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Inklusion im Arbeitsmarkt: Höhere Abgaben für Betriebe ohne Mitarbeitende mit Behinderung


Autor: Klaus Heimann

Deutschland, Donnerstag, 04. Mai 2023

Mit der Inklusion von Behinderten in die Arbeitswelt tun sich Betriebe schwer. Eine höhere Abgabe soll den Druck bei der Einstellung erhöhen. Aber ist das wirklich die Lösung?
Die Erfahrungen mit Schwerbehinderten in den Betrieben sind oft positiv.


  • Das Problem: Zu geringere Erwerbstätigkeit und höhere Arbeitslosigkeit
  • Höhere Abgabe soll es richten
  • Eigentlich keine großen Unterschiede
  • Offenbar gibt es viel Mismatch

Die Inklusion von Schwerbehinderten in die Betriebe und damit in den Arbeitsmarkt ist keineswegs eine erledigte Aufgabe. Die Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) unterstützen diese Aussage: Es könnte deutlich besser sein. Jetzt hat der Bundestag das "Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts" beschlossen. Wie ist die Lage und was soll sich ändern?

Das Problem: Zu geringere Erwerbstätigkeit und höhere Arbeitslosigkeit

Wie es um die Inklusion von Behinderten in den Arbeitsmarkt steht, zeigen zwei Indikatoren: die Zahl der Erwerbstätigen und die der Arbeitslosigkeit. Menschen ohne Behinderung haben oftmals einen Job und sind weitgehend in den Arbeitsmarkt integriert. 2019 waren das rund 82 Prozent. Ganz anders ist die Situation bei Menschen mit Behinderung(en): Gerade einmal 57 Prozent von ihnen hatten einen Job. Noch geringer war sie bei den Schwerbehinderten: Sie lag 2017 (neuere Zahlen liegen nicht vor) mit 49 Prozent noch einmal deutlich darunter, das ergibt sich aus einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

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Der zweite Blick auf die Arbeitslosenzahlen zeigt die schwierige Lage von Behinderten: Sie hatten 2019 mit 3,6 Prozent eine höhere Arbeitslosenquote als Menschen ohne registrierte Behinderung. Die lag bei 3,0 Prozent. Die Folgen der Pandemie sind für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt noch immer spürbar: Zwar sinken die Arbeitslosenzahlen nach Jahren der Krise wieder, gleichzeitig verschärft sich jedoch die Langzeitarbeitslosigkeit. Nahezu die Hälfte aller Menschen mit Behinderung ohne Erwerbstätigkeit ist mindestens ein Jahr arbeitslos – ein Plus von fünf Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Das zeigt das Inklusions­baro­meter Arbeit 2022 der Aktion Mensch. Erstes Zwischenergebnis: Die Einstellungs- und Beschäftigungschancen von Menschen mit (Schwer-)Behinderung sind offensichtlich ausbaufähig. Das Ziel Inklusion ist noch nicht erreicht.

Die Bundesregierung hat sich zur Unterstützung des Ziels für eine gesetzliche Initiative entschieden: Das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts ist inzwischen vom Bundestag beschlossen. Zentrales Instrument ist es, die Ausgleichsabgabe zu erhöhen. Die müssen Firmen zahlen, wenn sie keine oder zu wenige Schwerbehinderte beschäftigen, obwohl sie eigentlich per Gesetz dazu verpflichtet sind. Vor allem soll die Erhöhung der Ausgleichsabgabenzahlung die Arbeitgebenden treffen, die bisher überhaupt niemanden mit Schwerbehinderung beschäftigen. 

Höhere Abgabe soll es richten

Die Ausgleichsabgabe ist kein neues Instrument. Bisher galt folgende Regelung: Jeder Arbeitgeber, der jahresdurchschnittlich mindestens 20 Arbeitsplätze hat, ist verpflichtet, eine bestimmte Anzahl von Menschen mit einer Schwerbehinderung oder einer Gleichstellung zu beschäftigen (§ 154 SGB IX). Betriebe mit mindestens 20, aber weniger als 40 Arbeitsplätzen müssen einen Menschen mit Schwerbehinderung einstellen, Betriebe mit 40 bis unter 60 Arbeitsplätzen zwei. Noch größere private und öffentlich-rechtliche Arbeitgeber haben wenigstens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen oder ihnen gleichgestellten behinderten Menschen zu besetzen.

Diese Regelung bleibt erhalten, aber die Strafen, die Betriebe bei Nichterfüllung der Vorgabe zahlen müssen, die erhöhen sich ab 2024. Die Ampelkoalition will dadurch den Druck auf Unternehmen, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen: Für sie werden dann 720 Euro jährlich für jeden fehlenden Arbeitsplatz fällig (Ausgleichsabgabe), der rechnerisch mit einer schwerbehinderten Person besetzt sein müsste. Auch in den anderen drei Beschäftigungsklassen erhöhen sich die Abgaben, und zwar auf 140, 245 bzw. 360 Euro (je nach erreichter Beschäftigungsquote) pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz. Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten bleiben von der Abgabe generell weiterhin befreit. Hieran verändert das neue Gesetz nichts. 

