Nie krank? Diese Firmen in Deutschland zahlen Prämien - und so hoch sind sie

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Deutschlands Firmen versuchen, Krankheitstage mit einer Anwesenheitsprämie zu bekämpfen. Wer keine Fehltage wegen Krankheit im Monat hat, bekommt vom Unternehmen eine Prämie.

  • Fördern Anwesenheitsprämien, dass Beschäftigte krank zur Arbeit zu gehen?
  • Bei Tesla in Grünheide geht es um einen hohen Krankenstand
  • Daimler hat den Anwesenheitsbonus wieder abgeschafft
  • Anwesenheitsprämien sind steuer- und abgabenpflichtig
  • Signalisiert die Anwesenheitsprämie Misstrauen?

Einer der bestbezahlten Manager Deutschlands, Allianz-Chef Oliver Bäte (Jahresverdienst 2024: 10,24 Millionen Euro), kritisiert im Interview mit dem Handelsblatt, dass die Arbeitnehmer hierzulande "Weltmeister bei Krankmeldungen" sind. Sein Vorschlag: die Rückkehr zu einem Karenztag (das lateinische Wort für Verzicht). Danach wäre der erste Tag ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das gab es schon einmal, und zwar bis 1970. Damals erhielten Arbeiter in den ersten zwei Tagen bei einer Erkrankung keinen Lohn. Viele Arbeitgeber verfolgen allerdings andere Pläne als die des Allianz-Chefs. Sie wollen die Motivation ihrer Mitarbeitenden, zur Arbeit zu kommen, durch Anwesenheitsprämien stärken.

Fördern Anwesenheitsprämien, dass Beschäftigte krank zur Arbeit zu gehen?

Inzwischen zahlt eine ganze Reihe von Unternehmen in Deutschland ihren Mitarbeitenden diese Prämie. Darüber reden sie allerdings nicht offen. Es ist nämlich strittig, ob sie wirklich hilft oder nur den Präsentismus, also krank zur Arbeit zu erscheinen, verstärkt. Präsentismus schadet nicht nur der eigenen Gesundheit, sondern führt auch zur möglichen Ansteckung von Kolleginnen und Kollegen, beispielsweise bei grippalen Infekten. "Die wirtschaftlichen Folgekosten seien etwa doppelt so hoch wie die Kosten krankheitsbedingter Fehlzeiten", so DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel im Nachrichtenmagazin Spiegel.

Anlass für die Debatte ist der gemeldete Rekord beim Krankenstand bei den Krankenkassen. Und in der Tat hat die Techniker Krankenkasse (TK) in Hamburg für die ersten elf Monate des Jahres 2024 im Schnitt 17,7 Krankentage vermeldet – das ist ein neuer Höchststand. Die TK ist mit 12 Mio. Mitgliedern die größte der 94 gesetzlichen Krankenkassen. Für den TK-Vorstandsvorsitzenden Jens Baas sind viele Krankentage allerdings kein Beleg für einen leichtfertigen Umgang mit der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder mit den betrieblichen Interessen. Für ihn sind sie vielmehr der Beweis dafür, dass viele Menschen in Deutschland verantwortungsbewusst mit Erkältungskrankheiten umgehen und darauf achten, ihre Mitmenschen nicht anzustecken.

77 % der Befragten einer bundesweiten Befragung im Auftrag der TK gaben an, bereits bei ersten Anzeichen einer Erkältung wie Kopf- und Halsschmerzen oder Schnupfen soziale Kontakte zu vermeiden. TK-Chef Baas: "Besonders in Pandemiezeiten war die Frage, wie man andere Menschen vor Ansteckung schützen kann, sehr präsent. Dieses Bewusstsein haben offenbar viele Menschen beibehalten." Auch Orte, an denen sich viele Menschen aufhalten, werden nach Möglichkeit von 71 % der Befragten im Krankheitsfall gemieden.

