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Lebensversicherung: Wenn der Vertrag verkauft wird


Autor: Klaus Heimann

Deutschland, Sonntag, 18. August 2024

Du hast für das Alter mit einer Lebensversicherung vorgesorgt. Dann erfährst du, dass deine Versicherung deinen Vertrag an einen Abwickler verkauft hat. Was bedeutet das für dich?
Fast alle Deutschen haben eine Lebensversicherung.


  • Das Interesse an Lebensversicherungen schwindet
  • Vertrauen ist in der Versicherungsbranche ein hohes Gut
  • Sind die Abwickler wirklich kostengünstiger?
  • Keine großen Erwartungen

Es ist das Erfolgsmodell der deutschen Versicherungswirtschaft: die Lebensversicherung. Nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) waren es 2022 81,8 Mio. Policen. Hinter der gigantischen Bestandszahl verbirgt sich allerdings ein für die Branche schwieriger Trend: Die Anzahl der Neuverträge ist im selben Jahr um 10 % gesunken. Die Zahl der Versicherungsgesellschaften schrumpft ebenfalls. Immer öfter überlegen Lebensversicherer, ihr Geschäft aufzugeben und die Bestände an Run-off-Versicherer zu verkaufen. Aber was passiert, wenn der Versicherer einfach deinen Vertrag verkauft? Darf er das überhaupt, ohne die Kunden zu fragen, und welche Risiken sind damit verbunden?

Warum schwindet das Interesse an Lebensversicherungen?

Große Lebensversicherer wie Generali, Arag oder Axa haben ihre Vertragsbestände ganz oder teilweise bereits an Abwickler-Firmen verkauft. Das Geschäft der Zurich Versicherung mit dem Abwickler Viridium ist allerdings geplatzt, weil es Bedenken der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gab. Marktführer Allianz hat ebenfalls über den Verkauf von Lebensversicherungspolicen nachgedacht, aktuell liegen die Pläne allerdings auf Eis.

"Die Aussichten für die deutschen Lebensversicherer sind gedämpft", sagte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV, dem Platow-Brief. Einer der Gründe, warum es nicht mehr so gut läuft, sind die mageren Renditen für die Versicherten auf das angesparte Kapital. In den letzten Jahren mit einem schwachen Zinsumfeld hatten Lebensversicherungen mit hohen Garantiezinsen Schwierigkeiten, ihre Zusagen zu erfüllen. Das schmälerte die Gewinne, bei einigen führte das zu einem Verlustgeschäft. Das Geschäft mit Lebensversicherungen ist zunehmend unattraktiv.

Aber auch bei den Kunden gibt es einen nachhaltigen Vertrauensverlust. Die Ursache sind die sogenannten Run-off-Versicherer. Lebensversicherer verkaufen ihre Vertragsbestände an Abwickler-Firmen wie Viridium, Athora oder Frankfurter Leben. Bisher gibt es in Deutschland erst drei solcher "Müllkippen" für Lebensversicherungen, und diese sind vergleichsweise klein. 

Vertrauen ist in der Versicherungsbranche ein hohes Gut

Gerald Archangeli, Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), fasst in der Tageszeitung Die Welt das Unbehagen der Kunden, das durch solche Verkäufe entsteht, zusammen. Kunden könnten nicht verstehen, wenn ihre Lebensversicherungsverträge irgendwohin gegeben würden, sagte Archangeli.

Jahrzehntelang hätten Vermittler ihren Kunden die Bedeutung einer sicheren Altersvorsorge erklärt, sie aus diesem Grund zum Abschluss einer Lebensversicherung motiviert. "Jetzt müssen diese Kunden machtlos zuschauen, wenn Unternehmen allein aus Gründen der Rentabilität ihre Lebensversicherungsbestände an weitgehend unbekannte Abwickler verkaufen."

Vertrauen ist in der Versicherungsbranche ein hohes Gut. Wenn es verspielt ist, haben Unternehmen Probleme. Der Abschluss einer Lebensversicherung war viele Jahre lang nicht irgendeine Form der Kapitalanlage, vielmehr war es eine Vertrauensentscheidung. Schließlich muss man sich darauf verlassen, dass die Lebensversicherung nach Jahrzehnten die Leistungen erbringt, für die du viele Jahre Prämien gezahlt hast. Entsprechend groß ist die Verunsicherung von Kunden, wenn der angestammte Versicherer die Police jetzt auf einmal weiterverkauft.