Das größte Problem bei der Abgabe ist das Verhalten der kleineren Betriebe. Sie entziehen sich systematisch der Beschäftigung von Schwerbehinderten und zahlen lieber die Abgabe. Die Folge aus der Befreiung: Kleinere Betriebe machen sich gerne einen schlanken Fuß. Nur etwa neun Prozent der sehr kleinen Betriebe (mit unter 10 Beschäftigten) geben an, in den letzten drei Jahren mindestens eine schwerbehinderte Person beschäftigt zu haben. Bei den Betrieben ab 250 Beschäftigten waren es dagegen über 90 Prozent. Die Freistellungs-Politik bei der Quote und bei der Ausgleichsabgabe hat also negative Auswirkungen für die Arbeitsmöglichkeiten der Schwerbehinderten.

Eigentlich keine großen Unterschiede

Die Bilanz ist ernüchternd: Nach der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) schwerbehinderter Menschen erfüllt ein Großteil der Arbeitgeber die Schwerbehindertenquote nicht: Im Jahr 2021 kamen insgesamt nur 39 Prozent der privaten und öffentlichen Arbeitgeber der gesetzlichen Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nach. Darüber hinaus haben 35,1 Prozent der Betriebe ihre Beschäftigungspflicht wenigstens teilweise erfüllt. 25,9 Prozent der Betriebe haben komplett gemauert, und obwohl sie Schwerbehinderte hätten einstellen müssen, dies nicht getan. In Summe haben also 61 Prozent der Betriebe die Schwerbehinderten-Quote nicht erfüllt. Diese Werte sind in den letzten zehn Jahren weitgehend konstant. Die Mehrzahl der Betriebe zahlt lieber die Abgabe als Schwerbehinderte zu beschäftigten.

Die Gewerkschaften und Sozialverbände kritisieren, dass die Abgabe offensichtlich zu gering ist und die Betriebe sie mit links aus der Portokasse bezahlen. VdK-Präsidentin Verena Bentele nennt es verantwortungslos, dass sich die Mehrheit der deutschen Arbeitgeber weigert, schwerbehinderte Erwerbstätige in ausreichendem Umfang einzustellen. "Während die Zahl der Arbeitslosen generell zurückgeht, steigt die der Menschen mit Schwerbehinderungen seit Jahren und liegt aktuell bei mehr als 170.000. Diese Menschen wollen arbeiten, aber Unternehmen lassen sie nicht."

Dabei sind die Erfahrungen der Unternehmen mit Schwerbehinderten oft positiv: Mehrheitlich sehen Betriebe keine gravierenden Unterschiede bei Menschen mit und ohne Behinderungen. Sie sind "gleich", geben die Befragten bei folgenden Punkten an: Fehlzeiten: 53 %, Einarbeitung ist notwendig: 67 %, Arbeitsmotivation: 73 %, soziale Einbindung: 79 %, Leistungsfähigkeit: 55 % und Belastbarkeit: 46 %. Aber es gibt auch Kritik. Es sind vor allem drei Punkte: Die Fehlzeiten von Menschen mit Schwerbehinderungen seien höher (sagen 28 % der Betriebe). Der Einarbeitungsaufwand sei größer, sagen 18 % der Betriebe. Geringere Leistungsfähigkeit (33 %) und Belastbarkeit (42 %) beklagen die Unternehmen ebenfalls.

Offenbar gibt es viel Mismatch

Das Geld aus der Ausgleichsabgabe fließt zukünftig ausschließlich in die Förderung der Beschäftigung, also auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Kein Geld erhalten mehr sogenannte "Einrichtungen zur Teilhabe" (Werkstätten für Behinderte, Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation etc.).

Die IAB-Untersuchung zeigt, dass 77 Prozent der Betriebe, die eine Ausgleichsabgabe zahlen, zu wenig geeignete Bewerbender*innen mit Schwerbehinderung finden. Offensichtlich gibt es ein Mismatch bei der Vermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) oder bei der Kontaktfindung zwischen Schwerbehinderten und suchenden Betrieben. AWO Präsidentin Kathrin Sonnenholzner sieht eine Ursache darin, dass die Arbeitsstätten nicht barrierefrei sind. Für sie ist das die wichtigste Maßnahme für mehr Inklusion.

Es ist natürlich fatal, wenn die Betriebe den Kontakt zur BA zu selten suchen oder die Agentur nur sporadisch Vorschläge macht, wie freie Arbeitsplätze mit einer schwerbehinderten Person zu besetzen sind. Das stark gegliederte System der Inklusion führt auch nicht zu größeren Erfolgen bei der Inklusion. Mit dem Inklusionsamt, der Bundesagentur für Arbeit, dem Jobcenter, dem Rentenversicherungsträger und der Berufsgenossenschaft kümmern sich fünf Institutionen um Schwerbehinderte. Um wenigstens den Arbeitgebern mehr Orientierung zu geben, entstanden einheitliche Ansprechstellen, die jetzt im Gesetz verankert sind.

Fazit

Die neuen gesetzlichen Maßnahmen führten in ihrer Gesamtheit nur zu kleineren Verbesserungen bei der Beschäftigung von Menschen mit einer Schwerbehinderung im Arbeitsmarkt. Die Nichterfüllung der Quote wird zwar teurer. Das reicht aber nicht, um mehr Personen mit Handicaps in Arbeit zu bringen. Ob die moderate Erhöhung der "Strafzahlungen" wirklich zu einem anderen Einstellverhalten der Betriebe führt, bleibt abzuwarten.