Bei Tesla in Grünheide geht es um einen hohen Krankenstand

Trotzdem gibt es viele Betriebschefs, denen es missfällt, dass ihre Arbeitnehmenden immer wieder an Montagen oder Freitagen fehlen. Teils steht dann der Vorwurf im Raum, die Beschäftigten machen an diesen Tagen gerne blau. Spätestens ein überproportional hoher Krankenstand im Betrieb sollte die Chefs nachdenklich stimmen: Alles über 6,5 % beim Krankenstand gibt Anlass, Maßnahmen zu ergreifen. Die Frage dabei ist, welche: Anwesenheitsprämien oder mehr Gesundheitsvorsorge?

Anwesenheitsprämien sind offenbar für viele Firmen ein probates Mittel. Daten, in welchem Umfang Betriebe sie nutzen, gibt es nicht. Die folgenden Informationen über Prämien basieren auf Medienanfragen bei Pressestellen, Personalabteilungen oder Recruiting-Firmen. Die Firmen sind nicht besonders auskunftsfreudig zu diesem Thema. Es folgen einige Beispiele zu Unternehmen, die Anwesenheitsprämien zahlen. Die Liste ist nicht vollständig.

Der Elektroauto-Hersteller Tesla im brandenburgischen Grünheide plant nach einem Bericht des Handelsblatts ein Pilotprojekt zur Anwesenheit und zu einer Präsenzprämie. Im August 2024 lag der Krankenstand im Tesla-Werk in Grünheide nach Presseberichten bei hohen 17 %. Im Projekt sollen Arbeitnehmer, die zur Arbeit erscheinen und wenig Krankzeiten haben, eine Prämie von bis zu 1000 Euro erhalten. Je nach Anwesenheitszyklus gebe es einen unterschiedlichen Status – beim Gold-Status, einer Fehlzeit von maximal 5 % der Arbeitszeit, sei der volle Bonus möglich. Zum Ende des Jahres wird der jeweilige Status überprüft. 

Zwei Nahverkehrsbetriebe, zwei unterschiedliche Konzepte

Ebenfalls um bis zu 1000 Euro pro Jahr gibt es für die Beschäftigten der Kieler Verkehrsgesellschaft (KVG). Die Prämie wird pro Quartal in Höhe von 250 Euro gezahlt, wenn keine krankheitsbedingten Fehltage vorliegen. Bei bis zu zwei Krankheitstagen gibt es noch 200 Euro, bei drei bis vier Tagen 125 Euro.

Die Hamburger Hochbahn zahlt ihren Mitarbeitern 615,62 Euro pro Halbjahr. Ein Abzug erfolgt erst ab dem dritten Krankheitstag im Halbjahr, und ab dem 17. Krankheitstag wird keine Prämie mehr ausgeschüttet. Für Azubis liegt sie bei 566,67 Euro. Die Düsseldorfer Rheinbahn lehnt dagegen eine Prämie ab, da sie fürchtet, dass Mitarbeitende trotz Krankheit zur Arbeit kommen. Die Techniker Krankenkasse und der Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) teilen diese Bedenken. 

Der Kunststoffhersteller und Autozulieferer BIA in Solingen verteilt Prämien an diejenigen in der Fertigung, die keine Krankentage haben. Mitarbeiter kommen so auf gut 10 % mehr Lohn, das kostet die Firma bis zu 80.000 Euro im Monat. Für das Unternehmen rechnet sich das: Die Krankenquote sei um drei Prozentpunkte zurückgegangen. Vorher betrug sie 9 %.

Daimler hat den Anwesenheitsbonus wieder abgeschafft

Einen Anwesenheitsbonus hat das Unternehmen Daimler Ende 2019 nach nur zwei Jahren wieder abgeschafft. Einen Grund dafür kommunizierte das Unternehmen nicht. Stattdessen setzt die Autofirma auf mehr Gesundheitsangebote, kostenlose Grippeschutzimpfungen, Gesundheitschecks, Rückenprogramme oder Coachings.