Sind die Abwickler wirklich kostengünstiger?

Tilo Dresig, Chef des Run-off-Spezialisten Viridium, kann allerdings die Kritik nicht nachvollziehen, wie er der Süddeutschen Zeitung anvertraute. Schließlich profitierten die Kunden von neuen IT-Systemen, mit denen ihre Verträge kostengünstig verwaltet werden. Außerdem fielen die Vertriebskosten komplett weg, weil die Spezialisten kein Neugeschäft suchen. 

Ob die Kostenvorteile sich am Ende des Tages bei den Kunden der Lebensversicherung konkret auszahlen, bleibt abzuwarten. Wichtiger ist, dass die Risiken für die Kunden mit dem neuen Policen-Besitzer sich nicht vergrößern. Die BaFin versichert, dass die Absicherungen unverändert bleiben. Erlaubt ist das Run-off-Geschäft nach § 13 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG). Allerdings gibt es Auflagen: Die Übertragung des Bestandes auf ein anderes Versicherungsunternehmen bedarf der vorherigen Zustimmung der BaFin. Beim geplanten Verkauf der Lebensversicherungen von der Zurich Versicherung legte die BaFin ihr Veto ein.

Die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag bleiben bei einem Run-off-Geschäft unverändert bestehen. Weiterhin ist die BaFin für eine wirksame Aufsicht zuständig. Der Lebensversicherungsvertrag ist durch einen Sicherungsfonds gesetzlich geschützt. Unverändert ist auch der Anspruch auf die gleiche Servicequalität, etwa bei Fragen zum Vertrag. Sollte es Probleme geben, kannst du dich beim neuen Versicherer beschweren. Schafft dieser keine Abhilfe, kannst du dich direkt an die BaFin wenden. Laut BaFin ist ein Verkauf von Verträgen ins Ausland ausgeschlossen. Damit bleibt der neue Versicherer unter ihrer Aufsicht und es gelten die Sicherungseinrichtungen der deutschen Lebensversicherer.

Keine großen Erwartungen

Bei einem Run-off stellt der Versicherer das Neugeschäft ein und wickelt nur noch seinen Bestand ganz oder teilweise ab. Auch wenn er die Versicherungen an ein anderes Unternehmen verkauft, gelten unverändert die vereinbarten Konditionen. Aus den Run-off-Plänen deines Versicherers ergibt sich für dich als versicherte Person kein akuter Handlungsbedarf. Deine Lebensversicherung solltest du auf keinen Fall überstürzt kündigen. In solchen Fällen sind Verluste vielfach programmiert. Besser ist es, sich vorab neutral und unabhängig beraten zu lassen.

Verbraucher sollten bei einem angekündigten Run-off-Geschäft ihres Versicherers abwarten, ob und an wen ihre Police übertragen wird. Ist die Entscheidung gefallen, kannst du überlegen, ob es Handlungsbedarf gibt. Das ist immer auch von den individuellen Umständen abhängig (z. B. vom Versicherer, der Vertragslaufzeit, dem Garantiezins, Zusatzversicherungen wie etwa Berufsunfähigkeitsversicherung). Auch für den Käufer gelten die zugesagten Garantien. Das gesamte Kundenvermögen im Bestand bleibt erhalten. Ob die zugesicherte Überschussbeteiligung funktioniert, ist abzuwarten.

Zu große Erwartungen solltest du als Kunde an den neuen Besitzer deiner Lebensversicherung nicht haben. Denn ob der neue Versicherer noch Überschüsse für die Versicherten erwirtschaftet, ist fraglich. Die Verbraucherzentrale NRW ist da sehr skeptisch: "Allzu großes Interesse dürften Investoren hieran zumindest nicht haben. Zudem: Ein Versicherer, der nicht mehr am Wettbewerb teilnimmt, dürfte weniger Anreize haben, sich als fairer und serviceorientierter Vertragspartner zu präsentieren."