engelmeier "für viele ein Leben in Armut bedeuten und das in einer Zeit tiefster Trauer". Engelmeier: "Millionen Frauen haben über Jahrzehnte unbezahlt Sorgearbeit geleistet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt. Viele verlieren mit dem Tod ihres Partners nicht nur einen geliebten Menschen und Weggefährten, sondern stehen auch vor neuen finanziellen Herausforderungen."

Vielen würde es einfach schwerfallen, die zuvor gemeinsam getragenen Lebenshaltungskosten allein zu stemmen. Häufig drohe dann die Wohnung verloren zu gehen. Es brauche "politische Rückendeckung statt Abwertung". Michaela Engelmeier: "Der SoVD hält an seiner Forderung fest, das Rentensystem noch solidarischer zu machen, indem alle Erwerbstätigen einzahlen. Dazu gehören auch Selbstständige, Beamte und Abgeordnete. Notwendig sind außerdem faire Löhne, mehr Tarifbindung und altersgerechte Arbeitsbedingungen, damit Menschen möglichst gesund bis zum Renteneintritt arbeiten können."