Die PS Union Group (Automobilbranche) wählte mit der Edenred City Card eine Sachbezugskarte, um der Versteuerung der Anwesenheitsprämie zu entgehen. Die Auszahlung ist so steuer- und beitragsfrei zu gestalten, weil sie unterhalb der Freigrenze von 50 Euro pro Monat bleibt.

Der Maschinenbauer Heidelberger Druck geht einen anderen Weg. Er hat laut Bericht in der Rhein-Neckar-Zeitung unter den rund 1100 Mitarbeitern ohne Krankentage dreimal 800 Euro netto verlost, um Wertschätzung auszudrücken und den Krankenstand weiter zu senken.

Anwesenheitsprämien sind steuer- und abgabenpflichtig

Das Logistikunternehmen TruckHero macht es einfacher, es zahlt monatlich 200 Euro zusätzlich zum Gehalt, wenn keine krankheitsbedingten Ausfälle vorliegen. Und bei Amazon ist die Lage unklar. Beim US-Konzern konnte ein Mitarbeiter in der Vergangenheit auf bis zu 10 % des monatlichen Bruttogehalts hoffen. Amazon koppelte die Zahlung an die Krankheitstage des gesamten Teams. Es zählen also nicht nur die eigenen Fehltage, sondern auch die von jedem Teammitglied. Fehlt der Mitarbeitende krankheitsbedingt ein paar Tage, geht nicht nur die eigene Prämie flöten, sondern man gefährdet auch die seiner Kollegen. Ob diese Regelung noch gilt oder abgeschafft ist, ist unklar.

Die Sicherheitsgesellschaft am Flughafen München (SGM) zahlt laut ihrer Homepage eine persönliche Anwesenheitsprämie für das Luftsicherheitskontrollpersonal. Eine Höhe wird allerdings nicht genannt. Der Sicherheitsdienstleister I-SEC am Flughafen Frankfurt zahlt eine tägliche Anwesenheitsprämie von 2,50 Euro, was monatlich bis zu 50 Euro netto ergibt und damit unter der Freigrenze bleibt.

Die Anwesenheitsprämie ist eine freiwillige Sonderzahlung für Mitarbeiter. Die Prämie ist steuerpflichtig, es sei denn, sie wird monatlich als Sachbezug bis zur Freigrenze von 50 Euro ausgezahlt.

Signalisiert die Anwesenheitsprämie Misstrauen?

Für den DGB-Rechtsschutz ist die Anwesenheitsprämie letztlich nichts anderes als eine finanziell belohnte Durchhalteparole. Anwesenheitsprämien seien ein gesundheitlicher und wirtschaftlicher Irrweg. Arbeitnehmer sollen sich "nicht so anstellen", ihre Quälerei wird ja schließlich belohnt. "Doch dieser Anreiz ist fatal. Kritiker bemängeln, dass die Anwesenheitsprämie Misstrauen signalisiert", so der DGB. 

Denn wer zur Arbeit geht, obwohl er eigentlich krank ist, riskiert, dass sich der Gesundheitszustand verschlechtert und sich die Krankheit verlängert – mit entsprechenden Kosten für die Firma, argumentiert der DGB. Für den Arbeitgeber steige das Risiko, dass der Mitarbeitende Fehler macht, die ihn letztlich teuer zu stehen kommen können. "Arbeitnehmende mit ansteckenden Krankheiten – das sollte spätestens seit der Coronapandemie jeder wissen – können ihre Kollegen anstecken und die Krankheitstage erst recht explodieren lassen."

Nach einer repräsentativen Befragung im Rahmen des DGB-Index Gute Arbeit ging knapp die Hälfte aller abhängig Beschäftigten eine Woche und länger zur Arbeit, obwohl die Betroffenen sich "richtig krank gefühlt haben".

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